Читать книгу Sammelband 4 Krimis: Amok-Wahn und andere Thriller - Alfred Bekker - Страница 17
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Lee Hall hatte eine kleine Kneipe in der 28. Straße. Sie war nicht gerade eine Goldgrube, aber sie sicherte ihm einen ausreichenden Lebensstandard. Er hatte keine Angestellten, sondern machte alles allein. Nur an den Samstagabenden, wenn es besonders voll war, half ihm eine Bekannte, die in seiner Nähe wohnte.
Die Kneipe war gemütlich eingerichtet. Die Wände waren getäfelt, der Raum mit Zwischenwänden unterteilt. Es gab eine Musik-Box und einen Geldspielautomaten. Man konnte bei Lee in Ruhe sein Bier oder seine Cola trinken und auch eine Kleinigkeit essen. Das Publikum war sehr gemischt, es gab Arbeiter darunter sowie Angestellte oder Studenten. Die meisten verkehrten schon lange bei Lee und er kannte sie.
Lee Hall hatte die Figur eines Kleiderschranks. Er war stark wie ein Bär und wusste das auch. Unter seiner Theke lag ein Holzknüppel von sechzig Zentimeter Länge und so dick wie ein stabiles Tischbein. Er konnte damit umgehen, hatte aber kaum Verwendung dafür.
Seine Gäste waren ruhig. Es gab mal einen lautstarken Streit, aber nie eine ernsthafte Schlägerei. Sie hatten alle Respekt vor dem Wirt. Einige hatten versucht, mal einen Streit vom Zaum zu brechen, aber Lee hatte sie sehr schnell zur Vernunft gebracht, und sie versuchten das nie wieder.
Mit dem Gesetz hatte er kaum Schwierigkeiten. Es hatte vor Jahren mal eine Razzia wegen Rauschgift gegeben, sie war aber erfolglos geblieben. Lee hatte die beiden Siebzehnjährigen schnell in seinen Privaträumen versteckt, wo sie nicht entdeckt wurden. Als die Polizei wieder abgezogen war, hatte er den beiden auf seine Art sehr ernsthaft ins Gewissen geredet. Sie konnten sich zwar ein paar Tage nicht in der Öffentlichkeit sehen lassen, versuchten aber nie wieder, in seiner Kneipe mit Rauschgift zu handeln. Ob sie es anderswo taten, interessierte ihn nicht. Er behauptete auch nicht, ein Heiliger zu sein.
Er hatte zwei Vorstrafen, die beide zur Bewährung ausgesetzt waren. Es handelte sich in beiden Fällen um geringfügige Körperverletzungen. Manchmal rutschte ihm die Hand halt ein bisschen aus. Wobei hinzugefügt werden muss, dass die beiden, die ihn anzeigten, eine sehr viel größere Tracht Prügel verdient hätten.
Lee Hall war eingefleischter Junggeselle und ging jede Woche zum Football, eines der wenigen Vergnügen, die er sich gönnte. Sein zweites Hobby waren schnelle Autos. Dabei gab es nur eine Schwierigkeit: Die Sportwagen, die er in raschem Wechsel fuhr, waren meistens zu klein für ihn, und er hatte beim Ein- und Aussteigen immer ziemliche Mühe.
Und dann gab es da noch ein kleines Problem. Eines Tages waren zwei schmierige Typen erschienen und hatten von seiner Sicherheit gefaselt, für die sie gegen Zahlung eines geringen Beitrages sorgen würden.
Lee verstand erst nicht, was sie eigentlich von ihm wollten, bis er begriff, dass er es mit Abgesandten eines Rackets zu tun hatte, die ihn schlicht erpressen wollten. Dann aber reagierte er sehr schnell. Mit einer Geschwindigkeit, die niemand seiner massigen Gestalt zutraute, zauberte er seinen Holzknüppel unter der Theke hervor und schwang ihn mit einer kreisenden Bewegung gegen die beiden Typen.
