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New York 2001

Wir trugen Nachtsichtgeräte und kugelsichere Westen.

Mitten im Ramble, dem ausgedehnten Waldgebiet im Central Park, befanden sich mehrere Limousinen mit laufendem Motor auf einen schmalen, unbefestigten Weg, der normalerweise nur von Joggern benutzt wurde. Etwa ein halbes Dutzend Personen standen herum. Männer in dunklen Anzügen und MPis im Anschlag ließen nervös den Blick schweifen.

Ein hagerer Mann mit grauen Haaren und ein Koloss mit starkem Übergewicht standen sich gegenüber. Jeder hatte einen seine bewaffneten Leibwächter in der Nähe. Unter den Bodyguards des Hageren befand sich mein Freund und Kollege Special Agent Milo Tucker...

Wir hatten ihn als verdeckten Ermittler bei Jacko Swanson, einem Kokain-Händler untergebracht. Da einige von Swansons Leuten in letzter Zeit bei den immer wieder aufflackernden Gangsterkriegen umgekommen waren, hatte Milo die Chance gehabt, ziemlich schnell in eine ziemlich wichtige Position zu kommen. Über die Mikrofone, die Milo am Körper trug, hörten wir jedes Wort, das gesprochen wurde.

Wir standen kurz vor dem entscheidenden Moment.

Der Mann, an den wir eigentlich heran wollten, war der Dicke.

Tony Pompetta, einer der aggressivsten Gangster, die zur Zeit aus Little Italy kamen. Er hatte einen Teil des Kokain-Handels binnen kürzester Zeit unter seine Kontrolle gebracht. Wir hatten Grund zu der Annahme, dass er dabei nicht einmal vor der Ermordung von Verwandten haltgemacht hatte. Ein Mafiosi, dem die Regeln der Altvorderen offenbar nicht sonderlich viel bedeuteten. Pompetta war 32 - wenn ihm nicht ein früher Tod durch seine Fettsucht einen Strich durch die Rechnung machte, hatte er eine glänzende Karriere in der Unterwelt vor sich.

Aber wir dachten gar nicht daran, ihn noch weiter hochkommen zu lassen.

Pompetta hatte jetzt schon genug auf dem Kerbholz.

Und in dieser Nacht wollten wir den Sack zumachen.

Irgendwo zwischen den Büschen saß einer unserer Kollegen mit einer Video-Kamera. Richtmikrofone waren außerdem noch auf die Szenerie gerichtet. Wir waren also nicht nur auf die Mikros angewiesen, die Milo gut getarnt am Körper trug.

Man konnte nie wissen... Das Schlimmste, was uns passieren konnte war, am Ende ohne gerichtsverwertbare Beweise in nennenswertem Umfang vor dem District Attorney zu stehen.

Dieser Schlag gegen das organisierte Verbrechen musste sitzen.

Andernfalls hatten wir in den nächsten Jahren einiges an Ärger zu erwarten.

Denn zweifellos hatte der Dicke große Pläne.

"Erst das Geld!", sagte einer von Pompettas Leuten.

Wir hörten ihn alle über unsere Ohrhörer. Ich hielt die Dienstpistole vom Typ SIG Sauer P226 mit beiden Händen, wie zwei Dutzend weitere G-men bereit dazu, jeden Moment aus dem Gebüsch hervorzustürzen und der Aktion den krönenden Abschluss zu geben: Pompettas Verhaftung, nachdem man ihn in flagranti beim Deal seines Lebens erwischt hatte.

Jeder von uns wartete darauf, dass der stellvertretende Special Agent in Charge Clive Caravaggio den Einsatzbefehl an uns alle weitergab.

Bis dahin hieß es, regungslos auszuharren.

Jacko Swanson winkte einem seiner Leute. Ein bulliger Kerl im dunklen Anzug kam mit einem Koffer herbei, öffnete ihn, sodass Tony Pompetta den Inhalt sehen konnte.

"Jetzt die Ware!", forderte Jacko Swanson.

In Tony Pompettas Mundwinkel steckte ein Zigarrenstummel.

Er nahm ihn mit zwei Fingern heraus, verzog das Gesicht.

Das Ding war ihm offenbar verloschen. Anstatt etwas zu sagen, machte er eine knappe Geste. Einer seiner Leute öffnete einen Kofferraum. Pompetta deutete dorthin. Er spuckte irgendetwas aus, winkte Swanson herbei und ging mit ihm zusammen zum Wagen.

Die Leibwächter beider Seiten wurden etwas nervös, als Pompetta seine fleischige Pranke auf Jackos Schulter legte.

Sie erreichten den Wagen.

Es standen zu viele Leute herum. Man konnte nicht sehen, was sich im Kofferraum befand. Aber wenn sich unser V-Leute-Netz nicht völlig vertan hatte, dann war der Kofferraum voll von sorgfältig abgepacktem Kokain höchster Reinheitsstufe.

