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Mario di Socca verließ das Gerichtsgebäude als strahlender Sieger. Er trat auf die breite Freitreppe und winkte seinen zahlreichen Freunden zu, die sich am Fuße der Treppe versammelt hatten und ihm begeistert zujubelten.

Die Blitzlichter der Reporter zuckten, und Mario zeigte sein weißes Gebiss. Er hatte gelernt, sich mit den Reportern gut zu stellen, denn er las seinen Namen gern in der Zeitung. Vor seinem Auge sah er schon die Schlagzeilen des nächsten Tages: Wieder Freispruch für mutmaßlichen Gangsterboss - Mario di Socca ist nichts nachzuweisen.

Seine Freunde drängten sich um ihn, und er musste viele Hände schütteln. Da war Geno Vecchio, der alte Capo der Familie, Überlebender von zahlreichen Gangsterschlachten; Vito Savoia, sein engster Vertrauter und Herr über Dutzende von illegalen Spielhöllen. Stefano Bernardo drückte ihm die Hand - er kontrollierte Prostituierte und Wettbüros.

Dino d’Annunzio war da, Schmuggel und Erpressung war sein Metier; und selbst der alte Bonnanzone war gekommen, der immer noch an vielen Fäden zog.

Mario di Socca war glücklich. Er sonnte sich in der Bewunderung seiner Freunde, die nicht alle immer so viel Glück hatten wie er. Mancher von ihnen hatte mehrere Jahre seines Lebens in Gefängnissen verbracht. Nur di Socca war noch niemals verurteilt worden. Die Anklagen hatten von Erpressung über Steuerhinterziehung und Rauschgiftschmuggel bis zu Mord gereicht.

Aber zu beweisen war es nie.

Auch diesmal hatte er keine Befürchtungen gehabt. Er leistete sich die besten Anwälte, und sie hatten ihn wieder herausgepaukt. Er konnte sich jetzt in Ruhe wieder seinen Geschäften widmen. Nachdenklich glitt sein Blick über die Reporter, die inzwischen ihre Fotos geschossen hatten. Er war gespannt auf die Berichte am nächsten Tag.

Mario di Socca konnte nicht wissen, dass es sich um eine Art Nachruf handeln würde. Er stieg in den weißen Lincoln, seine Freunde verteilten sich auf die anderen Autos, und dann setzte sich die ganze Kolonne in Bewegung. Der Sieg über die Justiz sollte zunächst gefeiert werden. In einem guten italienischen Restaurant war alles vorbereitet worden.

Die Fahrt dauerte nicht sehr lange. Nacheinander bogen die schweren Limousinen in einen schmalen Hof ein, von dem ein direkter Gang zu dem Restaurant führte. Es lag in einer wenig belebten Straße im östlichen Manhattan.

Die jeweiligen Leibwächter der Bosse spritzten aus den Wagen und rissen die Türen auf. Aufmerksam beobachteten sie die Umgebung, aber es war nichts Verdächtiges zu sehen. Einige blieben bei den Wagen stehen, die anderen folgten ihren Bossen ins Innere des Hauses.

Mario di Socca hatte zu einem Essen im kleinen Kreis geladen. Er machte eine weit ausholende Handbewegung, und unter Stimmengemurmel und Stühlescharren setzten sich die zehn Männer an den großen runden Tisch in der Mitte des Lokals. Die Leibwächter setzten sich etwas abseits. Auch für sie war gedeckt.

Di Socca war stehen geblieben. Er stützte sich auf das blütenweiße Tischtuch und sah befriedigt in die Runde. „Meine Freunde“, begann er, „ich danke euch allen, dass ihr gekommen seid. Ihr alle wisst, was der Anlass für diese Feier ist. Es gibt nur ein kleines Essen mit einem guten Wein aus unserer alten Heimat.“ Unauffällig winkte er dem Kellner, der sofort an den Tisch eilte und den Wein einschenkte.

„Ich habe nur einen bescheidenen Wunsch“, sagte di Socca. „Lasst uns für die kurze Zeit die Geschäfte vergessen, mit denen wir uns gleich wieder befassen müssen. Ich möchte auch kein Wort hören über irgendwelche Streitigkeiten, die es vielleicht während meiner kurzen Abwesenheit gegeben haben könnte. Dafür ist später noch genügend Zeit.“

Der Kellner trug eine riesige Schüssel mit dampfenden Spaghetti herein und stellte sie mitten auf den Tisch. Beifälliges Murmeln wurde laut. Mario di Socca runzelte leicht die Stirn. Er wusste nicht, ob der Beifall seinen Worten galt oder den Spaghetti.

