Читать книгу Sammelband 4 Krimis: Amok-Wahn und andere Thriller - Alfred Bekker - Страница 12
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Ken Woods hatte Angst, wollte sich das aber nicht eingestehen. Er verkaufte zum ersten Mal in seinem Leben Rauschgift. Seine Freunde hatten ihn dazu gedrängt. Sie lebten davon, und Ken war von ihrem Lebensstil fasziniert. Er war Halbwaise und wohnte mit seinem Vater in einer großen Wohnung mitten in Manhattan. Er hatte zwar keine finanziellen Sorgen, fühlte aber einen unbestimmten Drang, aus den üblichen Gewohnheiten auszubrechen. Das war auch kein Wunder, denn er war erst 23 Jahre alt.
Ken hatte seine Freunde bedrängt, ihn an ihren Geschäften teilhaben zu lassen. Schließlich hatten sie ihn in ihre Verteilerorganisation aufgenommen. Trotzdem hatte er keine Ahnung, wie und von wem sie den Stoff bezogen. Man hatte ihm ein bestimmtes Quantum gegeben, ihm die Adressen genannt und die Preise, die er dafür fordern musste.
Zuerst hatte Ken es sehr aufregend gefunden, aber nach dem ersten Besuch in einer Art Kommune fühlte er sich abgestoßen von dem, was er sah. Er wünschte, er hätte die Runde bereits hinter sich. Das Haus, vor dem er stand sah ziemlich verkommen aus. Er verglich die Adresse mit dem Zettel, den man ihm gegeben hatte, aber die Adresse stimmte. Er zögerte noch, das Haus zu betreten und verspürte wieder das unbestimmte Angstgefühl. Es war später Nachmittag, und viele Leute beeilten sich, von ihrem Arbeitsplatz nach Hause zu kommen.
Kens Hand umkrampfte das Päckchen mit den kleinen Tüten und ihrem weißen pulverigen Inhalt. Dann entschloss er sich und betrat das Haus. Es ging eine Treppe hoch, und dann sollte es die erste Tür rechts sein. Sein Herz klopfte, als er die Treppe hochschlich. Im Haus war es still, als sei das Gebäude verlassen.
An der Tür stand kein Name. Ken Woods streckte langsam die Hand aus und drückte auf den Klingelknopf. Er zuckte zusammen, als er das Schrillen hörte. Er trat zurück, um sofort die Treppe hinunterlaufen zu können, wenn irgendetwas nicht stimmte. Aber man hatte ihm gesagt, dass es bei den Adressen, die man für ihn ausgesucht hatte, keine Schwierigkeiten geben würde.
Er hörte Schritte hinter der Tür und spürte, wie sein Herz klopfte. Die Tür öffnete sich einen Spalt, und ein Gesicht erschien in der Öffnung. Es sah nicht aus wie das Gesicht eines Rauschgiftsüchtigen.
Es war kantig mit scharf geschnittenen Zügen und gehörte zu einem hochgewachsenen Mann, der ihn aufmerksam betrachtete. Dann erschien ein Lächeln auf dem Gesicht, ohne dass die dunklen Augen mitlächelten, die Tür öffnete sich weiter, und der Mann streckte die Hand aus. „Du bringst sicher den Stoff“, sagte eine leise Stimme.
Ken wich unwillkürlich ein Stück zurück, aber schon schoss ein Arm vor und packte ihn am Handgelenk. Der Griff war fest wie ein Schraubstock. „Komm ein paar Minuten herein, mein Junge. Ich möchte mit dir reden.“
Ken schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Sir“, stammelte er. „Ich habe keine Zeit. Ich habe noch ziemlich viel zu tun. Ich soll nur etwas abgeben und dafür fünfzig Dollar kassieren.“
Der Mann nickte grimmig und zog ihn mit einem heftigen Ruck in die Wohnung. „Dann bist du hier genau richtig.“ Er gab Ken einen kräftigen Stoß zwischen die Schulterblätter, und der Junge taumelte gegen eine Wand. Mit schreckgeweiteten Augen sah er den Mann an.
Der andere grinste böse und trat mit dem Fuß gegen die Wohnungstür, die sich mit lautem Knall schloss. „So, mein Junge, jetzt zeig’ mir mal, was du mitgebracht hast.“ Er streckte fordernd die Hand aus.
Ken sah, dass er dünne schwarze Lederhandschuhe trug. Er sah keine andere Möglichkeit, als zu tun, was der Mann verlangte. Langsam zog er das Päckchen aus der Tasche und hielt es dem Mann entgegen. Der nahm es mit einer fast nachlässigen Handbewegung und riss es auf. Er öffnete eine der Tüten, befeuchtete einen Finger und steckte ihn in das weiße Pulver. Dann probierte er mit der Zungenspitze.
