Читать книгу Sammelband 4 Krimis: Amok-Wahn und andere Thriller - Alfred Bekker - Страница 19
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Bount Reiniger hockte gedankenverloren an seinem Schreibtisch und starrte auf die Berichte, bis die Buchstaben vor seinen Augen verschwammen. June hatte alle Artikel, die über den Gangster-Killer berichteten, ausgeschnitten und aufgeklebt. Diese Artikel waren zunächst seine wichtigste Informationsquelle, und er musste versuchen, sich aus den verschiedenen Darstellungen ein Bild zu machen.
Allmählich kam Bount zu der Überzeugung, dass auch die Journalisten nicht sehr viel wussten, sondern nur eine ganze Reihe von Vermutungen vor ihren Lesern ausbreiteten. Die Polizei schien bei diesem Fall so zugeknöpft wie selten.
Bount musste einen anderen Weg gehen. Es hatte keinen Sinn, die Artikel auswendig zu lernen und darauf zu hoffen, irgendwo die entscheidende Spur zu finden. Er musste dort beginnen, wo auch die Polizei anfing: bei den Ermordeten und am Tatort. Bount knurrte unwillig. Er hatte vorher gewusst, dass dieser Fall schwierig werden würde.
Er drückte auf den Knopf der Sprechanlage. „June, ich fahre zu der Kneipe von Lee Hall. Hier komme ich nicht weiter. Halten Sie hier die Stellung.“
„Ist gut. Passen Sie auf sich auf.“
Bount lächelte. „Ich glaube nicht, dass der Killer zweimal an einen Tatort kommt.“
„Das kann man nie wissen“, kam die ernsthafte Antwort durch den Lautsprecher. Bount schaltete ab.
Wenige Minuten später steuerte er seinen schweren Mercedes durch den dichten Vormittagsverkehr. Er schaltete das Autoradio ein. Auch der Nachrichtensprecher befasste sich gerade mit dem Gangster-Killer. Aber es gab keine neuen Erkenntnisse, nur die Forderung, die Polizei möge bald Ergebnisse vorweisen. Auch die Politiker hatten sich in den Fall eingeschaltet. Hier gab es gute Gelegenheiten, sich auf Kosten einer als unfähig hingestellten Polizei zu profilieren. Insbesondere die Herren der Opposition waren für scharfes Durchgreifen. Sie sagten aber nicht, gegen wen.
Kopfschüttelnd drehte Bount den Sender wieder ab. Er achtete jetzt stärker auf die Straßenbezeichnungen, denn es konnte nicht mehr weit sein.
Da war auch schon die 28. Straße. Er bog ab und fuhr langsam weiter. Als er noch einige Blocks von der Adresse entfernt war, suchte er schon nach einem Parkplatz. Er hatte Glück, der Mercedes passte gerade in eine Lücke, in die ein schwerer Straßenkreuzer vergeblich hineinzukommen versuchte. Bount wartete, bis der andere aufgab, und stellte den Wagen ab.
Es waren nur ein paar Minuten bis zu Lee Halls Kneipe. Bount betrachtete das Lokal von der anderen Straßenseite. Es sah von außen so aus wie tausend andere Lokale auch. Nichts wies darauf hin, was sich kürzlich hier abgespielt hatte.
Bount überquerte die Straße und versuchte die Tür zu öffnen. Zu seinem Erstaunen war nicht abgeschlossen. Er entdeckte auch kein Siegel an der Tür und trat kurz entschlossen ein.
Hinter der Theke war eine vielleicht vierzigjährige Frau damit beschäftigt, Gläser und Spiegel zu polieren. Sie ließ den Lappen sinken und starrte ihn ein wenig ängstlich an.
„Das Lokal ist noch geschlossen“, sagte sie schließlich.
