Читать книгу Sechs Krimis: Ferienkiller - Alfred Bekker - Страница 59

8

Оглавление

Walid Tawil trat öffentlich nur als Walter Tawil auf, um deutscher zu wirken. Einen deutschen Pass hatte schon sein Vater gehabt, aber offenbar versprach er sich Vorteile davon, auch seinen Vornamen einzudeutschen. Darum hatte er sogar mehrere Prozesse geführt. Für den Clan-Patriarchen blieb er jedoch Walid. Nach Ansicht von Abdullah Al-Khalili verleugnete er damit seine libanesische Herkunft und die Tradition seiner Familie, was in den Augen des Clan-Patriarchen nur ein weiteres Indiz dafür war, dass Walid keinen Charakter hatte. Tawil hatte mit Ach und Krach ein Jurastudium hinter sich gebracht und besaß sogar eine offizielle Zulassung als Anwalt. Immerhin.

Trotzdem...

Jemandem, der seine Familie verleugnete, nur um den Vorurteilen vieler Kartoffel-Deutscher Seinesgleichen aus dem Weg zu gehen, war alles zuzutrauen, so fand Al-Khalili.

Inklusive Verrat.

Der blaue Salon befand sich im Obergeschoss von Al-Khalilis Villa. Von hier aus hatte man einen hervorragenden Ausblick.

Als Al-Khalili den Salon betrat, stand an der Fensterfront ein Mann, den er hier jetzt nicht erwartet hatte. Der Mann war grauhaarig, vielleicht Mitte siebzig, mit wettergegerbter, von einem Faltenrelief durchzogener Haut. Die Nase sprang hervor und entsprach einem klassischen Profil.

Das war Raimund Scirea. Der alte italo-deutsche Geschäftsmann hatte in der Al-Khalili-Familie schon Abdullah Al-Khalilis Vater beraten und ihm viele Wege geöffnet. Abdullahs Vater war ein Fan der 'Pate'-Filme gewesen. Darum hatte er in seiner Organisation den Rang eines Conciliere eingeführt, wie er in der italienischen Mafia üblich war.

Conciliere – der Berater des Vertrauens.

Genau das war Raimund Scirea bis heute.

Und mit seinen guten Verbindungen in die Berliner Geschäftswelt hatte er dem Al-Khlalili-Clan schon des Öfteren sehr geholfen.

Er hatte außerdem maßgeblich daran mitgewirkt, dass Abdullah seine jetzige Position innerhalb des Geschäfts hatte erreichen und über Jahre hinweg halten können.

Wenn Raimund Scirea hier auftauchte, musste irgendetwas Wichtiges anliegen, war Al-Khalili sofort klar.

Raimund Scireas Blick war gedankenverloren in die Ferne gerichtet.

Mit einem Ruck drehte er sich herum.

Seine leuchtend blauen Augen musterten Abdullah.

Neben ihm verblasste die eher schmächtige Erscheinung von Walid 'Walter' Tawil sichtlich.

„Onkel Abdullah, wie lange willst du noch warten?“, fragte Walid Tawil ziemlich ungehalten – und für Abdullah Al-Khalilis Geschmack entschieden zu respektlos. „Jimmy ist umgebracht worden – ironischerweise auch noch auf dem Gelände dieses Fun Park, den er mit deinem Geld betreibt!“

„Du solltest deine Tonfall mäßigen!“, schnitt Abdullah Al-Khalili ihm das Wort ab.

Aber dieser Auftritt war durchaus typisch für Walid 'Walter' Tawil. Große Ansprüche stellen und wenig dafür leisten. Das konnte Abdullah Al-Khalili nicht ausstehen.

„Wie lange willst du noch warten?“, fragte Walid Tawil, ohne dass dabei sein Tonfall auch nur eine Nuance an Schärfe verlor. „Bis wir alle umgebracht worden sind? Da rasiert ein Wahnsinniger die halbe Führungsriege unserer Organisation einfach weg und der große Patron tut gar nichts! Onkel Abdullah, was glaubst du, was da draußen auf den Straßen geredet wird? Was hast du überhaupt für eine Vorstellung davon, was derzeit im Kiez los ist, wo unsere Leute ihr Geld im täglichen Konkurrenzkampf mit den Drogendealern der Balkan-Connection, mit den Russen, den schwarzen Dealern oder Straßengangs, die es auf eigene Faust versuchen, verdienen müssen? Da braut sich etwas zusammen, und du willst das einfach nicht sehen!“

Walid 'Walter' Tawil machte eine wegwerfende Handbewegung und fuhr sich anschließend durch das Haar und strich es mit einer fahrigen Geste nach hinten.

