Читать книгу Sammelband 4 Krimis: Amok-Wahn und andere Thriller - Alfred Bekker - Страница 16
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Bount Reiniger ließ sich mit einem alten Freund verbinden, der im Polizeipräsidium im Archiv tätig war. Von ihm hatte er schon oft nützliche Tipps und Hinweise erhalten, wenn er sonst nicht weiterkam. Er musste ein paar Minuten warten, bis Sam Mercer ans Telefon gerufen wurde. Endlich hörte er die tiefe Stimme. „Ja, bitte?“
„Sam, hier ist Bount, Bount Reiniger. Ich brauche ein paar Auskünfte über den sogenannten Gangster-Killer. Ich möchte vor allen Dingen wissen, ob ...“
„Tut mir leid, ich weiß nicht, wer dort spricht“, antwortete Sam und legte auf.
Bount starrte auf den Hörer in seiner Hand und legte ihn dann auch langsam auf die Gabel. So kannte er seinen Freund gar nicht. Er musste doch gewusst haben, wer am Apparat war, schließlich hatte Bount sich deutlich gemeldet. Es war klar, dass Sam nicht mit ihm sprechen wollte. Aus welchen Gründen auch immer. Sicher gab es dafür eine Erklärung.
Achselzuckend beschäftigte Bount sich wieder mit den Zeitungen, die June March ihm besorgt hatte. Im Wesentlichen stand in allen fast das Gleiche. Die Polizei war mit ihren Informationen offenbar sehr vorsichtig, und die Journalisten mussten Spekulationen anstellen. Der Verdacht, dass der Killer von der Polizei kam, war aber nicht dementiert worden, das hieß, die Polizei war selbst dieser Ansicht. Es gab ja auch genügend Gründe, die dafür sprachen.
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Bount nahm ab und meldete sich.
„Hier ist Sam Mercer“, meldete sich eine tiefe Stimme. „Du musst entschuldigen, dass ich dich vorhin so einfach abgehängt habe, aber jetzt spreche ich von einem anderen Apparat. Das Stichwort mit dem Gangster-Killer wirkt bei uns wie ein rotes Tuch, und ich bin mir nicht sicher, ob so ein Gespräch nicht mal abgehört wird. Und dann hätte ich eine Menge unangenehme Fragen zu beantworten.“
Bount lachte. „Das verstehe ich, alter Junge. Etwas Ähnliches habe ich mir schon gedacht. Ich wollte von dir nur wissen, ob es bei euch schon konkrete Verdachtsmomente gibt, irgendwelche Hinweise in einer bestimmten Richtung.“
Sams Stimme klang misstrauisch. „Was hast du denn mit diesem Fall zu tun. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Privatdetektiv an einen solchen Fall gerät.“
„Das ist ganz einfach“, sagte Bount. „Wenn einem Vater der einzige Sohn erschossen wird und die Polizei im Verdacht steht, den Täter zu schützen, dann muss dieser Mann andere Wege gehen.“
„Verstehe“, sagte Sam nach einer kurzen Pause. „Aber meine Kollegen wollen den Täter durchaus nicht schützen, obwohl ich nicht abstreiten will, dass es ein paar Leute gibt, die sein Vorgehen insgeheim billigen. Aber die Mehrzahl will diesen Verrückten ebenso schnell hinter Gittern sehen wie die Betroffenen.“
„Und die Unterwelt“, fügte Bount hinzu.
Sam lachte. „Die muss allerdings auch großes Interesse daran haben, den Killer unschädlich gemacht zu wissen. Ich könnte mir vorstellen, dass einige Leute ganz schön zittern.“
„Sie werden besser aufpassen müssen“, sagte Bount. „Aber zu meiner Frage zurück. Wie sieht es aus bei euch?“ Sam wurde wieder reserviert. „Tut mir leid, Bount. Trotz unserer Freundschaft, in dieser Sache kann ich dir nicht weiterhelfen. Das ist viel zu heiß. Du hast ja keine Ahnung, was bei uns los ist. Wenn jemand nur den Verdacht hat, dass ich ausgerechnet über diesen Fall Informationen weitergebe, bin ich fällig. Ich stehe kurz vor der Pensionierung, Bount. Ich kann jetzt keinen Fehler mehr riskieren.“
„Das verstehe ich, Sam. Vielleicht kannst du mir nur eine einzige Frage beantworten: Gibt es einen Verdacht in einer bestimmten Richtung oder auf eine bestimmte Person?“
„Auch das kann ich dir nicht sagen, denn ich weiß es nicht. Für die Bearbeitung dieses Falles wurde eine Sonderkommission gebildet, und diese Jungs sind verschlossen wie die Austern. Außerhalb der Kommission weiß keiner meiner Kollegen, in welchem Stand sich die Ermittlungen befinden. Und das ist auch gut so, denn jeder kann schließlich der Täter sein.“
„Ist klar, Sam. Ich danke dir trotzdem, dass du mich angerufen hast. Ich muss versuchen, selbst weiterzukommen, wenn ich auch noch nicht weiß, wie.“
„Alles Gute, Bount. Und meld dich mal wieder.“
Langsam legte Bount auf. Es sah so aus, als sollte dieser Fall sehr schwierig werden. Es könnte sein, dass er sich daran die Zähne ausbiss. Aber so leicht gab er nicht auf.
