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3. Samstag, 11.2.2012

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Huntsville, Texas

Etwa eine Woche später, an einem Samstagnachmittag, klingelte es wieder. Diesmal stand ein älterer, wildfremder Mann vor der Tür. Nur zögernd öffnete Sara. Ihr Gegenüber trug einen braunen Cordanzug, darunter ein kariertes Holzfällerhemd in passenden Brauntönen. Nicht gerade Saras Geschmacksrichtung. Seine Körperhaltung und auch seine Augen strahlten etwas Gehetztes aus.

Der Mann starrte sie erst intensiv an, dann räusperte er sich und meinte: „Entschuldigen Sie die Störung, aber ich muss dringend mit Ihnen sprechen.“

„Worum geht es denn?“

„Bitte, das möchte ich nicht hier auf dem Gang sagen. Könnte ich reinkommen?“

Sara zögerte. Es war nicht ihre Art fremde Männer in die Wohnung zu lassen, und dieser hier sah nicht unbedingt vertrauenerweckend aus. Aber er wirkte ungefährlich, und sie wusste, dass sie notfalls kräftig genug war, um ihn abzuwehren. Die meisten Leute unterschätzten sie, wenn es um Kraft und Schnelligkeit ging.

„Na gut, kommen Sie rein.“

Er folgte ihr ins Wohnzimmer und ließ sich unaufgefordert in einen Sessel fallen. Schamlos sah er sich um.

„Wohnen Sie schon lange hier?“

Sara blickte etwas verdutzt.

„Äh, etwa ein halbes Jahr, warum?“

„Und Ihr Nachbar?“

Sara zuckte die Schultern.

„Schon ein paar Jahre, glaube ich.“

„Kennen Sie ihn näher?“

Langsam wurde es Sara doch zu bunt.

„Ab und zu sehe ich ihn und wir wechseln ein paar Worte, aber warum? Was wollen Sie eigentlich?“

Der Mann fragte ungerührt weiter.

„Mehr nicht? Er hat Sie noch nie besucht, oder zu sich eingeladen?“

„Doch, natürlich, wir sind schließlich Nachbarn. Und er war immer sehr höflich. Zumindest hat er sich vorgestellt, wie es sich eigentlich gehört.“

Der Mann überhörte diesen Wink und starrte sie an.

„Sie waren in seiner Wohnung? Ist Ihnen da etwas Besonderes aufgefallen?“

„Also jetzt reichts“, rief Sara empört. „Entweder Sie stellen sich vor und sagen, was Sie wollen, oder Sie verschwinden sofort.“

„Pscht“, zischte er. „Seien Sie nicht so laut, er könnte uns hören.“

„Das ist doch lächerlich. Also, wer sind Sie?“

„Bitte, nicht so laut! Mein Name ist Nils Bogart und ich ... also ich habe Grund zu der Annahme, dass Ihr Nachbar sehr gefährlich ist.“

„Mr. Tellerond?“ Sara lachte ungläubig. „Ausgerechnet er? Ist er ein entsprungener Killer oder Frauenschänder oder was?“

„So etwas ähnliches.“ Nils Bogart suchte offensichtlich nach den passenden Worten. „Ich weiß, dass das, was ich Ihnen jetzt sagen werde, äußerst merkwürdig klingt, aber ich bitte Sie inständig mir zu glauben. Vorher aber noch eine Frage. Haben Sie Ihren Nachbarn jemals bei Tageslicht gesehen?“

„Bei Tageslicht?“ Sara zögerte. „Ich weiß nicht. Nein ich glaube nicht. Gewöhnlich schläft er tagsüber und arbeitet nachts.“

„Zumindest erzählt er Ihnen das“, behauptete Bogart mit leichtem Triumph in der Stimme. „Aber noch eine Frage. Haben Sie sich, wenn er Sie besucht hat, hinterher seltsam matt gefühlt, und das dann über mehrere Tage?“

Sara grinste.

„Was soll denn das für ne Frage sein? Aber wie Sie meinen. Natürlich habe ich mich ab und zu todmüde gefühlt. Ich arbeite schließlich den ganzen Tag. Das ist dann ja wohl normal.“

„Das ist es nicht,“ rief Bogart und vergaß für einen Moment selber, leise zu sein. „Hören Sie!“ Er senkte die Stimme wieder. „Ich weiß, dass Ihr Nachbar, Robert Tellerond, kein normaler Mensch ist.“

Sara klappte verblüfft den Mund auf.