Bount nickte und trat näher. „Ich weiß. Mein Name ist Bount Reiniger. Ich bin Detektiv und möchte Ihnen ein paar Fragen stellen.“
„Ich habe Ihren Kollegen doch schon alles gesagt, was ich weiß“, meinte sie unwillig. Sie warf den Lappen in einen Eimer und wischte sich die Hände ab. „Und ich weiß fast nichts, denn ich war schließlich nicht hier, als es passierte.“
Bount schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht von der Polizei. Ich bin Privatdetektiv.“
Ihr Gesicht wurde noch misstrauischer. Mit gerunzelter Stirn sah sie ihn an. „Und was haben Sie damit zu tun? Hören Sie, ich habe schon genug Schwierigkeiten mit der ganzen Sache. Wenn Sie etwas wissen wollen, gehen Sie zur Mordkommission. Die haben mir Löcher in den Bauch gefragt. Ich habe keine Lust, auch noch einem privaten Plattfuß Fragen zu beantworten.“
Bount lächelte die Frau freundlich an. „Ich vermute, Sie wollen auch, dass man den Täter findet, der Hall umgelegt hat. Sie haben doch sicher in der Zeitung gelesen, dass womöglich ein Polizist der Täter ist, der die Gangster killt.“
„Lee war kein Gangster“, sagte sie . empört. „Das habe ich auch der Polizei deutlich gesagt. Aber wahrscheinlich wissen die Brüder, wer es war. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Diese Burschen stecken doch alle unter einer Decke.“
Bount nickte. „Sehen Sie, und deshalb hat einer der Betroffenen einen Privatdetektiv eingeschaltet, nämlich mich. Er traut der Polizei auch nicht, aus denselben Gründen wie Sie.“
Ihr Gesicht blieb immer noch misstrauisch. „Wollen Sie von mir etwa auch einen Auftrag? Da sind sie auf dem falschen Dampfer. So nahe stand ich Lee nun auch wieder nicht. Außerdem habe ich kein Geld.“
Bount lachte. „Nein, Sie sollen mir nur ein paar Fragen beantworten. Ich gebe Ihnen sogar etwas dafür.“ Er holte einen 20-Dollar-Schein aus seiner Brieftasche und wedelte damit vor ihren Augen herum.
Mit einer raschen Bewegung griff sie danach. „Aber zeigen Sie mir noch Ihren Ausweis.“
Bount zeigte ihr das Papier, und sie studierte es gründlich. Dann sagte sie: „Also gut, ich will Ihre Fragen beantworten. Aber beeilen Sie sich, Sie sehen ja, dass ich viel zu tun habe.“
Bount schwang sich auf einen Barhocker und stützte sich auf die Theke. „Zunächst einmal, wie heißen Sie und in welcher Beziehung stehen Sie zu Lee Hall?“
„In welcher Beziehung? Wie meinen Sie das?“, fragte sie empört. „Ich habe ihm an den Tagen geholfen, an denen es hier voll war. Außerdem habe ich regelmäßig sauber gemacht. Dafür hat er mich bezahlt. Das ist alles. Ich hatte keine Beziehung zu ihm.“
Bount lächelte vor sich hin. „Das meinte ich auch nicht. Aber sagen Sie mir noch Ihren Namen.“
„Ich heiße Liza Myers. Mein Mann ist vor sechs Jahren gestorben. Die Rente, die ich kriege, ist ziemlich klein. Und da war es eine gute Gelegenheit, hier bei Lee ein paar Dollar zu verdienen. Ich wohne nämlich gleich um die Ecke.“
Bount machte eine Handbewegung. „Übernehmen Sie jetzt den Laden?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Die Polizisten haben gesagt, da kommt noch ein Rechtsanwalt, der mir Bescheid sagt, was mit der Kneipe geschieht. Das muss noch geklärt werden, da es keinen unmittelbaren Erben gibt. Als die Polizei das Lokal wieder freigegeben hat, dachte ich mir, dass ich erst mal sauber mache. Denn die haben gesagt, dass ich weitermachen kann, bis die Rechtslage geklärt ist. Und deshalb bin ich heute hier“, schloss sie.