Milo wich etwas zurück.

Er wusste, dass es gleich losgehen würde. Sein Blick streifte kurz über die umliegenden Gebüsche.

Er wollte natürlich möglichst nicht in der Schusslinie stehen, wenn es losging.

Wir trugen Kevlar-Westen, Milo aber nicht.

Pompetta nahm ein Plastikpäckchen aus dem Kofferraum heraus. Der Inhalt war weiß.

"Hier, Jacko! So guten Stoff hast du noch nie...!"

Weiter kam Pompetta nicht mehr.

Eine gewaltige Detonation riss Jacko Swanson förmlich auseinander und erwischte auch den nur wenige Zentimeter von ihm entfernt stehenden Pompetta. Beide wurden durch einen Feuerball eingehüllt. Die in der Nähe stehenden Leibwächter wurden wie Puppen durch die Luft geschleudert. Schreie gellten durch die Nacht.

"Verdammt, was ist da los?", hörte ich meinen Kollegen Fred LaRocca über mein Headset, das mich mit den anderen akustisch verband.

Ganz offensichtlich war jemand schneller als wir gewesen und hatte Pompetta auf seine Weise ausgeschaltet.

Leider würde ihm jetzt niemand mehr irgendwelche Fragen stellen können.

Aber das war vielleicht auch der Sinn dieser Aktion.

Druckwelle und Hitze waren bis zu uns spürbar gewesen.

Wer immer dahinter stehen mochte, hatte auf Nummer sicher gehen wollen.

Sekunden später glich der Treffpunkt mitten im Ramble einem Schlachtfeld. Schrecklich verstümmelte, halbverkohlte Leichen und Leichenteile lagen überall herum.

Die Überlebenden rappelten sich auf. Einer der Kerle ließ vor lauter Nervosität seine Uzi losknattern. Einige Zweige kamen von den Bäumen herunter.

"Einsatz!", befahl Clive Caravaggio über Headset an alle.

Auch wenn diese Aktion absolut nicht so verlaufen war, wie wir sie geplant hatten - wir mussten sie jetzt so zu Ende bringen, dass uns wenigstens die niederen Chargen der Bande nicht durch die Lappen gingen. Ich sah mich nach Milo um.

Er trug zwar Mikros am Körper, sodass wir hören konnten, was in seiner Umgebung gesprochen wurde. Aber ein Ohrhörer wäre zu risikovoll gewesen.

Wir stürzten mit der Waffe im Anschlag aus unserer Deckung hervor.

"FBI! Waffen fallenlassen!", erscholl es über ein Megafon.

Offenbar glaubte einer der Kerle nicht daran, er ballerte mit seiner Uzi drauflos. Ich warf mich zu Boden.

Sandra Mancino, eine junge Agentin, die gerade frisch von Quantico gekommen war, erwischte die Garbe voll. Ihr Körper zuckte. Der Großteil der Projektile traf sie am Oberkörper.

Dort, wo die Kevlar-Weste sie gut schützte. Trotzdem konnten solche Treffer blaue Flecken, manchmal sogar Rippenbrüche verursachen, denn die Aufprallenergie der Geschosse wurde durch die Undurchlässigkeit der Weste ja lediglich auf ein größeres Gebiet verteilt, sodass ihnen die Durchschlagskraft genommen wurde. Die Wucht blieb.

Sie schrie auf.

Eine Kugel erwischte sie am Kopf.

Der Uzi-Mann ließ uns keine andere Wahl.

Nur Sekundenbruchteile später zuckte auch sein Körper.

Mehrere von uns feuerten auf ihn. Er sackte zu Boden, blieb regungslos liegen.

Vielleicht hatte er einfach nicht daran glauben können, dass es wirklich das FBI war, das sie eingekreist hatte.

Angesichts der Explosion hatte er wohl eher mit einer konkurrierenden Gang gerechnet.

Für Agentin Sandra Mancino war es der erste und letzte Einsatz dieser Art gewesen.

Wir rappelten uns auf, stürmten weiter. Die anderen überlebenden Gangster waren zum Glück vernünftiger. Angesichts der Übermacht warfen sie die Waffen weg. Jetzt sah ich auch Milo. Er hatte sich hinter einer der Limousinen verschanzt.

Einen nach dem anderen nahmen wir fest. Insgesamt fünf Personen. Ein weiterer war in einem beklagenswerten Zustand. Er lag in seinem Blut. Über Funk forderten wir den Emergency Service an. Meine Kollegen Orry Medina und Fred LaRocca führten Erste-Hilfe-Maßnahmen durch, aber es war fraglich, ob sie ihn lange genug durchbringen konnten.

Ich steckte schließlich die SIG wieder ein, wandte mich an Milo.

"Alles okay?"

"Mit mir schon, Jesse."

"Das meinte ich."

