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1. Prolog

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Februar 2010

Bahnfahrt New York – Westküste

Zugfahren war eine Tortur, das hatte er schon immer empfunden, und so würde es mit Sicherheit bleiben.

Mort Byers blickte verdrossen aus dem Fenster. Der Zug von New York zur Westküste war zwar nicht besonders voll, aber er stank. Nicht nur die Gerüche der Mitreisenden drangen auf ihn ein, sondern ebenso die aller Fahrgäste der letzten Wochen und Monate. Ein bunter Duft-Cocktail der unangenehmen Art.

Mort musste sich immens zusammenreißen, um nicht ständig die Nase zu kräuseln. Er hasste Zugfahrten und das nicht nur wegen des Gestanks. Für einen mehr als Zweimeter-Mann, mit doppelt so breiten Schultern, wie sie ein Durchschnittsmann normalerweise aufwies, war es jedes Mal eine Zumutung auf den schmalen Sitzen zu hocken.

Halbwegs erträglich war es nur in alten Zugabteilen, in denen er problemlos zwei Sitzbreiten in Anspruch nehmen konnte.

Weitaus nerviger aber empfand er die Blicke der Reisenden.

Klar, seine Größe war einschüchternd, genauso wie der finstere Gesichtsausdruck, den er immer zur Schau stellte. Zusammen mit den schwarzen, halblangen Haaren, die zottelig von seinem Kopf abstanden, und den dunklen Augenbrauen wirkte er nicht unbedingt vertrauenswürdig. Dazu kam eine schwarze Lederhose, eine ebenso dunkle Motorradjacke, beides deutlich abgewetzte Kleidungsstücke, und dazu schwere Fliegerstiefel. Dieses Outfit sah nicht so aus, als könnte man sich mit ihm auf ein harmloses Plauderstündchen einlassen. Eher vermutete man darunter diverse Waffen und Tätowierungen - und damit lag man nicht falsch.

Doch Mort hütete sich, die Jacke auszuziehen. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass besorgte Bürger die Polizei benachrichtigten, wenn sie die Tattoos auf den Armen und die Kampfmesser an seinem Gürtel bemerkten. Dabei bekamen sie die wahre Ausrüstung gar nicht zu Gesicht.

Insgesamt befand er sich in einer misslichen Situation und er fluchte innerlich mehr als einmal, dass sein Chef ihm kein anderes Flug- oder Fahrwerk zur Verfügung gestellt hatte. Was für eine Zeit- und Energieverschwendung!

Missmutig streckte er die Beine aus und warf einen desinteressierten Blick auf den jungen Mann, der mit ihm zusammen in dem Abteil saß. Mort vermutete in ihm einen Studenten. Er hatte sich auf die gegenüberliegende Seite gesetzt und klebte möglichst weit weg von ihm am Fenster.

Seine Nervosität stieg Mort unangenehm in die Nase.

Er hasste Zugfahrten!

Wieder unterdrückte er den Impuls die Nase zu kräuseln. Was war nur los mit ihm? Sonst hatte er sich besser im Griff. In all den langen Jahren seines Lebens hatte er es sich bestens antrainiert, Gerüche auszublenden. Das war nicht leicht und gelang bei weitem nicht immer, aber manchmal war es wichtig. Überlebenswichtig.

Doch heute? Es funktionierte nicht!

Abermals blähten sich seine Nasenflügel. Mort fluchte leise, was ihm einen verschreckten Blick des Studenten eintrug. Er achtete nicht darauf.

Resignierend lehnte er den Kopf nach hinten und schloss die Augen.

Also gut. Dann ließ er es eben zu. Möglicherweise fand er dann ja den Grund für seine Unruhe.

Intensiv sog er die Luft durch die Nase und tauchte in die Welt der Gerüche ein. Wie er es erwartet hatte, wirbelte alles gleichzeitig auf ihn ein. Für kurze Zeit war er orientierungslos, doch dann ordnete sich alles nach und nach, wie es sein sollte.