„Hat dir deine Frau eingeredet, dass du hier auftauchen sollst?“, fragte Al-Khalili. „Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass sie eine Hysterikerin ist und du früher oder später unter ihrem Pantoffel stehen wirst. Man sollte sich von Frauen nicht in die Geschäfte reinreden lassen, das ist mein fester Standpunkt. Und jetzt beruhige dich etwas.“

Walid Tawil verengte etwas die Augen. „Du hast gut reden, Onkel Abdullah! Schließlich hast du dich ja weit genug abgesetzt, hier her, in deine Villa, von der du auf die City hinabblicken kannst und gar nicht mehr mitbekommst, was da eigentlich abgeht. Du hast den Instinkt der Straße verloren, Onkel Abdullah! Jeder weiß, dass die Balkan-Connection hinter den Morden an unseren Leuten steht. Man erzählt es sich überall und fragt sich, wie lange der Mann, der sich gerne als Duce von Kreuzberg bezeichnen ließ, eigentlich noch warten möchte, bevor er so etwas wie eine Reaktion zu zeigen bereit ist!“

Abdullah Al-Khalili holte rief Luft, um zu einer Erwiderung anzusetzen. Aber überraschenderweise kam Raimund Scirea ihm zuvor.

„Abdullah, vielleicht hat der junge Kerl hier nicht ganz den Ton getroffen, der angemessen gewesen wäre...“, sagte Scirea und war sichtlich bemüht, die Situation zu entschärfen.

Al-Khalilis Mund wurde ein dünner Strich. „Wenn ich nicht in der Schuld deines Vaters stünde, würde ich ihn auf der Stelle umbringen!“, knurrte er dann einen Augenblick später. Sein Teint war dunkelrot geworden vor Zorn.

„...aber ich muss ihm in der Sache recht geben“, vollendete Raimund Scirea seinen Satz. „Wir müssen zurückschlagen und zeigen, dass wir Zähne haben, sonst denken zu viele, dass da vielleicht nur noch der blanke Gaumen eines alten Mannes ist.“

Ein Muskel zuckte knapp unterhalb von Abdullah Al-Khalilis linkem Auge. „Du kennst Darko Grusic viel länger als ich...“

„Das ist richtig.“

„Du warst es, der mich einst mit dem Kontaktmann der Balkan-Connection hier in Berlin bekannt gemacht hat!“

„Wir haben über Jahre hinweg gute Geschäfte gemacht!“

„Ich habe mich mit ihm getroffen und er hat mir sein Wort gegeben, dass er nichts mit dem Tod meiner Leute zu tun hat! Vielmehr hätte er selbst in letzter Zeit auch zwei seiner Unterbosse unter mysteriösen Umständen verloren.“

Raimund Scirea trat näher an Abdullah heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wir haben gute Jahre hinter uns, Abdullah. Sehr gute Jahre...“

Der große Boss hob die Augenbrauen.

Dieser sanfte Tonfall machte ihn nur um so misstrauischer.

„Wir wollen nicht übertreiben“, murmelte Abdullah Al-Khalili. „Aber ich beklage mich ja auch nicht.“

„Immerhin konnten die hässliche Seite des Geschäfts den Bluthunden auf der Straße überlassen und können es uns leisten, die angenehmen Seiten des Lebens zu genießen und uns in Paläste wie diese Villa hier zurückzuziehen. Aber diese Zeiten sind jetzt vorbei.“

Al-Khalili runzelte die Stirn und sah Raimund Scirea verwundert an. Die verbindlichen Worte des Conciliere waren also nichts anderes als eine Ouvertüre gewesen, und jetzt kam das, was er eigentlich zu sagen hatte.

Die bittere Pille, die er von Anfang an hatte verabreichen wollen. Bisher hatte er sich das allerdings wohl nicht getraut.

Der große Boss sah seinen Conciliere mit vor unterdrücktem Zorn funkelnden Augen an.

„Was redest du da?“, fauchte Al-Khalili. Er verzog den Mund und öffnete ihn auf eine Weise, die dem Zähne zeigen von Raubtieren mehr ähnelte als einem gepflegten Lächeln.

Raimund trat einen Schritt näher.

Er hielt dem Blick von Abdullah Al-Khalili stand.

Eisern.

„Wir sind zu weich geworden, Abdullah.“ Ein Satz für ein Todesurteil. Raimund Scirea sprach sehr ruhig und leise. „Die Balkan-Connection hat ihre Politik geändert. Dafür sprechen verschiedene Tatsachen, auf die ich dich in der letzten Zeit immer wieder hingewiesen habe – und ich war nicht der einzige. Darko Grusic mag ein Ehrenmann sein oder nicht – ich glaube, dass er entweder lügt oder gar nicht in das eingeweiht ist, was ein paar große Bosse beschlossen haben.“

„Jedenfalls ist die Zeit, in der wir annehmen konnten, dass die Balkan-Connection nur eine friedliche Koexistenz mit uns anstrebt, wohl vorbei!“, ergänzte Walid Tawil.

Aber Abdullah Al-Khalili beachtete Walid nicht weiter.

