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2. Donnerstag, 2. Februar 2012

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Huntsville, Texas

„Sara! Sara! Kevin hat mich geschubst und mir den Roller weggenommen!“

Das kleine Mädchen rannte heulend auf die junge Frau zu und umklammerte ihre Hüften.

Sara Linn versuchte, mit einer akrobatischen Verrenkung das Tablett mit den Tassen auf den nächsten Tisch zu schieben.

Als es ihr endlich gelungen war, löste sie die Arme des kleinen Mädchens und hockte sich nieder.

„Hast du dir weh getan, Nicole?“

„Nein“, heulte die Kleine. „Aber er hat mich einfach geschubst. Und dann hat er mir den Roller weggenommen.“

„Komm, Nicole! Wir gehen mal zu Kevin und stellen ihn zur Rede.“

Sie zog das Mädchen mit sich nach draußen und steuerte auf einen kleinen Jungen zu, der mit schrillen Schreien auf dem Roller durch die Gegend schoss und waghalsige Slalomkurven um die anderen Kinder drehte.

„Kevin! Kevin halt mal bitte an und komm her!“

Saras Stimme scholl laut über den Platz, so dass alle anderen zu ihr hinschauten. Nur besagter Kevin scherte sich nicht um ihr Rufen und sauste unbeeindruckt über den Hof.

Sara seufzte.

„Warte hier, Nicole!“

Sie beobachtete die Rollerkurven und wartete einen günstigen Moment ab. Plötzlich sprang sie vor und ergriff den Knaben am Kragen. Ein schriller Schrei und sie hielt den zappelnden Kevin vor sich in die Luft. Der Roller schrappte mit einem hässlichen Geräusch über den Boden und blieb dort liegen.

„Kevin Smith!“ Saras Stimme war ruhig, aber ohne eine Spur von Freundlichkeit. „Wenn ich dich bitte zu kommen, dann solltest du darauf hören!“

Kevin strampelte immer noch.

„Du tust mir weh“, heulte er. Sara schüttelte den Kopf.

„Nein, Kevin, das tue ich nicht. Aber du hast Nicole geschubst und ihr den Roller weggenommen. Jetzt hör endlich auf zu zappeln, sonst kann ich dich nicht auf den Boden lassen.“

Kevin fing an, um sich zu schlagen. Sara wartete geduldig ab. Manchmal machte sich ein bisschen Muskeltraining doch bezahlt. Und Kinder am langen Arm in der Luft zu halten war eine zusätzliche Trainingseinheit. Äußerst praktisch.

Nach einigen Minuten gab Kevin auf und sie ließ ihn zu Boden. Den Griff lockerte sie jedoch nicht.

„Du wirst dich jetzt bei Nicole entschuldigen“, verlangte Sara. „Und für den Rest der Woche ist der Roller für dich gestrichen.“

„Das ist unfair“, heulte Kevin auf.

„Nein, ist es nicht. Es ist unfair anderen einfach etwas wegzunehmen. Denk darüber gut nach. Und jetzt entschuldige dich!“

Sie schob den Jungen zu Nicole hin, die das Ganze mit großen Augen verfolgt hatte. Kevin starrte auf den Boden und schwieg.

„Kevin“, mahnte Sara. „Du hast Mist gebaut und dazu solltest du stehen. Das Mindeste ist eine Entschuldigung.“

„Tschuldigung“, murmelte er beinahe unhörbar.

„Ein wenig lauter wäre schon gut.“

Sara ließ nicht locker.

„Entschuldigung!“

Diesmal war Sara zufrieden.

„Gut. Nicole, du kannst dir den Roller wieder nehmen. Und du Kevin suchst dir jetzt eine andere Beschäftigung.“

Der Junge trollte sich mit mürrischem Gesicht, wohingegen das Mädchen fröhlich zu dem Roller rannte und wenige Sekunden später durch die Gegend sauste.

Sara beobachtete den Jungen eine Weile, doch dann lief sie wieder ins Haus, um sich um das schmutzige Geschirr zu kümmern.

„Kompliment“, erklang die Stimme ihrer Kollegin Janet. „Vier Minuten sind dein neuester Rekord.“

„Stoppst du echt die Zeit?“, lachte Sara amüsiert auf.

„Klar, wir haben schon Wetten abgeschlossen. Ich hab zehn Dollar auf dich gesetzt. Es fehlen jetzt nur noch dreißig Sekunden. Also streng dich bitte an!“

Sara Linn grinste und schüttelte den Kopf.

„Ihr seid echt verrückt. - Wir sollten Kevin im Auge behalten. Das ist jetzt schon das dritte Mal in dieser Woche, dass er sich gewaltsam Spielzeug unter den Nagel reißt.“

„Wohl wahr“, seufzte Janet und half ihr, das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen. „Lydia hat erzählt, dass der Junge ziemlich genau beschreiben kann, wie eines dieser neuen Shooter-Games funktioniert und abläuft. Wetten, dass er viele Stunden davor verbringt?“

Sara schüttelte ungläubig den Kopf.