Sie waren so verblüfft, dass sie sich im ersten Augenblick nicht rührten. Der kleinere von ihnen wurde am Kopf getroffen und stolperte kreischend zu Boden. Der andere versuchte seine Waffe zu ziehen.
Lee Hall war wie der Blitz um seinen Tresen geschossen, und der Knüppel sauste mit voller Wucht gegen den Unterarm des Gangsters. Er heulte auf und ließ die Waffe fallen, die er schon halb aus dem Holster gezogen hatte. Jetzt kam der erste leicht schwankend wieder hoch. Mit tückischem Grinsen zog er ein Klappmesser heraus, aber Lee hatte keine Lust, sich auf einen längeren Kampf einzulassen.
Sein Knüppel pfiff durch die Luft, und die Messerhand des Gangsters wurde auf einem hölzernen Barhocker fast zu Brei gequetscht. Mit einem tierischen Schrei brach der Gangster ohnmächtig zusammen. Sein Kumpel hatte ihn wortlos aus dem Lokal geschleift. Und an der Tür drohte er, sie würden wiederkommen.
Das war drei oder vier Monate her, und Lee Hall hatte den Zwischenfall fast vergessen, als er den Mann bemerkte, der eben den Gastraum betreten hatte. Lee hatte ein Gespür für die Gefahr, und er wusste sofort, dass von diesem Mann eine tödliche Gefahr ausging. Schwach erinnerte er sich an die Drohung, dass die Gangster wiederkommen wollten. Er wusste plötzlich, dass es heute so weit war.
Lee warf einen Blick in die Runde. Das Lokal war fast leer. An der Bar saß niemand, an der Wand waren nur zwei Tische besetzt. Ein verliebtes Pärchen und ein einzelner Mann, der still ein Bier nach dem anderen Trank. Von den Gästen war keine Hilfe zu erwarten.
Lee sah dem Mann entgegen, der mit langsamen Schritten näher kam, nachdem er sich aufmerksam umgesehen hatte. Er war sehr groß und ziemlich schlank. Der Hut war tief in die Stirn gezogen und bedeckte das kantige Gesicht zum großen Teil. Die Hände hingen locker an den Seiten herab.
Er schwang sich auf einen Barhocker und stützte die Arme auf die Theke. Lee sah erst jetzt, dass er Handschuhe trug.
„Ein Bier bitte“, sagte der Mann leise.
Lee nickte und ging zum Zapfhahn. Zischend schoss das Bier ins Glas. Der Mann beobachtete ihn aufmerksam. Er hatte keine Chance, nach seinem Knüppel zu greifen. Das war vermutlich auch sinnlos. Denn hier hatte er es mit einem Profi zu tun und nicht mit einem drittklassigen Gangster.
„Danke“, sagte der Mann, als Lee das Bier vor ihn hinstellte. Dann griff er mit einer raschen Bewegung unter seine linke Achsel und zog einen 38er Colt mit kurzem Lauf und aufgeschraubtem Schalldämpfer hervor.
Lee öffnete den Mund und wollte sich in Deckung werfen, als die Waffe auch schon ihre tödliche Ladung ausspuckte. Die Kugel traf ihn genau an der Nasenwurzel und schleuderte ihn durch die Wucht ihres Aufpralls gegen das Regal mit den Flaschen und Gläsern. Lee Hall rutschte wie ein Sack unter die Theke, ein Glasregen folgte ihm.
Das Dum-Dum-Geschoss hatte auf diese Entfernung verheerend gewirkt, und der Spiegel hinter dem Flaschenregal sah entsprechend aus.
Die anderen Gäste waren aufgesprungen und starrten entsetzt auf den Mörder. Er drehte sich auf seinem Barhocker herum und machte eine kreisende Bewegung mit der Waffe. Dann trieb er sie in die Toilette und schloss sie dort ein.
Auf dem Rückweg stellte er eine Patrone sorgfältig in die Mitte der Theke, nahm noch einen Schluck aus seinem Bierglas und verschwand nach draußen.