„Äh, wie? Was soll er denn sonst sein?“

„Ein Vampir.“

Es herrschte kurze Zeit Stille. Dann fing Sara an zu kichern, bis sie schließlich in schallendes Gelächter ausbrach.

Nils Bogart saß mit hochrotem Kopf im Sessel und wartete, bis die junge Frau sich beruhigt hatte.

„Also ein Vampir ja? Wissen Sie, mir ist noch nicht aufgefallen, dass er kein Spiegelbild hat und keinen Knoblauch mag. Aber vielleicht sollte ich ihn mal fragen.“

Sara kicherte immer noch. Nils Bogart verlor seine Beherrschung nicht.

„Hören Sie, Miss Linn. Es ist mein voller Ernst. Ihr Nachbar ist ein Vampir, und Sie können davon ausgehen, dass er Sie bereits mehrmals gebissen hat. Sie sind jung, hübsch und regenerierfähig, und wohnen noch dazu direkt neben seiner Tür. Ich schätze, es gibt keinen Vampir, der da widerstehen könnte.“

Sara grinste.

„Komisch ich hab noch keine Bissspuren gefunden.“

„Natürlich nicht. Vampirbisse heilen sehr schnell. Praktisch über Nacht. Ich nehme an, es liegt an ihrem Speichel, aber genau weiß ich es leider nicht.“

„Vielleicht sollten Sie Mr. Tellerond fragen,“ meinte Sara sarkastisch.

„Das ist überhaupt nicht witzig. Miss Linn, ich erzähle Ihnen das nicht nur, um Sie zu warnen. Ich brauche auch Ihre Hilfe.“

„Wozu denn?“

„Um dieses Monster zu töten, natürlich.“

Sara starrte ihn an.

„Sie wollen Mr. Tellerond umbringen? Sind Sie wahnsinnig? Das ist Mord!“

„Er ist ein Vampir, und er mordet und verletzt Menschen“, versetzte Nils Bogarts heftig. „Ich bin ihm nur durch Zufall auf die Spur gekommen. Normalerweise ist es sehr schwer, diese Ungeheuer zu finden und deswegen ist es besonders wichtig, dass wir diese Gelegenheit nutzen. Miss Linn, glauben Sie mir bitte. Alles was ich Ihnen gesagt habe, ist die reine Wahrheit. Bitte, helfen Sie mir, dieses Monster zu beseitigen. Mein Partner ist vor kurzem ums Leben gekommen, und alleine werde ich es vielleicht nicht schaffen. Diese Monster sind unglaublich stark und schnell. Ich brauche jemanden, der ihn ablenkt, um ...“

Sara sprang auf. Sie war jetzt ernsthaft zornig.

„Hören Sie auf, Mr. Bogart. Ich habe mir diesen Unsinn lange genug angehört. Verschwinden Sie, und lassen Sie sich niemals mehr in diesem Haus hier blicken. Sonst rufe ich die Polizei und zeige Sie wegen Mordvorsatz an. Das ist ja wirklich der Gipfel an Irrsinn. Vampire, hach. Demnächst erzählen Sie mir noch was von Werwölfen und Moorhexen.“

„Nun, die gibt es tatsächlich. Ich ...“

„Raus“, fauchte Sara.

Nils Bogart richtete sich auf und warf ihr einen teils wütenden, teils mitleidigen Blick zu.

„Es macht mir nichts aus, dass Sie mir nicht glauben. Das tut selten jemand. Ich hoffe nur, dass Sie es niemals bereuen.“

Sara knallte hinter ihm die Tür zu und lehnte sich aufatmend dagegen. Mann, das war ja ein Psychopath! Hoffentlich sah sie den nie wieder. Ob sie Robert Tellerond davon erzählen sollte? Vielleicht versuchte dieser Verrückte tatsächlich einen Mord. Sie beschloss, ihren Nachbarn noch am gleichen Abend aufzusuchen.

Doch bereits eine Stunde später hörte sie im Flur seltsam kratzende Geräusche. Ihr Gehör war schon immer ausgezeichnet gewesen, und nicht zum ersten Mal war sie dankbar dafür. Vorsichtig spähte sie nach draußen und sah, dass die Tür zu Telleronds Wohnung nur angelehnt war.