Bount Reiniger nickte. „Was glauben Sie, wer der Mörder gewesen ist?“
Sie starrte ihn ungläubig an. „So blöd hat noch nicht mal die Polizei gefragt. Woher soll ich denn das wissen? In der Zeitung steht doch, dass es dieser Gangster-Killer war, den sie in den Zeitungen den 'Henker' nennen. Sie machte eine kleine Pause. „Aber das glaube ich nicht.“
„Warum nicht?“, fragte Bount sofort.
„Er war doch kein Gangster. Die wollten nur den Verdacht von sich ablenken.“
Bount war hellwach. „Wer wollte den Verdacht von sich ablenken?“
„Na, diese richtigen Gangster! Die haben ihn doch schon vor einigen Monaten bedroht. Und jetzt haben sie ihre Drohung wahr gemacht. Nur, weil er nicht zahlen wollte. Aber in dieser Beziehung war er ein Dickschädel. Ich habe ihm gesagt, dass er lieber zahlen soll, aber er hat nicht auf mich gehört. Und nun ist er tot.“ Sie schluchzte leise auf.
„Jetzt mal ganz langsam“, sagte Bount. „Wer wollte Geld von ihm?“
Es dauerte eine Zeit, bis sie die ganze Geschichte erzählt hatte. Es klang ein wenig wirr, aber Bount konnte sich den Rest zusammenreimen. Sogenannte Schutzgelder zu erpressen, gehörte zu den langen Traditionen der Gangster-Organisationen. Und wer nicht zahlen wollte - an dem wurde eben ein Exempel statuiert.
Aber hier stimmte etwas nicht. Bount wurde nachdenklich. Wenn Lee Hall wirklich von Gangstern umgelegt wurde, dann hätten sie den Verdacht doch nicht auf einen anderen gelenkt, sondern deutlich dokumentiert, wer hinter dem Mord steckte, um alle anderen Zahlungsunwilligen zu beeindrucken.
„Haben Sie das der Polizei auch erzählt?“
Die Frau schüttelte den Kopf. „Die haben mir nicht zugehört, bis auf einen. Der hat sich alles aufgeschrieben und gesagt, dass er sich darum kümmern wird. Aber das kennt man ja. Die schreiben jetzt alles in ihre Akten und legen es ab. Eines Tages heißt es dann, dass der Fall nicht geklärt werden konnte.“
Bount kletterte von seinem Hocker und ging um den Tresen herum. „Hier wurde er erschossen, nicht wahr?“
Liza Myers folgte ihm. „Ja“, sagte sie und deutete auf den Fußboden. „Dort unten lag er. Es sah furchtbar aus. Alles voller Blut. Inzwischen habe ich natürlich schon sauber gemacht. Es wird heute Abend sicher voll, denn die Leute wollen doch sehen, wo ein Mord passiert ist.“
„Waren Sie denn so kurz nach der Tat hier?“
„Ja. Ich war einkaufen und sah die Polizeiwagen vor dem Haus. Da habe ich natürlich nachgesehen. Die haben vielleicht dumm geguckt, als ich plötzlich in der Tür stand.“
Bount sah auf seine Uhr. Mehr konnte er hier nicht erfahren.
„Sie haben mir sehr geholfen“, sagte er.
„Schon gut.“ Sie fischte nach ihrem Scheuerlappen und sah ihm nicht nach, als er das Lokal verließ.
Bount Reiniger setzte sich in den Mercedes und dachte nach. Die Sache wurde nach diesen Auskünften auch nicht gerade klarer. Er brauchte noch weitere Informationen. Er musste auch den anderen Morden nachgehen. Denny Layton, der erste Tote, war ein unbeschriebenes Blatt. Ein Einbrecher, dem die Polizei nie etwas nachweisen konnte, obwohl sie ihn immer wieder verhaftet hatte.
Bount blätterte in seinem Notizbuch. Dort hatte er sich alle wichtigen Einzelheiten aufgeschrieben. Laytons ehemalige Adresse war ganz in der Nähe. Vielleicht gab es dort jemanden, der ihm einiges sagen konnte. Bount ließ den Motor an und fädelte sich wieder in den Verkehr ein.