Читать книгу Zeugen sind lästig: Krimi Sammelband 8 Thriller - Alfred Bekker - Страница 15
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Das Cadena-Building in der Seventh Avenue gehörte dem gleichnamigen Versicherungskonzern. Mit seinen dreißig Stockwerken war es für New Yorker Verhältnisse noch nicht einmal besonders groß.
Unser indianischer Kollege Agent Medina saß am Steuer des unauffälligen Chevys in grau-metallic. Der Wagen stammte aus dem Bestand unserer Fahrbereitschaft. Orry lenkte ihn in die Einfahrt der Tiefgarage des Cadena-Buildings hinein.
Clive Caravaggio saß auf dem Beifahrersitz.
Orry lenkte den Chevy auf Deck C.
Auf Platz Nr. 345 stand ein gelber Mitsubishi mit getönten Scheiben.
"Das ist er", meinte Orry.
"Ich habe ja gesagt, dass man sich auf Les Bellone verlassen kann", sagte Clive.
"Ich hoffe, dein Super-Informant hat uns diesmal auch etwas mehr als nur heiße Luft anzubieten..."
Orry parkte neben dem gelben Mitsubishi.
Clive öffnete die Tür, stieg aus.
Orry folgte einen Augenblick später. Gleichzeitig tat sich auch etwas in dem Mitsubishi. Die Fahrertür wurde geöffnet. Ein grauhaariger Mittfünfziger stieg aus, blickte sich nervös um.
"Hallo, G-man", grinste er dann schief.
"Sie haben es ja diesmal ziemlich dringend gemacht, Bellone!", meinte Clive.
Leslie D. Bellone hatte einen Frisörsalon in Little Italy.
Wir nahmen an, dass Bellones Salon jahrelang als Geldwaschanlage für den alten Antonioni fungiert. Seit sein Sohn die Geschäfte übernommen hatte, war Bellones Stern gesunken. Vor zwei Jahren war Bellones Schwiegersohn bei einem mysteriösen Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Dafür machte Bellone Joe Antonioni jr. verantwortlich, auch wenn es keine gerichtsverwertbaren Beweise gab. Aber Bellone übte auf seine Weise Rache. Er versorgte den FBI mit Informationen. Und dazu war er in einer denkbar guten Position, denn sein Frisörsalon war ein beliebter Treffpunkt zur Abwicklung von Geschäften.
Seit den Zeiten von Antonioni sen. vertraute man ihm.
"Hören Sie zu, Agent Caravaggio, Ihnen werden die Ohren abfallen!"
"Ich bin gespannt. Sagen Sie bloß, jemand hat mit Sakalit-13 gehandelt?"
Bellone schüttelte den Kopf. "Fehlanzeige."
"Hätte ja sein können."
"Aber die Sache mit Jacko Swanson und Tony Pompetta hat einige Leute ziemlich nervös gemacht. Joe Antonioni jun. übernimmt jetzt jedenfalls wieder Pompettas Geschäfte. Und es gibt einige Leute, die sagen, dass Antonioni den größten Vorteil von Pompettas Ableben hat! Und Jacko Swanson war ja gewissermaßen nur Pompettas Laufbursche. Der zählt nicht. Du kannst fragen, wen du willst, die meisten sind davon überzeugt, dass Antonioni hinter dem Tod der beiden steckt!"
Clive hob die Augenbrauen. "Das hätte ich mir notfalls noch selbst zusammenreimen können", meinte er etwas enttäuscht. "Swanson hat sich wahrscheinlich selbst in die Luft gesprengt, um Pompetta zu töten. Können Sie sich dafür irgendeinen Grund denken?"
"Vielleicht hatte Antonioni ihn in der Hand."
"Womit?"
"Keine Ahnung. Aber Antonioni hat gegen so gut wie jeden etwas in der Hand."
"Auch etwas, womit man jemanden zwingen könnte, sich selbst in die Luft zu sprengen? Das ist absurd."
"Hören Sie, G-man, dazu kann ich nichts weiter sagen. Aber ich kann Ihnen Antonionis Motiv nennen, Pompetta aus dem Weg zu räumen."
"Pompetta wollte die Macht. Antonioni hatte keine Lust sie abzugeben. Das wissen wir, Mr. Bellone", mischte sich Orry ein.