June March trat ins Zimmer. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen? Ich habe den ganzen Papierkram fertig. Alle Rechnungen sind bezahlt, alle Briefe beantwortet.“
„Tüchtig, tüchtig“, murmelte Bount Reiniger geistesabwesend.
„Ich habe gefragt, ob ich helfen kann“, wiederholte June ihre Frage etwas lauter.
Bount blickte auf, als hätte er jetzt erst ihre Anwesenheit zur Kenntnis genommen. „Das wird schwierig werden“, meinte er tiefsinnig.
„Was?“, erkundigte June sich.
Bount stand auf und ging zum Fenster. „Ein wahnsinniger Killer, der sich seine Opfer aus der Kartei heraussuchen kann und den ganzen Apparat der Polizei zur Verfügung hat. Das ist eine seltene Kombination.“
„Aber es muss doch eine Verbindung zwischen den einzelnen Fällen geben“, sagte seine Assistentin. „Ein einzelner Polizist, selbst an höherer Stelle, kann nicht über alle Verbrechen in New York informiert sein. Es muss Gemeinsamkeiten geben. Vielleicht ist es jemand, der mit allen vieren bereits zu tun hatte. Irgendwie muss er die Hinweise ja bekommen haben.“
Bount schüttelte den Kopf. „So einfach ist das nicht. Der Killer wird nicht so dumm sein, eine so klare Spur zu legen. Dann hätte ihn der Computer in fünf Minuten herausgefunden. Die können doch sämtliche Daten einspeisen und feststellen, welcher Beamte mit den Verbrechern in Berührung gekommen ist. Es muss eine andere Verbindung geben. Denn ganz so wahllos kann es auch wieder nicht sein.“
„Gehen wir doch methodisch vor, und zählen wir die Fakten auf, die wir haben“, meinte June. Ihr Gesicht glühte vor Eifer.
Bount sah sie erstaunt an. „Wieso sind Sie über den Fall bereits informiert?“
„Ich kann auch Zeitung lesen“, antwortete sie kurz.
„Na schön, dann schießen Sie mal los“, sagte Bount belustigt.
„Erstens: die Opfer. Sie sind sehr verschieden. Ein Einbruchspezialist, ein Mafiaboss, ein altgedienter Berufsverbrecher und Ausbrecherkönig und ein kleiner Rauschgifthändler. Hier dürfte es wohl kaum Gemeinsamkeiten geben. Zweitens: die Tat selbst. Sie ist immer ähnlich. Der Täter kennt die Gewohnheiten seiner Opfer genau. Er weiß, wo sie sich wann aufhalten. Er tötet sie mit einem Revolverschuss und Dum-Dum-Munition. Er hinterlässt keine Spuren. Drittens: der Täter. Er ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Polizist.“
„Sehr gut“, sagte Bount. „Viel mehr wissen wir tatsächlich nicht. Die Presse jedenfalls nicht. Und ich habe keine andere Quelle, die ich anzapfen kann.“
June zog ihre hübsche Stirn kraus. „Was ist eigentlich Dum-Dum-Munition?“
„Das ist Munition, die von allen Nationen geächtet wurde. Man kann sie aus normaler Munition selbst herstellen. In der Regel genügt eine kreuzförmige Einkerbung an der Geschossspitze. Dadurch deformiert sich die Kugel beim Aufprall stark. Die furchtbaren Wunden, die entstehen, sind normalerweise tödlich.“
Sie schüttelte sich. „Das ist also etwas für Leute, die unbedingt sichergehen wollen?“
„So kann man es auch ausdrücken. Ich glaube in unserem Fall aber nicht, dass das der Grund ist. Unser Killer schießt sehr präzise, das beweist der Schuss auf di Socca, den er mit einem Revolver immerhin aus einiger Entfernung getroffen hat, und das ist gar nicht so einfach.“
„Aber was könnte dann der Grund für diese Munition sein?“
„Er will Angst und Schrecken damit verbreiten, glaube ich. Diese Munition ist zu recht von allen gefürchtet, die etwas vom Schießen verstehen. Er will allen anderen andeuten, dass seine Opfer keine Chance haben.“
„Was mag das für ein Mensch sein?“, sagte June leise.
Bount zuckte mit den Schultern. „Er sieht wahrscheinlich aus wie die meisten Mörder. Sie würden ihn nicht erkennen. Und Sie dürfen nicht vergessen, dass er sich im Recht fühlt. Er ist mit Sicherheit der Ansicht, dass durch seine Aktionen die Menschheit von Schädlingen befreit wird. Er glaubt, dass die Justiz machtlos ist gegen viele Verbrecher, und da ist ja auch was dran. Aber Psychopathen wie er erkennen ihre Grenzen nicht mehr. Nach den ersten Morden wurde er in seinen Ansichten wahrscheinlich noch bestärkt, und jetzt schlägt er immer wahlloser zu. Vielleicht fühlt er sich auch als Werkzeug Gottes. Das soll es schon oft gegeben haben.“
„Gibt es eine Chance, ihn zu fassen?“
„Eine Chance gibt es immer. Die Schwierigkeit liegt nur darin, dass er sich praktisch selber jagt. Wahrscheinlich hat er die Möglichkeit, zu erfahren, in welche Richtungen die Ermittlungen gehen. Dann kann er rechtzeitig Gegenmaßnahmen treffen.“
„Vielleicht ist er sogar ein höherer Polizeioffizier“, sagte June.
„Womöglich Mitglied der Sonderkommission!“ Bount lachte kurz auf. „Das wäre allerdings ein Witz.“