Stattdessen wandte er sich an den Conciliere.

„Raimund, du weißt, was das bedeuten würde, wenn wir gegen Grusics Leute losschlagen würden!“, meinte Al-Khalili und machte dabei eine weit ausholende Geste.

Raimund nickte. „Es wird Krieg geben“

„Allerdings!“

„Und zwar in einem Ausmaß, wie Berlin ihn lange nicht gesehen hat.“

Abdullah Al-Khalili schluckte. „Genau das möchte ich vermeiden. Ein Krieg nützt niemandem, das wissen wir alle. Friedliche Koexistenz und Zusammenarbeit ist doch am Ende für alle ertragreicher!“

Raimund Scirea zuckte ungerührt mit den Schultern.

In seinem undurchdringlichen, wie aus Stein gemeißelt wirkenden Gesicht war keinerlei Regung erkennbar.

„Sag das den Ballkan-Leuten, Abdullah“, schlug der Conciliere dann mit leisem Spott in der Stimme vor. „Die haben den Krieg längst erklärt.“

„Ach, ja?“

„Du merkst es nicht einmal.“

Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen. Abdullah Al-Khalili trat an die Fensterfront heran.

„Ich war keineswegs untätig“, erklärte er schließlich, wandte dabei den Kopf und fixierte Walid 'Walter' Tawil dabei auf eine Weise, die diesem äußerst unangenehm war. „Ich habe ein paar Leute losgeschickt, die der Sache auf den Grund gehen sollen. Die haben schon einiges herausbekommen, was ich eigentlich gar nicht wissen wollte, Walid.“ Abdullah Al-Khalili lächelte kalt. „Aber du hast natürlich keinerlei Vorstellung davon, was ich da meinen könnte, oder Walid?“

Walid 'Walter' Tawil schluckte.

„Nein. Natürlich nicht.“

„Wirklich nicht?“

„Keine Ahnung, was du meinst, Großonkel.“

„Geh jetzt, Walid. Ich möchte noch etwas mit meinem Conciliere unter vier Augen besprechen!“

Das war wie eine Ohrfeige für Walid Tawil.

Und genauso hatte Abdullah Al-Khalili es auch gemeint.

Die Blicke beider Männer begegneten sich noch für einen kurzen Moment.

Walid sagte kein einziges Wort mehr und verließ den Raum. Es war ihm anzusehen, dass er kurz vor der Explosion stand.

„Was haben deine Leute über ihn herausgefunden, Abdullah?“, fragte Raimund.

„Zum Beispiel, dass er mich betrügt“, erklärte Abdullah.

„Walid? Dein eigener Großneffe?“

„Ja.“

„Bist du sicher?“

„Ich sollte vielleicht mit dem Gegenschlag in den eigenen Reihen beginnen!“

Beide Männer schwiegen einen Augenblicke. Schließlich ergriff Raimund Scirea noch einmal das Wort und sagte: „Du musst Zähne zeigen, Abdullah. Etwas anderes bleibt dir gar nichts übrig.“

„Davon bin ich langsam auch überzeugt, Raimund.“

„Je schneller du etwas unternimmst, desto besser ist die Chance, dass du das Ganze noch zu einem positiven Ende führen kannst!“, glaubte der Conciliere.

Eine deutlich sichtbare Falte erschien auf der Stirn von Abdullah Al-Khalili. „Und was schlägst du da vor?“

„Engagiere ein paar diskrete Hit-men und lass sie ein paar von den Balkan-Leuten umlegen. Es muss ja nicht gerade Darko Grusic persönlich sein, mit dem sind wir schließlich immer ganz gut ausgekommen.“

„Wir wissen nicht, ob die Balkan-Leute wirklich unsere Feinde sind.“

„Spielt das eine Rolle, Abdullah? Hauptsache, deine eigenen Leute glauben wieder, dass du sie beschützt. Denn genau das erwarten sie von dir.“

„Ich werde tun, was nötig ist“, versprach er.

Sein Tonfall war eisig, aber Raimund Scirea schien das nicht zu bemerken.

„Da ist noch etwas, worüber wir reden müssen“, erklärte Raimund dann.

Abdullah hob erstaunt die Augenbrauen.

„So?“

„Es geht um diese Frau, mit der Jimmy seit kurzem zusammenlebte.“

„Irgend so ein deutsches Flittchen wahrscheinlich. Große Dinger, nichts in der Birne.“

„Wir sollten trotzdem dafür sorgen, dass sie sich ruhig verhält. Schließlich wissen wir nicht, was Big Jimmy ihr möglicherweise so alles über seine Geschäfte erzählt hat oder was die Frau davon mitbekam. Aber ich denke, ein großzügiger Scheck könnte die Sache regeln.“

„Meinst du?“

„Meine ich.“

Sechs Krimis: Ferienkiller

Подняться наверх