Aber Bellone schüttelte den Kopf. "Davon rede ich nicht. Ich meine etwas anderes. Pompetta wollte einen Riesendeal mit gefälschten Medikamenten gegen Milzbrand machen. Billige Placebos, die er in den Handel bringen wollte. Von den Originalprodukten waren sie angeblich nicht zu unterscheiden."
"Und, was ist daraus geworden?"
"Antonioni wollte ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Er hatte den Lieferanten herausbekommen und beabsichtigte, sich direkt mit ihm zu einigen."
Jetzt wurde es interessant. "Wer ist der Lieferant?", fragte Clive Caravaggio.
"Bevor ich Ihnen darauf eine Antwort gebe, möchte ich, dass für meine Tochter gesorgt ist. Was ich hier mache ist verdammt gefährlich, und seit Antonioni meinen Schwiegersohn umbrachte, ist meine Tochter an einer schweren Depression erkrankt. Sie ist nicht mehr in der Lage, für sich selbst zu sorgen."
"Sie wollen mehr Geld?", schloss Clive.
"Ja."
"An wie viel mehr dachten Sie denn?"
Bellone hob die Augenbrauen, kratzte sich am Kinn. Eine rötliche Lichterscheinung lenkte Orry für den Bruchteil einer Sekunde ab. Er blickte zur Seite.
Der Strahl eines Laserpointers, durchzuckte es ihn.
Dieser Strahl war für einen winzigen Moment auf eine Autoantenne aufgetroffen und dadurch sichtbar geworden.
Irgendwo in der Nähe saß einer mit einer Waffe, die über eine Laserzielerfassung verfügte!
"Vorsicht!", brüllte Orry.
Er gab Bellone einen Stoß, duckte sich dabei.
Der erste Schuss zischte haarscharf an Bellones Rücken vorbei. Die Kugel fraß sich durch das Blech des gelben Mitsubishi. Eine zweite Kugel folgte nur einen Sekundenbruchteil später, ließ eine Scheibe klirren. Dann wurde plötzlich aus mehreren Richtungen gefeuert.
Maschinenpistolen knatterten los. Scheiben zersprangen.
Clive hatte seine SIG in der Faust, sandte ein paar Schüsse in Richtung der Angreifer. Bellone schrie auf. Eine Kugel hatte ihn erwischt. Orry beugte sich über ihn, zog ihn noch weiter zurück, damit er sich nicht so in der Schusslinie befand.
Aber was Bellone anging, so kam wohl jede Hilfe zu spät.
Seine Augen wurden starr. Der Treffer hatte den Brustkorb durchschlagen. Blut rann ihm aus dem Mund.
Zwischen den Wagen gingen Clive und Orry in Deckung.
Das MPi-Feuer war dermaßen stark, dass den beiden G-men nichts anderes übrig blieb, als zusammengekauert in der Deckung zu bleiben.
Ein Wagen brauste mit quietschenden Reifen durch die Tiefgarage. Das Feuer verebbte.
Clive tauchte hervor, sah einen Lieferwagen.
Der Wagen trug den Aufdruck einer Pizza-Express-Firma.
Eine Schiebetür ging auf. Mit MPis Bewaffnete in dunklen Sturmhauben, bei denen nur die Augen frei blieben, tauchten aus ihrer Deckung hervor. Ihre Komplizen gaben ihnen dabei Feuerschutz.
Clive hatte gerade einen Schuss abgegeben, als er schon wieder den Kopf einziehen musste.
Die Maskierten sprangen in den Lieferwagen. Er brauste los. Man konnte hören, wie die Schiebetür geschlossen wurde.
Orry schnellte hoch, legte die SIG zu einem gezielten Schuss an. Er feuerte mehrfach hintereinander. Die Kugel prallten an der Rückfront ab. Eine blieb in der Heckscheibe des Lieferwagens stecken. Das Projektil war jetzt das Zentrum einer Art Spinnennetz-Muster.
In einem halsbrecherischen Tempo raste der Wagen davon.
Clive hatte bereits das Handy in der Hand. Ein Knopfdruck und die Kurzwahlfunktion verband ihn mit unserem Hauptquartier. Er gab die Wagennummer durch, auf die der Lieferwagen zugelassen war. Die Fahndung musste sofort beginnen. Möglicherweise waren ja ein paar Kollegen vom FBI oder der City Police in der Nähe, die sich einschalten konnten.
Orry setzte unterdessen zu einem kleinen Spurt an, Er feuerte, zielte dabei auf die Reifen.
