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Der Vogeljäger

Alfred Bekker


"Ich werde sie alle vom Himmel holen, diese verdammten Plagegeister!" so knurrte mein Onkel Otto wütend vor sich hin, als ich bei ihm eintraf. Er stand mit einem recht gewaltig wirkenden doppelläufigen Jagdgewehr inmitten seines Gemüsegartens und schob zwei Patronen in die Waffe. Onkel Ottos Gesichtsausdruck war grimmig, seine Augen schmal. Erst ein paar Augenblicke später bemerkte er mich.

"Ah, da bist du ja. Warum hast du nicht angerufen? Dann hätte ich dich vom Bahnhof abgeholt."

"Ich habe angerufen, aber es hat niemand abgenommen."

"Hm", knurrte Onkel Otto. "Dann war ich wohl hier draußen und habe nichts gehört." Er hatte auch mein Klingeln an der Haustür nicht bemerkt und als ich dann den Schuß aus dem Garten hörte, wußte ich, was los war. Onkel Otto jagte mal wieder Vögel, die es wagten, sich an seinem Gemüsegarten zu vergreifen. Da kannte Onkel Otto kein Pardon. Er war passionierter Jäger - und ganz gleichgültig, ob ein Lebewesen unter Artenschutz stand oder Schonzeit hatte - sofern es wagte, sich in seiner Umgebung breit zu machen und sich dabei auch noch von den mühsam angepflanzten Früchten seines Gartens ernährte, ging er rabiat zu Werke.

"Gehen wir rein, mein Junge", sagte Onkel Otto, während er auf mich zukam und mir dann seine dicke Pranke um die Schulter legte. "Schön, daß du deinen alten Onkel endlich mal besuchen kommst!" meinte er. "Hat ja lang genug gedauert." - "Aber jetzt bin ich ja hier!" - "Es gibt 'ne Menge Sachen, die man hier unternehmen kann!"

Onkel Otto war der Sonderling in der Verwandschaft. Er lebte allein und sehr zurückgezogen auf dem Lande. Und vielleicht hatte das ihn über die Jahre hinweg etwas merkwürdig werden lassen. Sein ausgeprägtes Faible für Waffen war nur ein Punkt, der nicht ganz alltäglich war. Sein schon neurotischer Haß auf Vögel war ein weiterer Punkt. Es wurde immer erzählt, daß ihm, als er noch ein kleiner Junge war, eine Taube direkt auf den Kopf gemacht hatte und daher seine Abneigung gegen das Gefieder herrührte - aber inwieweit das Legende war, weiß ich nicht. Ich hatte Onkel Otto immer zu Opas Geburtstag und zu allen Beerdigungen gesehen. Und keine dieser Festlichkeiten war über die Bühne gegangen, ohne daß Onkel Otto mit dem Ansinnen kam, sein Patenkind könne doch einmal ein paar Tage zu Besuch bei ihm verbringen. Irgendwie hatte ich es immer vermeiden können, daß diese Schreckensvorstellung je Realität werden konnte. Daß ich jetzt dennoch - mit mittlerweile 16

Jahren - den Weg zu ihm gefunden hatte, lag dann auch weniger an der Aussicht, ein langweiliges Wochenende mit meinem Patenonkel verbringen zu können, währenddessen er mir erläu-tern würde, mit welcher Büchse man welche Tiere am besten er-legte oder welche Vögel die schlimmsten Gartenräuber waren.

Vielmehr hatte eine Sammlung alter Perry-Rhodan-Hefte mich hier her gelockt, die Onkel Otto über einen Bekannten, den er vom Jagdverein her kannte, bekommen hatte. Die Hefte hatten wohl ursprünglich dem Sohn dieses Bekannten gehört, der sich jetzt nicht mehr dafür interessierte. Und jetzt sollten sie in meinen Besitz übergehen. Grund genug also, alles über sich ergehen zu lassen. So zum Beispiel auch ein Spiel, das Onkel Otto besonders schätzte. Er deutete auf ein beliebiges Inven-tarstück seiner Wohnung und ließ mich den Preis schätzen. Ich schätzte, nur damit er dann erwidern konnte: "Viel zu hoch!

Soviel würde ich dafür nie ausgeben! Ich habe es für zwanzig Mark vom Trödelmarkt!"

Onkel Otto hatte auf seiner Terrasse für mich und ihn zum Kaffe gedeckt. Es gab Erdbeerkuchen. Ich sah bewundernd auf die dicke Büchse, die er - anstatt sie wegzustellen - einfach auf seine Knie legte, während er mir Kaffee einschenkte und den Kuchen schnitt. "Was willst du denn mit so einem Riesen-ding schießen?" fragte ich. "Damit kann man ja einen Elefan-ten umbringen!" - "Kann man", lachte er. "Ich hab sie neu."

"Und schon ausprobiert, wie ich gerade gehört habe!"

"Ja." - "Ist das nicht ein bißchen, wie wenn man mit einer Kanone auf Spatzen schießt?" - "Hauptsache ist doch, daß der Spatz vom Himmel geholt wird, oder?"

In der Ferne, hinter dem Horizont sah ich indessen eine Rauchsäule aufsteigen. Wenig später waren die Sirenen von Feuerwehr und Polizei zu hören. Wahrscheinlich hatte es auf dem nahen Autobahnkreuz wieder gerummst, das in dieser Hin-sicht einen landesweiten Ruf besaß. Bei fast jeder Hiobsmel-dung des Verkehrsfunks wurde es erwähnt. Ich schob mir das Kuchenstück in den Mund und biß ab. Onkel Otto hatte nicht daran gedacht, Löffel oder Kuchengabeln zu decken. Wahrscheinlich hielt er es für Verschwendung. Ein verbrannter Geruch drang jetzt an unsere Nasen. "Ja, da hat jemand nicht aufgepaßt", hörte ich Onkel Otto sagen. "Er hätte sich das Schicksal anderer eine Warnung sein lassen sollen!"

Ich sagte nichts dazu, denn das war eine von den dummen Sprüchen, die typisch waren für Onkel Otto. Erst am darauffolgen-den Montag Morgen wurde ich nachdenklich, als ich in der Zei-tung folgende Meldung las: ERNEUT SPORTFLUGZEUG ABGESCHOSSEN!

Der Unbekannte, der seit einiger Zeit mit einem Jagdgewehr auf Sportflugzeuge schießt, zwang am Samstag erneut eine Maschine zum Landen. Der Pilot konnte sich mit knapper Not retten. Wer hinter den Anschlägen steckt, ist nach wie vor rät-selhaft.

Kriminell und spannend in die Weihnachtszeit: 2 Kriminalromane und 32 Kurz-Krimis

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