Da war der junge Mann. Er trug ein grauenhaftes Aftershave, Mort hätte nicht übel Lust ihn schon allein dafür aufzuschlitzen, und diese entsetzlich lärmende Familie im Nachbarabteil. Im Abteil auf der gegenüberliegenden Seite hockten zwei ältere Ehepaare, die zusammen reisten, sich aber gegenseitig nicht leiden konnten. Die anderen Gerüche waren älter, wiesen keine Besonderheiten auf.

Er forschte weiter, tastete sich durch jedes Abteil, bis er auf den Großraumwagen stieß. Hier war es schon schwieriger, die Gerüche zuzuordnen, doch dann ...

Mort erstarrte innerlich und schlug die Augen auf.

Das war nicht gut - gar nicht gut.

Der Duft war unwiderstehlich und beängstigend.

Mit einem Ruck stand er auf und öffnete die Abteiltür. Zielstrebig folgte er dem Geruch, der jetzt so unwiderruflich fest in seiner Nasenschleimhaut saß, dass es fast schmerzte.

Als er den Großraumwagen erreichte, wurde er langsamer.

Wie ein Bluthund witterte er sich durch den Gang, bis er die Quelle seiner Pein gefunden hatte.

Die junge Frau saß an einem dieser Tischplätze, das Gesicht ihm zugewandt. Sie hielt ein Buch in der Hand, in dem sie gerade gelesen hatte, doch jetzt sah sie ihn aus geweiteten Augen an.

Mort registrierte blonde lange Locken, dunkelgrüne Augen und feingeschnittene Gesichtszüge. Sie war höchstens Neunzehn - und eindeutig Mensch.

Mort war wie vor den Kopf geschlagen. Das konnte nicht sein! Das durfte nicht sein! Kein Mensch roch so!

Aber es war so, daran gab es keinen Zweifel. Und diese Frau - sie roch es ebenfalls. Ihre Nasenflügel bebten verräterisch, doch in ihren Augen las er Verwirrung - und Angst.

Mort unterdrückte das Grollen, das in seiner Kehle emporstieg. Diese Angst roch unerträglich.

Kurzentschlossen fasste er sie am Arm und zog sie empor. Ihr Buch fiel auf den Tisch und alle starrten ihn an, aber niemand traute sich, etwas zu sagen.

Die junge Frau ließ sich widerstandslos von ihm durch den Gang schieben. Sein Griff war fest, aber er versuchte, ihr nicht weh zu tun. Vor seinem Abteil blieb er stehen und starrte den vermeintlichen Studenten an.

„Raus!“

Der Befehl klang wie ein Drohen, begleitet von einem unterschwelligen Knurren.

Der junge Mann sprang hastig hoch und griff nach seinen Sachen. Nervös quetschte er sich an Mort vorbei nach draußen und verschwand auf Nimmerwiedersehen.

Mort stieß das Mädchen ins Abteil und folgte. Dann schloss er die Tür, verkeilte sie und zog die Sichtblenden herunter.

Als er sich seinem neuen Abteilgast zuwendete, zögerte er erst.

Sie stand mit dem Rücken ans Fenster gepresst und starrte ihm aus schreckgeweiteten Augen entgegen. Mort betrachtete sie ausgiebig. Sie war attraktiv, sogar sehr, und ihr Körper war sportlich schlank mit äußerst ansprechenden Kurven an den passenden Stellen. Er spürte, wie ihm das Blut in diverse Körperteile schoss und fluchte innerlich. Was zum Teufel war nur los mit ihm? Dass er so spontan und so heftig auf eine Frau reagierte - er erinnerte sich nicht, dass so etwas schon einmal vorgekommen war. Und ihr Geruch ...

Er trat unwillkürlich auf sie zu und fasste sie an den Armen. Wenn nur dieser Angstgeruch nicht wäre - er wollte ihn unbedingt vertreiben. Fragte sich nur, wie.

Die junge Frau reichte ihm gerade mal bis zur Brust und musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht zu sehen. Mort starrte in ihre grünen Augen und las darin Verwirrung und Angst. Aber da entwickelte sich auch etwas anderes. - Neugier - Erregung?

„Du ... riechst gut“, knurrte Mort und vergrub sein Gesicht in den blonden Locken. „Viel zu gut.“

Ihr Duft überschwemmte ihn wie ein schweres Parfüm und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit verlor Mort die Kontrolle über sich.