Milo war so geschockt wie wir alle. Vielleicht sogar noch ein bisschen mehr. Denn um ein Haar hätte auch er so dicht bei der Detonation gestanden, dass nicht viel mehr als ein paar abgerissene, halbverkohlte Gliedmaßen von ihm übrig geblieben wäre.

Ich hörte beiläufig, wie Clive Caravaggio die Kollegen der Scientific Research Division, des zentralen New Yorker Erkennungsdienstes anforderte. Außerdem sollte Al Baldwin, unser Chef-Feuerwerker, so schnell wie möglich den Weg hier her finden. Wahrscheinlich befand sich Al gerade im Bett und musste erst herausgeklingelt werden. Aber was die Detonation anging, die hier stattgefunden hatte, so mussten wir einen Spezialisten an die Sache heranlassen.

Milo und ich traten an den Kofferraum der Limousine heran, vor dem Jacko Swanson und Tony Pompetta ihren Deal hatten über die Bühne bringen wollen.

Überall war Kokainstaub.

Stoff in einem Wert, wie ihn sich ein gewöhnlich Sterblicher kaum vorstellen konnte, war im wahrsten Sinn des Wortes in die Luft gegangen. Einiges war direkt verschmort.

Aber einige Kilos verwehte jetzt der Wind.

"Sandra Mancino hat es erwischt", meinte ich.

"Die Neue?", fragte Milo.

"Ja."

"Verdammt."

Ich sah mir die Stelle an, an der die Überreste von Pompetta und Swanson zu finden waren. Es war kaum etwas von den beiden übriggeblieben. Ein Anblick wie aus einem Gruselkabinett. Es konnte einem schlecht werden dabei.

"Offenbar hat Pompetta es mit seinem aggressiven Eroberungskurs etwas übertrieben", meinte ich.

Milo nickte düster.

Wir sind beide einiges gewöhnt. Schließlich kommt es im Rahmen unserer Tätigkeit als G-men häufig vor, dass wir einen Tatort in Augenschein nehmen müssen. Aber diesmal war Milos Gesicht ziemlich blass geworden.

"Die Zahl von Pompettas Feinden dürfte genauso schnell angestiegen sein wie die Zahl seiner Untergebenen!", meinte mein Freund und Kollege.

"Fällt dir irgendetwas ein, was im nachhinein auf das hier hinwies?", fragte ich Milo. Schließlich war er in den letzten Wochen beinahe rund um die Uhr in Swanson Umgebung gewesen.

Milo wirkte nachdenklich, schüttelte dann schließlich den Kopf.

"Das sollte ein ganz normaler Deal werden. Vielleicht etwas größer als bisher. Swanson sollte von Pompetta zu einem seiner Hauptverteiler aufgebaut werden."

"Sagte Swanson das?"

"Ja. Aber Jacko ging davon aus, dass ihm in Pompettas Organisation eine blendende Zukunft bevorstünde."

"Offenbar hatte jemand was dagegen..."

"Allerdings!" Milo machte eine kurze Pause, ehe er dann fortfuhr: "Die beiden hatten übrigens noch ein anderes Geschäft vor."

"Welches?"

"Handel mit gefälschtem CyproBay. Du weißt doch, dieses Anti-Milzbrand-Präparat. Der Hersteller kommt mit der Lieferung kaum nach und verdient sich 'ne goldene Nase daran, seit ein paar Irre dazu übergegangen sind, Milzbrandsporen in großem Stil über die Post an Senatsabgeordnete und Medienvertreter zu verschicken."

Eine regelrechte Hysterie war seitdem in dieser Hinsicht ausgebrochen. Auch bei unseren Kollegen vom CIA waren schon derartige, mit Milzbrand-Sporen versehene Sendungen eingegangen. Ob islamistische Terroristen dahintersteckten oder einheimische Terror-Gruppen war noch nicht klar. Zur Zeit sah es eher danach aus, dass dieser mörderische Spuk aus unserem eigenen Land kam. Und dann gab es natürlich die unzähligen Trittbrettfahrer, die statt Milzbrandsporen nur Waschpulver versandten, um damit Panik auszulösen.

Pompetta schien eine andere Art von Trittbrettfahrer gewesen zu sein.

Mit nachgemachten und vielleicht sogar völlig wirkungslosen Anti-Milzbrand-Präparaten konnte man jetzt vielleicht ein Vermögen machen. Aber nur, wenn man schnell war. Wenn der Bayer-Konzern die Produktion erst gesteigert und die US-Regierung sich reichlich bevorratet hatte, war die Gewinnchance vertan.

"Was wusste Swanson darüber?", fragte ich.

Milo machte eine wegwerfende Handbewegung.

"Ich würde sagen gar nichts. Er war nur völlig happy darüber, dass der große Pompetta auch ihn an diesem Business beteiligen wollte!"

"Dann herrschte also wirklich Sonnenschein zwischen den beiden!"

"Absolut!"

Zeugen sind lästig: Krimi Sammelband 8 Thriller

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