„Um Gottes Willen,“ murmelte sie. „Wenn das der Verrückte ist.“

Schnell huschte sie über den Gang und stieß leise die Tür auf. Die Wohnung war in leichtes Dämmerlicht gehüllt, da alle Jalousien heruntergezogen waren. Alles wirkte sauber und aufgeräumt. Beinahe steril. Leise schlich sie weiter und spähte in den Wohnraum. Vor dem Schlafzimmer hockte eine dunkelgekleidete Gestalt und hantierte lautlos an dem Schloss herum. Plötzlich schwang die Tür nach innen auf und die Person erhob sich und sprang ins Zimmer. Sara stieß einen Fluch aus und rannte los.

Und dann brach ein wahrer Tumult aus. Als sie das Zimmer erreichte, stand Nils Bogart mit einem zischenden Flammenwerfer vor Tellerond, der sich eingekeilt in einer Zimmerecke befand.

„Sind Sie wahnsinnig?“, schrie Sara. Bogarts Kopf zuckte überrascht zu ihr herum. Nur am Rande registrierte sie, dass er eine schwarzgetönte Sonnenbrille trug, was ihr in dem dunklen Zimmer völlig absurd erschien.

„Verschwinden Sie. Das ist meine Arbeit“, brüllte er sie an.

„Sie sind ja verrückt.“

Sara starrte entsetzt auf den Flammenwerfer, der sich Tellerond gefährlich näherte. Hastig sah sie sich um und ergriff den nächstbesten Stuhl, um ihn dem Vampirjäger auf den Arm zu knallen. Bogart schrie auf und der Flammenwerfer fiel zu Boden, von wo aus er sofort das Bett in Brand setzte. Mit unglaublicher Geschwindigkeit warf sich Tellerond auf Bogart. Dieser gab nur noch einen erstickten Schrei von sich. Sara achtete gar nicht darauf, sondern ergriff sofort die nächstbeste Decke, um die Flammen auszuschlagen. Dann erst wandte sie sich zu den Kämpfenden - und erstarrte. Der Vampirjäger hing leblos in Telleronds Armen. Dieser hob den Kopf und blickte sie an.

„Oh mein Gott“, ächzte Sara nur und sah wie gebannt auf die schwach blutende Bisswunde an Bogarts Hals. „Sie sind ja wirklich einer.“

Tellerond verzog seine Lippen zu einem gespenstischen Lächeln.

„Sieht ganz so aus, nicht wahr?“

Ihre Beine gaben nach und sie plumpste auf das halb verkohlte Bett.

„Ist er ... ist er tot?“, stammelte sie. Tellerond ließ Bogart los und dieser glitt langsam zu Boden.

„Ziemlich tot“, bestätigte er. „Und ich muß zugeben, dass es mir überhaupt nicht leidtut. Ich lass mich nämlich nur höchst ungern grillen.“

Sara schluckte.

„Und ... und jetzt? Ich meine, sollten wir nicht besser die Polizei rufen?“

Robert Tellerond näherte sich der jungen Frau langsam.

„Ich glaube nicht, dass ich darauf besonderen Wert lege,“ meinte er freundlich. „Diese Leute würden mir das Leben nur unnötig schwer machen.“

Sara fasste sich langsam und sah verstohlen nach einer Fluchtmöglichkeit.

„Es gibt nur einen Ausgang“, sagte er sanft. „Und der befindet sich zur Zeit in meinem Rücken.“

Sie biss sich auf die Lippen und blickte ihm besorgt entgegen. Der sonst so freundliche und höfliche Nachbar erschien ihr auf einmal entsetzlich bedrohlich und gefährlich. Robert Tellerond blieb dicht vor ihr stehen und beugte sich mit einer anmutig erscheinenden Bewegung zu ihr herunter. Sara musste all ihre Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht instinktiv zurückzuzucken. Seine blauen Augen blitzten sie an, aber sie konnte beim besten Willen nicht sagen, ob sie spöttisch, wild oder eher erheitert blickten.

„Also, wenn Sie keine Polizei wollen, dann sollten Sie sich schnell überlegen, wie Sie die Leiche loswerden“, stammelte sie.