„Du bietest eine verdammt schlechte Qualität an, mein Junge. Der Stoff ist mit Traubenzucker gestreckt. Ich glaube nicht, dass du für eine solche Tüte fünfzig Dollar bekommst.“
Ken verzog das Gesicht. „Davon verstehe ich nichts. Ich verteile den Stoff nur. Und man hat mir gesagt, dass eine Tüte fünfzig Dollar kostet und nicht einen Cent weniger. Wenn Ihnen die Qualität nicht passt, geben Sie mir die Tüten zurück.“
Der Mann lachte kurz auf. „Du bist also ein kleiner schmutziger Dealer, der selbst gar nicht weiß, was er verkauft. Du verdienst dein Geld am langsamen Tod deiner Mitmenschen. Du bist ein mieses kleines Schwein.“ Der Mann starrte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an, und in seinen Augen war ein fanatisches Glimmen.
„Nehmen Sie denn kein Rauschgift?“, stammelte Ken, der immer noch nicht begriffen hatte.
„Nein!“, sagte der andere hart und stieß Ken weiter vorwärts. Sie gelangten in eine total verdreckte Küche. Der Mann öffnete alle Tüten und schüttete ihren Inhalt in den Ausguss. Dann spülte er das weiße Pulver in den Abfluss. Ken sah ihm fassungslos zu.
Der Mann drehte sich herum und betrachtete den jungen Mann. „Der Kerl, dem du den Stoff bringen wolltest, wurde heute Vormittag verhaftet. In seinem Zustand hat er uns alles verraten, was wir wissen wollten - auch, wann er seine Lieferung erhält. Und so habe ich einfach auf dich gewartet.“
„Sie sind also von der Polizei?“, fragte Ken und verspürte eine Art Erleichterung, dass sein Job so schnell beendet wurde.
„Zurzeit bin ich außer Dienst“, sagte der andere, „und in dieser Zeit erledige ich immer ein paar Sachen, zu denen ich sonst nicht komme. Die Polizei ist nämlich total überlastet.“
„Bin ich verhaftet?“
Der Mann schüttelte den Kopf. „Das lohnt sich nicht.“
„Also wollen Sie mich laufen lassen? Ich habe das heute auch zum ersten Mal getan. Ich wollte sowieso die Finger von dieser Sache lassen. Kann ich dann gehen?“
Der Mann saß ein bisschen traurig aus. „Das Problem mit euch ist, dass ihr immer Versprechungen macht, die ihr nicht haltet. Und deshalb sorge ich dafür, dass Typen wie du keine Gelegenheit mehr haben, ihr Versprechen zu brechen.“
Ken spürte wieder, wie die Angst in ihm hochstieg. Eine eisige Hand griff nach seinem Herzen. Von dem Mann ging eine Bedrohung aus, die er nicht begriff. „Ich verstehe nicht, was Sie meinen.“
Der Mann griff in seine rechte Jackentasche und zog einen Revolver mit aufgesetztem Schalldämpfer heraus. „Es gibt nur eine Möglichkeit, euch die Verbrechen auszutreiben. Wenn das Recht versagt, müssen wir es selbst in die Hand nehmen. Früher hat das auch funktioniert.“ Ken schrie auf und wich bis zur Wand zurück. „Aber das dürfen Sie nicht! Das ist Mord! Ich habe doch nichts getan. Sie können mich doch nicht einfach umbringen!“
Der Mann verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln und hob den Revolver. „Ich hoffe, meine Maßnahmen sprechen sich allmählich in euren Kreisen herum. Stirb jetzt wenigstens wie ein Mann.“
Ken schrie und weinte gleichzeitig und versuchte, sich mit einem Satz aus der Schusslinie zu bringen. Er stolperte über einen Küchenstuhl und rutschte über den schmutzigen Fußboden.
Die beiden Schüsse kamen so schnell, dass sie wie ein einziger klangen. Sie waren nicht lauter als das Knarren einer Diele.
Die Kugeln erwischten Ken noch mitten im Fall. Als er über den Boden rutschte, zog er eine blutige Spur hinter sich her. Er prallte gegen den Küchenherd, der seine Bewegung stoppte, dann lag er still. Die erste Kugel hatte ihn in die Brust getroffen, die zweite zerriss seine Halsschlagader. Die rote Lache wurde schnell größer.
Der Mann steckte seine Waffe ein und ging auf den Toten zu, wobei er es sorgfältig vermied, in die Nähe der Blutpfütze zu treten. Er bückte sich, öffnete die Finger der rechten Faust des Toten und ließ einen kleinen glänzenden Gegenstand in die Handfläche gleiten.
Dann schloss er die Hand wieder.