Aus einem geöffneten Seitenfenster heraus wurde Orry dann unter Feuer genommen. Er musste sich ducken. Eine Mpi knatterte. Die Projektile kratzten am Metall der umstehenden Autos vorbei. Hier und da wurden Löcher durch das Blech gestanzt.
Clive war inzwischen in den Chevy gestiegen, hatte zurückgesetzt. Die Reifen quietschten jedesmal. Clive ließ den Chevy einen Satz nach vorn machen.
Orry sprang zur Seite.
Clive übernahm die Verfolgung. Er trat das Gaspedal voll durch, um dem Lieferwagen auf den Fersen zu bleiben. Der Chevy brauste die Gasse zwischen den parkenden Fahrzeugen entlang. Bei der nächsten Biegung musste Clive scharf bremsen. Das Heck brach ein Stück aus, aber er konnte den Wagen unter Kontrolle halten.
Der Lieferwagen befand sich bereits auf der Rampe, die ins nächste höhere Parkdeck führte. Ein Fenster des Lieferwagens war offen.
Der kurze Lauf einer MPi ragte heraus.
Die Waffe knatterte los.
Clive duckte sich, trat auf die Bremse. Die Frontscheibe des Chevys zersprang. Ein Scherbenregen ging auf unseren Kollegen nieder.
Als der Kugelhagel verebbte und Clive sich wieder aufrichten konnte, war der Pizza-Wagen die Rampe hochgefahren und verschwunden. Clive wischte sich die Scherben aus den Haaren.
Vielleicht konnte er ja darauf vertrauen, dass Orry inzwischen auch den Sicherheitsdienst des Cadena-Buildings alarmiert hatte. Wie schnell es den Security Guards allerdings gelang, die Ausfahrt der Tiefgarage abzusperren, war fraglich.
Clive trat das Gaspedal durch.
Die Reifen drehten durch. Der Chevy legte einen Blitzstart hin. Clive ließ den Wagen die Rampe hinaufrasen. Das Tempo war halsbrecherisch. Der Fahrtwind blies Clive von vorn ins Gesicht. Er kniff die Augen zusammen.
Als er die Rampe hinter sich hatte, ging es scharf um die Kurve. Dann folgte noch eine Biegung und die Strecke bis zur Ausfahrt lag offen vor ihm.
Der Lieferwagen hatte die Ausfahrt schon fast erreicht.
Zwei uniformierte Security Guards waren dort postiert.
Sie hatten ihre Pistolen in der Faust.
Aber der Lieferwagen beschleunigte noch.
Einer der Security Guards feuerte einen Warnschuss ab, dann zielte der andere auf die Reifen. Zum Schuss kam er jedoch nicht mehr. Aus dem Lieferwagen heraus wurde mit MPis gefeuert. Die beiden Security Guards sanken dutzendfach getroffen zu Boden.
Der Lieferwagen hielt kurz an der elektronischen Schranke. Der Fahrer steckte die Parkkarte in den Schlitz, die Schranke hob sich. Gleichzeitig langte einer seiner Komplizen aus dem hinteren Fenster und klebte etwas an die Konsole.
Der Lieferwagen brauste davon. Die Schranke senkte sich.
Clive raste mit seinem Chevy heran.
Sekundenbruchteile blieben ihm, um zu entscheiden, ob er bremsen oder einfach durch die Schranke hindurchrasen sollte.
Er bremste.
An der Konsole kam der Chevy zum Stehen.
Clives Blick wanderte dorthin, wo einer der Killer etwas an die Konsole geklebt hatte.
Es handelte sich um eine knetgummiartige Masse, von der ein Klumpen vom Volumen eines Daumens an das Metall der Konsole gedrückt worden war. In der Mitte befand sich ein Metallteil. Nicht größer als ein Fingernagel.
Sprengstoff!, durchfuhr es Clive.
Er öffnete die Tür des Chevy, rannte ein Stück zurück, blieb dann in einer vermeintlich sicheren Entfernung stehen. Das Metallteil in der Mitte musste der Zünder sein.
Vermutlich ein elektronischer Zünder. Aber kein Mensch konnte dem Ding ansehen, was die Detonation auslösen würde.
Clive griff zum Handy.
Die Ausfahrt musste schnellstens weiträumig abgesperrt und Sprengstoffexperten herbeigerufen werden.