„Oh keine Sorge, darin bin ich geübt“, versicherte er. Dieses Mal war sein Spott unverkennbar. „Und auch mit zwei Leichen werde ich fertig.“

„Wenn Sie damit andeuten wollen, dass Sie mich ... ich meine ...“

Sara hatte in ihrem ganzen Leben noch nicht so gestottert, wie in diesen Sekunden.

„Also, das ist völlig unnötig, wirklich. Meine Lippen sind versiegelt, mein Gedächtnis furchtbar schlecht und ... und ... dieser Typ war mir sowieso unsympathisch.“

Seine Hand legte sich sanft um ihren Nacken.

„Das mag alles sein, aber es gibt dabei ein nicht unerhebliches Problem.“

„Und ... und welches?“

Sara hing, gebannt von den blauen Augen, völlig hilflos in seinem Griff.

„Nun, es existiert das ungeschriebene Gesetz, dass kein Mensch die Identität eines der unseren kennen darf. – Sie werden doch einsehen, dass das Sinn macht? Sie brauchen sich nur diesen netten Flammenwerfer anzusehen.“

„Den hab ich aber nicht angeschleppt“, erinnerte Sara ihn hastig. „Im Gegenteil, ich ... also eigentlich habe ich Ihnen sogar geholfen.“

Robert Tellerond lachte freundlich.

„Sicher, aber da haben Sie ihm noch nicht geglaubt. Ansonsten hätten Sie ihn wohl eher unterstützt.“

„Bestimmt nicht!“ Sara versuchte ihre ganze Überzeugung in die nächsten Sätze zu legen. „Ich bringe ganz sicher niemanden um. – Ich hab ja schon Schwierigkeiten ´ne Mücke platt zu machen.“

Robert Tellerond kniete mittlerweile zwischen ihren Beinen und zog sie sanft aber bestimmt nahe an sich heran. Sein Mund berührte ihre Lippen. Sara war starr vor Angst und unfähig sich zu bewegen. So sehr sie sich auch bemühte, nicht ein Muskel gehorchte ihrem Willen.

Telleronds Lippen glitten über ihr Gesicht und ihren Hals. Kaum hatten ihre Augen den Blickkontakt verloren, da spürte sie wieder Gefühl in ihren Gliedmaßen. Mit einem verzweifelten Keuchen versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien. Doch das misslang völlig. Ohne Mühe hielt er sie fest, so sehr sie sich auch wehrte.

„Wirklich, das ist völlig zwecklos“, versicherte er ihr, immer noch freundlich. „Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder Sie wehren sich und ich tu Ihnen weh, oder wir versuchen dem Ganzen noch etwas angenehmes abzugewinnen.“

„Ich ... ich soll mich angenehm umbringen lassen?“ Sara schnappte hörbar nach Luft. „Das ist nicht Ihr Ernst?!“

„Doch, mein völliger Ernst“, versicherte er. „Ich verspreche Ihnen sogar, dass es so gut wie überhaupt nicht weh tun wird. – Zumindest werde ich mich bemühen.“

„Das ist nicht fair“, stöhnte Sara. „Ganz und gar nicht fair.“

Dabei war sie sich seiner Nähe und den Lippen auf ihrem Hals nur allzu bewusst.

Der Schmerz kam scharf und plötzlich. Deutlich spürte sie, wie seine Zähne ihre Haut durchbohrten und dort unerbittlich verharrten. Robert Tellerond drückte sie zurück auf die angekohlte Matratze. Mit einer Hand umklammerte er ihre Handgelenke, während die andere zielstrebig an ihrer Kleidung herumnestelte. Sara schwindelte es. Sie wusste nicht, wie schnell ihr Blut ihren Körper verließ, aber sie spürte, wie sie es verlor, und das war kein angenehmes Gefühl.

Eine Stimme ließ ihn hochfahren.

„Mr. Tellerond? Mr. Tellerond, ist alles in Ordnung? Ihre Tür steht auf!“

In seinem Gesicht zeichneten sich Überraschung und Zorn ab. Schaudernd gewahrte Sara das Blut an seinen Lippen. Ihr Blut! Sie öffnete den Mund zum Schreien, aber dann hielt sie inne. Die Stimme gehörte der Nachbarin aus dem zweiten Stock. Mrs Webster war eine alte neugierige Dame und manchmal unerhört lästig, aber trotzdem. Sara mochte sich nicht vorstellen, dass die alte Frau das dritte Opfer an diesem unseligen Abend sein würde.