Mit einem Aufstöhnen presste er dieses Wesen an sich. Dann hob er sie hoch und hielt sie mit einem Arm fest. Mühelos zog er die Sitzbank zur Liegefläche aus und ließ die Frau darauf gleiten, ohne die Nähe zu verlieren. Sie klammerte sich an seiner Jacke fest, ließ es aber geschehen. Ihr Atem war schnell und hektisch geworden. Ihre Erregung wuchs, aber die Furcht war noch da.

Mort stöhnte frustriert. Wie sollte ausgerechnet er ihr die Angst nehmen? Das schien unmöglich.

Er sah wieder in diese grünen Augen - und vergaß sich.

Wie er sich seiner und ihrer Kleidung entledigte, wusste er hinterher nicht mehr. Genauso wenig, wie er sich an weitere Einzelheiten erinnerte. Aber der Duft ihrer weißen Haut machte ihn rasend. Wie ausgehungert fiel er über dieses unwiderstehliche Geschöpf her und nahm es sich. Von vorne, von hinten, im Stehen, im Sitzen - alles verschwamm zu einer einzigen Ekstase.

Nur langsam fand er wieder zurück und drängte diese unkontrollierbare Erregung in den dunkelsten Winkel.

Schweratmend stemmte er seinen Körper von ihr hoch und betrachtete sie.

Ihr Augen waren geschlossen, ihre Gesichtszüge beinahe entspannt. Ihr Geruch war noch genauso anziehend, erregend, - schmerzhaft. Und ihre Angst? Verdrängt, erschöpft.

Mort unterdrückte ein frustriertes Grollen und stand auf. Angewidert sah er an sich herunter. Genauso wie die Frau war er über und über mit Samenflüssigkeit verschmiert. Seinem Sperma! Widerlich!

Er griff zu seinem Rucksack und öffnete ihn. Heraus zog er ein ungewaschenes T-Shirt und ein Handtuch. Dann beugte er sich wieder zu ihr hinunter. Sie hatte inzwischen die Augen geöffnet und beobachtete ihn.

Er hielt ihr das Handtuch hin. Zögernd ergriff sie es. Als sie sah, dass er sich mit dem T-Shirt den Körper abrieb, folgte sie seinem Beispiel. Dabei richtete sie sich auf und stand ihm nackt gegenüber. Bisher hatte sie kein Wort gesagt, was erstaunlich war, doch ihm war es nur recht. Mort griff nach der Kleidung und zog sich an. Wieder folgte sie seinem Beispiel, ließ ihn aber nicht aus den Augen. Ihre Nervosität hielt sich erstaunlich in Grenzen, als sie sah, was er sich alles umschnallte, bevor Hose und T-Shirt folgten. Irritiert war sie, aber nicht panisch. Vielleicht weil sie nicht wusste, was noch alles in der Hose selbst und in der Jacke verborgen war.

Aber vielleicht hatte sie auch erkannt, dass diese Waffen nicht gegen sie gerichtet waren. Mort wartete, bis sie selbst angezogen war, dann öffnete er die Tür und schob sie nach draußen.

Wortlos führte er sie bis zu ihrem Platz, wo sie sogleich niedersank. Mort ignorierte alle anderen Reisenden. Er hatte nur sie im Blick. Sie, - die nicht sein durfte.

Er beugte sich vor und raunte ihr ins Ohr.

„Du ... kannst es nicht sein. Nicht du!“

Dann richtete er sich auf und schritt zügig zu seinem Abteil zurück.

Dort angekommen sah er sich angewidert um. Sein Sperma war so ziemlich überall verteilt. Die armen Reinigungskräfte, er beneidete sie nicht.

Entschlossen schnappte er sich seinen Rucksack und suchte nach einem neuen Sitzplatz - weit weg von diesem Duft, der nicht sein durfte. Er würde ihn verdrängen müssen, vergessen, und ihm hoffentlich nie wieder begegnen.

