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Wir saßen morgens im Besprechungszimmer unseres Chefs. Kriminaldirektor Jonathan D. Bock, hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben. Sein Gesichtsausdruck wirkte besorgt. „Ein Killer, der so viele Personen auf eine Entfernung von über 400 Meter mit dieser Präzision zu töten vermag, muss ein wirklich exzellenter Schütze sein.“

„Wir vermuten, dass er eine Scharfschützenausbildung in der Bundeswehr, Fremdenlegion, U.S. Army oder in irgendeiner Spezialeinheit der Polizei genossen hat“, erklärte Kommissar Max Herter, ein Innendienstmitarbeiter aus unserer Fahndungsabteilung. „Andererseits könnte dieser Hit-man auch aus dem Ausland eingeflogen worden sein.“

„Lässt sich möglicherweise anhand der Waffe der Täterkreis einschränken?“, erkundigte sich Jürgen Caravaggio. Der flachsblonde Italodeutsche war der Stellvertreter unseres Chefs. „Schließlich handelt es sich um eine Spezialwaffe, die nicht in allzu großer Stückzahl hergestellt worden ist!“

Kriminaldirektor Bocks Blick wandte sich unserem ebenfalls anwesenden Chefballistiker Ludwig Valkensee zu.

„Vielleicht können Sie uns zu diesem Themenkomplex etwas sagen, Ludwig.“

„Gerne“, antwortete Valkensee. „Zunächst einmal konnten wir feststellen, dass sich die Vermutung bestätigt hat, wonach Jimmy Talabani mit derselben Waffe und vermutlich daher auch vom selben Täter erschossen wurde, wie die anderen Unterbosse aus dem Al-Khalili-Syndikat. Das heute Morgen eingetroffene ballistische Gutachten unserer Kollegen der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst lässt daran nicht den Hauch eines Zweifels. Der Typ des benutzten Spezialgewehrs stand ja bereits vorher auf Grund der aufgefundenen Patronenhülsen fest. Ich hatte deswegen schon vor Eintreffen des Gutachtens des Balllistikers der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst mal anhand der verschiedenen Datenbänke, zu denen wir Zugang haben, recherchiert, wie viele Morde überhaupt mit einer MK-32 begangen wurden.“

„Sie nehmen an, dass der Täter auch früher schon eine Vorliebe für dieses Gewehr gehabt haben könnte“, meinte Kriminaldirektor Bock.

Ludwig nickte entschieden.

„Ja, genau.“

„Und?“

„Es gab vor drei Jahren eine Mordserie in Hamburg. Insgesamt zwölf hochrangige Gangster aus den Führungsetagen des organisierten Verbrechens sind seinerzeit mit einer MK-32 ermordet worden. Der sogenannte St. Pauli-Krieg. Man fand das Gewehr schließlich im Kofferraum eines als gestohlen gemeldeten Fahrzeugs.“

„Dann hatte der Kerl ja auch einen triftigen Grund, die Waffe zu wechseln“, mischte sich unser ebenfalls anwesender Kollege Olli Medina in das Gespräch ein.

„Gab es denn außer der Verwendung derselben Waffe noch weitere Parallelen?“, wandte ich mich an Ludwig.

Er schüttelte den Kopf.

„Leider nein.“

„Ich dachte da zum Beispiel an die seltsame Anordnung der Patronenhülsen.“

„Dies ist der erste von sämtlichen in Betracht kommenden Mordfällen, in denen der Täter die von der Waffe geworfenen Patronenhülsen auf diese Weise angeordnet hat. Das unterscheidet den Mordfall Jimmy Talabani von den anderen dieser Serie - falls es sich um eine solche handeln sollte.“

„Was geschah in den anderen Fällen mit den Patronen?“ fragte ich.