„Gehen Sie schnell“, flüsterte sie. „Bitte bringen Sie die alte Frau nicht auch noch um.“

Robert Tellerond fand seine Fassung wieder und nickte. Mit einigen schnellen Schritten verließ er den Raum. Sara hörte, wie er mit charmanten Worten die Nachbarin beruhigte.

Verzweifelt ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen. Es gab nur diesen einen Ausgang. Und der Flammenwerfer lag so unendlich weit weg in einer Ecke. Keuchend versuchte sie, sich aufzurichten, aber kaum, dass sie auf den Beinen stand, sackte sie auch schon zusammen. Noch nie hatte sie sich so müde und erschöpft gefühlt, so hilflos. Sie hörte nicht, wie er wieder ins Zimmer kam und schrak zusammen, als er sich vor ihr niederhockte. Instinktiv hob sie die Arme, um ihren Hals zu schützen. Robert Tellerond hatte keine Mühe, sie wieder an sich zu ziehen. Sara weinte.

Er küsste ihre feuchten Wangen und ihren Mund.

„Es gibt schlimmere Arten zu sterben“, versicherte er leise.

„Aber ich will noch nicht!“, flüsterte Sara. „Ich .... ich hab doch noch gar nicht richtig gelebt.“

„Es gibt Menschen, die schon als Kinder sterben“, erinnerte er sie.

„Aber viele werden uralt!“

Er lächelte wieder.

„Möchten Sie wirklich uralt werden? Kaum fähig zu laufen, senil, tattrig, krank und voller Runzeln?“

„Ach ja, bitte. Das wäre prima.“

„Glauben Sie mir, das mit dem in Ehren alt werden ist ein Ammenmärchen. Viele siechen vor sich hin und sind sich selbst und anderen eine Last.“

„Aber sie haben wenigstens eine faire Chance zu leben.“

„Nein, die haben sie nicht. Das Leben ist nicht fair. Ich glaube sogar, dass es ganz und gar unfair ist.“

„Sie sind ganz schön destruktiv“, murmelte Sara. „Sind Sie Nihilist?“

Er küsste sie erneut und öffnete vorsichtig ihre Bluse.

„Nein. Nihilismus ist eine Phase, die man sehr schnell wieder ablegt. Ich denke, ich bin eher Realist.“

Saras Gedanken schwammen dahin, träge wie in einem weiten Ozean. Ein kurzer Schmerz in ihrer Brust zog sie wieder an die Oberfläche. Mit einer hilflosen Bewegung versuchte sie, den Mann von sich herunter zu schieben, aber er lag auf ihr wie ein Fels. Massiv und unbeweglich. Nur seine Hände waren aktiv. Routiniert streiften sie ihre Hose hinunter und schoben sich unter ihr Gesäß. Sara entglitt ein leises Stöhnen, als er in sie eindrang. Er war überraschend vorsichtig. Seine Hände glitten über ihren Körper, sanft und geschickt. Nur die Zähne in ihrer Brust erinnerten sie daran, dass er dabei war, ihr das Leben auszusaugen.

Das Telefon schrillte laut und unangenehm. Robert Tellerond stieß einen zischenden Fluch aus und hob den Kopf. Sara hielt die Augen geschlossen. Ihr Atem war keuchend, aber schon merklich angestrengt. Immerhin brachte sie ein mattes Lächeln zustande.

„Auszeit“, murmelte sie. „Vielleicht ist es ja furchtbar dringend. Bestellen Sie schöne Grüße unbekannterweise.“

Robert Tellerond sprang auf und eilte zum Telefon. Sara hörte seine zornige Stimme nur aus weiter Ferne. Müde rollte sie sich zusammen. Sie hatte nur noch den Wunsch zu schlafen. Egal wie lange.