April 2010

Research Lab of Progressed Epigenetics, Illinois

Grelles Licht und ein scharfer Geruch ließen Pieter die Augen zukneifen und nach Luft ringen. In seinem Kopf schwirrte es, und sein Schädel schmerzte. Mit einem Stöhnen versuchte er, nach seinem Kopf zu greifen, doch es gelang ihm nicht. Er konnte die Hände nicht bewegen. Etwas hielt sie zurück.

Wieder blinzelte er gegen das Licht an und versuchte seine Hände zu sehen. Nur langsam klärte sich sein Blick, doch er brauchte einige lange Sekunden zusätzlich, bis er begriff, dass er gefesselt war.

Stählerne Handschellen hielten seine Gelenke an dem metallenen Tisch fest, auf dem er lag. Als sein Blick tiefer glitt, sah er, dass seine Fußgelenke genauso fixiert waren.

Er lag nackt in einem kahlen weißen Raum und wusste nicht, wie er hierher gekommen war.

Seine letzten Erinnerungen waren, dass er sich auf dem Weg zum California-Rudel befunden hatte, um dort Onkel Pete zu besuchen. Er war abends auf dem Bahnhof ausgestiegen und hatte auf jemanden gewartet, der ihn abholen sollte. Mehr fiel ihm nicht ein. Vermutlich hatte ihn sein Kidnapper niedergeschlagen, zumindest wies sein schmerzender Kopf darauf hin.

Verzweifelt zerrte er an seinen Fesseln, doch diese waren unzerreißbar. Stärker als er.

Sein Blick irrte herum und blieb an der stählernen Tür hängen. Wo war er? Was wollte man von ihm?

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

Die Tür wurde aufgeschlossen und drei Männer traten herein. Alle waren in weiße Laborkittel gekleidet. Der Mittlere trat vor und betrachtete ihn mit einem zufriedenen Lächeln. Er war nicht groß, mittleren Alters und wirkte wie ein netter, harmloser Mann, wenn seine Augen nicht gewesen wären. Diese blickten kühl und distanziert auf ihn herab.

„Hallo mein Junge. Ich bin wirklich sehr froh, dass wir dich gefunden haben.“

„Was wollen Sie von mir?“, stammelte Pieter. „Wer sind sie?“

„Ich bin ein sehr neugieriger Mann. Genauso wie meine Kollegen hier. Und wir sind davon überzeugt, dass du uns eine Menge Antworten auf all unsere Fragen liefern kannst. Keine Sorge. Was du selbst nicht weißt, und das wird vermutlich eine Menge sein, da du ja gerade mal fünfzehn Jahre alt bist, das werden wir durch akribische Untersuchungen und Tests herausfinden. Du wirst als der erste Wolf in die Geschichte eingehen, der uns Menschen Erkenntnisse über dein Wesen, deine Anatomie und deine Genetik liefert. Du wirst nicht der Einzige bleiben, aber doch der Erste. Ich fürchte nur, dass du deinen Ruhm nicht genießen wirst. Wir werden dich auseinanderschneiden bis auf die letzte Nervenzelle. Tut mir leid, dass bei euch Wölfen keine Schmerzmittel wirken. Aber ich bin mir sicher, dass du alles heldenhaft ertragen wirst.“

Er nickte den beiden Männern zu, die sofort auf den Jungen zutraten.

Dieser sah völlig entsetzt zu ihnen hoch. Er konnte nicht glauben, was der Mann gesagt hatte. Dann sah er das Skalpell in der Hand eines der Männer aufblitzen.

„Als Erstes werden wir deine Regenerationsfähigkeit testen. Wir haben gehört, dass sie unglaublich schnell ist“, erklärte der Mann, ohne Mitleid in der Stimme.

Pieter schrie, als das Skalpell sich in seinen Arm versenkte und diesen der Länge nach aufschlitzte. Der Schmerz war real und in den Augen der beiden Wissenschaftler las er kein Mitgefühl, nur Faszination.

Aus seinem Schreien wurde ein lautes Heulen, als die Wandlung einsetzte. Doch damit hatten sie offenbar gerechnet. Sofort legte der zweite Mann ein stählernes Band um seinen Hals.

Es gab kein Entkommen.

Fellträger

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