„Bei den Morden in Hamburg sind niemals Patronenhülsen gefunden worden“, berichtete Ludwig. „Wir müssen daher annehmen, dass er die aufgesammelt oder sich eine Vorrichtung konstruiert hat, die die Hülsen auffängt. Die MK-32 ist eine Waffe für den Einsatz beim Militär und anderen Sicherheitskräften, die haben normalerweise kein Interesse daran, Spuren ihrer Anwesenheit zu verwischen.“ Ludwig machte eine kurze Pause, die er dazu nutzte, einen Schluck des köstlichen und im gesamten Präsidiums gerühmten Kaffees zu sich zu nehmen, den Kriminaldirektor Bocks Sekretärin Mandy gebraut hatte.

Schließlich fuhr er fort: „Bei sämtlichen Morden in und um Berlin, bei denen bislang ausnahmslos Unterbosse des Al-Khalili-Clans ums Leben kamen, wurden die Hülsen einfach dort liegen gelassen, wo sie von der Waffe ausgeworfen wurden.“

Rudi hob die Augenbrauen.

„Unser Super-Profi scheint nachlässig geworden zu sein“, meinte er.

„Oder er fühlt sich so sicher, dass er sich gar nicht mehr vorzustellen vermag, dass ihm eine Horde Ermittler auf den Fersen sein könnte“, vermutete Jürgen.

Kriminaldirektor Bock zuckte die Schultern und nahm die Hände aus den Hosentaschen.

„Vorausgesetzt, es handelt sich wirklich um denselben Killer, was wir noch nicht mit letzter Sicherheit wissen“, gab er zu bedenken. Er wandte sich Max Herter. „Ich möchte, dass Sie herauszufinden versuchen, ob es irgendwelche aktuellen Verbindungen des Al-Khalili-Syndikats nach Hamburg gibt.“

„Sollten wir uns nicht erst einmal verstärkt darum kümmern, herauszufinden, wer diesen Killer von der Leine gelassen hat?“, fragte Jürgen. „In den Straßen pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass die Balkan-Connection dahinter steckt.“

Die Balkan-Connection war uns bekannt. Seit Jahren operierte dieses von Serben und Bulgaren dominierte Syndikat auch in Berlin.

Allerdings war die Balkan-Connection dabei unseren Erkenntnissen nach bislang eher auf Kooperation mit den alteingesessenen Banden aus gewesen, als auf Verdrängung. Vielleicht hatten die Balkan-Leute ihre Strategie inzwischen ja geändert, was immerhin eine plausible Erklärung für das geboten hätte, was sich derzeit in der Berliner Unterwelt tat.

„Morgen trifft eine Kollegin ein, die seit langem gegen diese Organisation ermittelt. Ich hoffe, dass sie uns Näheres darüber sagen kann, was diese Bande für unsere Gegend für Pläne hat. Ihr Name ist Branka Suvic. Sie ist Hauptkommissarin beim LKA Hamburg und wird uns beratend zur Seite stehen. Jürgen, ich möchte, dass Sie alles an Informanten aktivieren, was uns derzeit im Kiez an Informanten zur Verfügung steht.“

Jürgen Caravaggio nippte kurz an seinem Kaffeebecher.

„In Ordnung, Chef“, sagte Jürgen dann.

„Ich würde gerne dieser Jacqueline noch einmal auf den Zahn fühlen“, meldete ich mich zu Wort.

Kriminaldirektor Bock wandte sich in meine Richtung.

„Sie sprechen von der Frau, die Jimmy Talabani auf den Fun Park begleitet....“

„...und anschließend fast nichts von dem Attentat mitgekriegt hat“, vollendete ich Kriminaldirektor Bocks Satz. „Ich glaube, sie weiß viel mehr als sie uns bislang gesagt hat. Und dass sie sich einfach so aus dem Staub gemacht hat, ist ebenfalls ziemlich eigenartig.“

Kriminaldirektor Bock nickte leicht.

„Versuchen Sie Ihr Glück, Harry“, signalisierte er sein Einverständnis.

Jemand wie Kriminaldirektor Bock gab so etwas nicht gerne zu, aber im Moment hatte ich das Gefühl, dass wir in diesem Fall ziemlich im Nebel herumstocherten.

Sechs Krimis: Ferienkiller

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