Als Robert Tellerond das Schlafzimmer betrat, lag Sara nackt und zusammengerollt neben dem Bett. Von den Bissspuren war nichts mehr zu sehen. Nur ihre bleiche Hautfarbe verriet, dass etwas nicht in Ordnung war. Robert Tellerond bückte sich und hob sie mühelos auf seine Arme. Nach einem kurzen Blick auf die verkohlten Überreste verzichtete er darauf sie aufs Bett zu legen und trug sie ins Wohnzimmer auf die Couch. Dann hockte er sich auf einen Sessel und betrachtete sie nachdenklich. Er musste zugeben, dass ihm ihr Verhalten gefiel. Nicht nur, dass sie ihm geholfen hatte. Sie hatte auch so viel Grips bewiesen, die alte Frau aus der Sache herauszuhalten. Und sie war nicht panisch oder gar hysterisch geworden. Außerdem, er beugte sich vor und strich ihr ein paar blonde Locken aus dem Gesicht, außerdem schien sie nicht nur attraktiv, sondern ebenso clever zu sein. Und sie roch ungewöhnlich verführerisch. Es war wirklich eine Schande, dass er sie töten musste. Er leckte sich über die Lippen und lächelte. Aber eine äußerst geschmackvolle Schande. Ihr Aroma war intensiv und enthielt bekannte Facetten. Interessante Nuancen, die ihn schon beim ersten Mal fasziniert hatten. Diesen Moment wählte Sara, um wieder wach zu werden. Sie rieb sich die Augen und gähnte. Dann blinzelte sie ihn verwirrt an, bis sie sich wieder erinnerte und ihr Blick sich weitete.

„Bin ich ... bin ich immer noch nicht tot?“

„Ich dachte, Sie hätten es damit nicht so eilig?“

Sara schluckte und fasste sich an den Hals.

„Ja ... nun, eigentlich nicht, nein. Ich bin ja auch nicht undankbar, ehrlich. Nur ... könnte ich was zu trinken haben? Ich verdurste.“

„So schnell verdurstet kein Mensch“, lächelte er und für einen kurzen Moment glaubte sie, spitze Eckzähne zu sehen. Zögernd hob sie die Hand und berührte seinen Mund.

„Wissen Sie, das ... also als Kind habe ich ja gerne Horrorfilme gesehen, aber geglaubt habe ich sie nie. Sind diese ... äh diese Filmvampire eigentlich nach echten Vorlagen konstruiert?“

Robert Tellerond fing an zu lachen und Sara konnte sein beeindruckendes Gebiss sehen. Die Eckzähne waren spitzer als gewöhnlich, wenn auch nicht übermäßig lang. Aber die Zähne wirkten allesamt kräftig und gesund.

„Ist ja beinahe enttäuschend. Ich hätte gedacht, die wären länger. Weh genug tuts ja.“

Telleronds Gelächter verstummte.

„Das tut mir leid“, meinte er ernst. „Ich werde versuchen vorsichtiger zu sein.“

„Nur nicht zuviel Umstände“, murmelte Sara. „Andererseits, vielleicht könnte ich ja doch etwas zu trinken bekommen?“

Er betrachtete sie aufmerksam. Sie wirkte müde und erschöpft, aber in ihren Augen glomm ungebrochener Lebenswille. Es war höchst ärgerlich. Wenn diese Frau wenigstens dumm oder hässlich wäre, aber nein. Sie musste natürlich hübsch und sympathisch sein. Normalerweise wäre er nie auf die Idee gekommen, sie zu töten. Er erhob sich und betrat die Küche. Als er mit einem Glas Wasser in der Hand zurückkehrte, saß Sara auf der Couch und mühte sich angestrengt sitzen zu bleiben. Mit etwas zittriger Hand nahm sie das Glas entgegen und trank es hastig leer. Prompt verschluckte sie sich und fing an zu husten. Robert Tellerond hockte sich neben ihr nieder und klopfte fürsorglich ihren Rücken. Als sie sich wieder etwas beruhigt hatte, starrte sie angestrengt auf ihre Hände. Er umfasste ihr Gesicht und hob es an.

„Sehen Sie mir in die Augen“, forderte er sie auf. Sara sah prompt nach unten.

„Also, eigentlich möchte ich das lieber nicht.“

„Und warum nicht?“

„Weil ... ich denke, dann bin ich nicht mehr Frau meiner Glieder – und das mag ich nicht besonders.“

„Wie kommen Sie denn dadrauf?“

„Na ja, zum einen merke ich es, und zum andern - äh diese Sonnenbrille von dem Bogarts muss ja einen Grund haben.“

Er fing wieder an zu lachen.