Er griff nach seinem Glas und hob es hoch. Die anderen taten es ihm nach und sahen ihn erwartungsvoll an.

„Ich trinke auf gute Gesundheit und gute Geschäfte für uns alle“, sagte Mario di Socca und setzte das Glas an die Lippen.

Der Schuss krachte wie eine Explosion. Das Weinglas zersplitterte in tausend Stücke, Rotwein vermischte sich mit Blut und färbte das blütenweiße Tischtuch rot. Di Soccas Oberkörper kippte vornüber, sein Kopf schlug in die Spaghettischüssel, deren Inhalt über den Tisch und die darum sitzenden Männer verteilt wurde.

In der sekundenlangen Stille, die darauf folgte, flog wie von Geisterhand geworfen ein kleiner, metallisch blitzender Gegenstand durch die Luft, klirrte gegen einen Teller und sprang dann im Bogen in Savoias Weinglas, das dieser immer noch in der Hand hielt.

Dann brach die Hölle los.

Alle sprangen gleichzeitig auf. Stühle stürzten um, Geschirr klirrte zu Boden. Einige rannten in Deckung, andere zerrten ihre Pistolen aus den Holstern und versuchten den unsichtbaren Schützen zu entdecken. Die Leibwächter benahmen sich wie aufgescheuchte Hühner und behinderten sich gegenseitig.

„Der Schuss kam von der Empore!“, schrie eine Stimme und übertönte das Durcheinander. Einige der Leibwächter rannten zu der Treppe, die zu der Empore führte. Dort oben standen weitere Tische, die aber jetzt unbesetzt waren. Die Empore war mit einem dichten Vorhang vom übrigen Lokal getrennt.

Die Männer rissen den Vorhang zur Seite und fluchten. „Der Kerl ist weg! Durch den Nebenausgang. Aber er kann noch nicht weit sein.“

Einige nahmen die Verfolgung auf. Da die Gangster selbst Lokale schätzten, die über diverse Ausgänge verfügten, hatte sich natürlich auch der heimtückische Schütze diese Tatsache zu eigen gemacht und war auf einem dieser Wege geflohen.

Vito Savoia starrte fassungslos in sein Weinglas, das er immer noch in der Hand hielt. Mit spitzen Fingern fischte er schließlich den kleinen Gegenstand heraus, der in dem dunklen Rotwein lag.

Stefano Bernardo sah entsetzt auf die 38er Patrone, die Savoia zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe hielt. Dann stellte er sie mit einer vorsichtigen Bewegung auf den Tisch. Die abperlenden Rotweintropfen sahen aus wie Blut.

„Die Geschossspitze ist eingekerbt mit einem Kreuzschnitt“, brach Savoia das Schweigen.

„Ein Dum-Dum-Geschoss“, sagte d’Annunzio.

Sie starrten auf den toten di Socca, der mit ausgebreiteten Armen auf der Tischplatte lag. Das tödliche Geschoss war im Hinterkopf eingedrungen, hatte ihm das halbe Gesicht weggerissen, das Weinglas zerschmettert und war im Tisch stecken geblieben.

„Was für eine Schweinerei“, meinte Vecchio leise und schnippte ein Stück Spaghetti vom Ärmel. Er sah die anderen an. „Wir verschwinden jetzt besser. Unsere Jungs können hierbleiben, bis die Polizei kommt. Wir sollten auch gleich unsere Anwälte verständigen. Ich schlage vor, dass wir uns heute Abend bei mir treffen und unsere weiteren Maßnahmen beratschlagen. Irgendjemand hat uns den Krieg erklärt.“

Alle nickten beifällig, und dann verschwanden sie sehr schnell durch die Hintertür. Jeder von ihnen würde bestreiten, heute in diesem Lokal gewesen zu sein. Auf Wunsch hatten sie auch Zeugen dafür. Diesen Mord würden sie nicht allein der Polizei zur Aufklärung überlassen.

Die Kriegserklärung war angenommen.

Sammelband 4 Krimis: Amok-Wahn und andere Thriller

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