„Funktioniert das denn? Ich mein, die Sonnenbrille?“

Sein Kuss überraschte sie – und machte sie erneut wehrlos.

„Süße Frau Nachbarin ...“

„Ich heiße Sara.“

„Süße Sara. Sie sind wirklich erfrischend. Leider ändert das aber nichts an den Gegebenheiten. Und was die Sonnenbrille angeht, dieser Mann hatte wirklich keine Ahnung, mit wem er sich da eingelassen hat.“

Das klang nicht beruhigend. Ihr entging allerdings nicht, dass das keine echte Antwort gewesen war.

Sara nahm allen Mut zusammen und sah ihm in die Augen.

„Bitte, gibt es denn gar keine andere Möglichkeit? Ich würde ja wirklich alles tun.“

„Alles?“ Er hob die Augenbrauen. „Das ist eine Menge, sind Sie sich da sicher?“

Sie schluckte.

„Na ja, ich gebe zu, kochen kann ich nicht besonders, Haushalt ist nicht gerade meine Stärke, aber wenn es sein muß, bügel ich sogar Hemden. Ansonsten kann ich nicht besonders viel – außer meiner Arbeit mit Kindern natürlich. Aber vielleicht fällt Ihnen ja noch was ein.“

In ihren Augen standen Verzweiflung und Angst. Tellerond schüttelte den Kopf.

„Es tut mir leid. Wirklich und wahrhaftig. Sie sind eine interessante und attraktive Frau, noch dazu eine wirklich außergewöhnlich gut schmeckende Blutspenderin, aber ....“

Es klingelte. Dann pochte es laut an der Tür. Sara holte tief Luft.

„Alle guten Dinge sind drei!“

Tellerond fluchte zum dritten Mal an diesem Abend. Dann sah er mit einer Mischung aus Wut und Entnervung zur Tür.

„Das ist wirklich nicht zu fassen!“

„Ach wissen Sie, ich hab schon Schlimmeres erlebt“, murmelte Sara. „Machen sie ruhig auf. Ich schrei bestimmt nicht. Ich bin nicht an einem Massaker interessiert. An Ihrer Stelle würde ich aber die Schlafzimmertür zumachen. – Dieser Bogart ist echt kein netter Anblick.“

Er küsste sie erneut.

„Vielen Dank für den Hinweis.“

Dann schob er ihr eine Decke zu. Sara wickelte sich gehorsam darin ein.

Die Störenfriede entpuppten sich als zwei junge Männer, die lärmend ins Wohnzimmer drängten. Als sie Sara auf dem Sofa hocken sahen, rissen sie den Mund auf.

„Mensch Robert“, grinste einer. „Tut mir ja leid, dass wir dich bei sowas stören.“

„Das will ich hoffen“, knurrte Robert. „Liegt irgendetwas Besonderes an?“

„Ja klar. Wir hatten ne Verabredung, schon vergessen?“

„Verflixt ... ja, tut mir leid. Ich habs tatsächlich verschwitzt.“

Der andere Mann grinste.

„He, kein Grund zur Sorge. Du hast unser vollstes Verständnis.“ Er zwinkerte Sara zu. „Bei so einem süßen Käfer würde ich noch so einiges mehr vergessen. Ist nur die Frage, was du jetzt vorhast.“

Sara ergriff die Gelegenheit und richtete sich auf. Mit all ihrer verbliebenen Entschlossenheit schaffte sie es, auf den Beinen zu bleiben.

„Also an mir soll eine Verabredung nicht scheitern“, stieß sie hervor. Mit einigen torkelnden Schritten ging sie auf Robert Tellerond zu und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen.

„Also dann, bis zum nächsten Mal.“

Er war so perplex, dass er sie nicht zurückhielt. Die beiden Männer sahen ihr feixend hinterher.

„Donnerwetter, die hast du ja ganz schön abgefüllt. War sie so schwer zu überreden?“

„Sie hat durchaus ihren eigenen Kopf“, bestätigte er, während er überlegte, wie er diese Situation retten konnte. Andererseits hatte er tatsächlich nicht das Gefühl, dass Sara Linn ihm Schwierigkeiten machen würde – davon mal abgesehen, dass sie körperlich kaum dazu in der Lage war.

Er entschloss sich, erst einmal abzuwarten.

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