„Die sind doch erst ab achtzehn und nicht für Vierjährige.“

„Glaubst du im Ernst, dass sich da alle Eltern drum scheren? Viele sind froh, wenn die kleinen Biester vor dem Monitor hocken und nicht ständig angerannt kommen und beschäftigt werden wollen. - So, dann geh ich mal da draußen Lydia ablösen.“

Sara beendete ihre Aufräumaktion. Danach betrat sie das Spielzimmer und widmete sich den Rest des Nachmittags der Streitschlichtung und Kinderbeschäftigung.

Als sie den Kindergarten verließ, wurde es langsam dunkel. Sara sog die kalte Februarluft durch die Nase ein und zog die Rucksackriemen enger. Dann trabte sie los. Bevor sie den Feierabend einläutete, stand erstmal ihr Trainingsprogramm an. Sie grinste, als sie an Janets Wette dachte. Viereinhalb Minuten Kevin-baumeln-lassen war machbar. Sie würde wohl ein Kilo mehr auf die Hanteln packen, kein Problem.

Das Fitnesscenter lag etwa auf der halben Strecke zu ihrer Wohnung. Es war nicht groß, aber immerhin halbwegs sauber. Sie besuchte den Laden schon seit sie die Stelle im Prekindergarten-Center angetreten hatte, also etwa ein halbes Jahr. Mittlerweile war es für sie zur Gewohnheit geworden, sich nach der Arbeit an den Geräten auszutoben.

Sportlich war sie schon immer gewesen und ebenso kräftig, doch die Arbeit mit den Kindern war vor allem auf geistiger Ebene anstrengend und forderte einen Gegenpol. Also stemmte sie Gewichte und erschöpfte sich im Ausdauertraining. Der Erfolg ließ sich nicht verbergen. Sara Linn war von mittlerer Größe, schlank und durchtrainiert. Und ihre blonden langen Haare kontrastierten ansprechend mit ihren grünen Augen. Mittlerweile war sie daran gewöhnt im Fitnessclub anzügliche Bemerkungen von Männern zu ignorieren. Außerhalb des Centers konnte sie es vermeiden blöd angequatscht zu werden, indem sie sich leger und nicht körperbetont anzog. Es war nicht so, dass es ihr nicht gefiel bewundert zu werden. Doch meistens waren die Bemerkungen eher geistlos und schlüpfrig. Und leider kamen sie eher von der Sorte Mann, die sie nicht im mindesten interessierte.

Sara wohnte in einem Wohnblock mitten in Huntsville, Texas. Die Wohnung lag im ersten Stock und war nicht groß mit zwei Zimmern, einer winzigen Küche und einem noch kleineren Badezimmer, aber sie war bezahlbar und nahe ihrem Arbeitsplatz. Und da ihr Arbeitslohn nicht üppig ausfiel, war sie mehr als zufrieden.

Als es an diesem Abend an ihrer Wohnungstür klingelte, stand sie gerade im Badezimmer und trocknete sich ab.

„Mist“, fluchte sie. Mit einem Besucher hatte sie nicht gerechnet, sonst wäre sie nicht in die Badewanne gestiegen, sondern hätte die Dusche benutzt.

Schnell schloss sie ihren Bademantel und rubbelte sich mit dem Handtuch hastig durch die blonden Locken.

„Einen Moment, ich komme sofort,“ schrie sie und hielt vergeblich nach ihren Pantoffeln Ausschau. Schließlich eilte sie barfuß zur Tür und blickte durch den Türspäher. Draußen stand ein Mann mittleren Alters und wartete geduldig. Es war Robert Tellerond, ihr Nachbar. Sofort öffnete sie die Tür.

„Hey“, grüßte sie, „Was gibt’s?“

Robert Tellerond betrachtete sie lächelnd.

„Offenbar einen netten Anblick.“

Sara seufzte.

„Wer um diese Uhrzeit erst aufsteht, sollte sich nicht wundern, wenn andere nach der Arbeit gerade baden.“

Ihr Nachbar lachte.

„Ich wundere mich nicht, und ich beschwere mich auch überhaupt nicht. Im Gegenteil.“

Er hob eine Kaffeebüchse.

„Raten Sie mal.“

Sie seufzte ein weiteres Mal.

„Wieder keinen Kaffee? Herrje, das kann ich nicht verantworten. Na, kommen Sie rein.“

Sie drehte sich um und ging in die Wohnung zurück. Robert Tellerond schloss hinter sich die Tür und folgte ihr. In der Küche füllte sie etwas Kaffee um. Als sie die Dose dem Mann in die Hand drückte, erfasste sie ein leichtes Schwindelgefühl. Er hielt sie schnell fest.

„Alles in Ordnung?“

„Wie?“ Sara holte tief Luft. „Oh ja, mir ist nur etwas schwindelig und ich bin ziemlich müde.“

„Dann laß ich Sie wohl besser allein.“

Er strich ihr sanft über die Wange und verließ dann die Küche.

Sara sah ihm leicht irritiert nach. Robert Tellerond hatte sie schon öfters besucht, aber bisher hatte er sie niemals so berührt. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Nun, es war nicht unangenehm gewesen und er war ein gutaussehender und höflicher Mann. Und sie war mit ihren zweiundzwanzig Jahren zwar keine alte Frau, aber vielleicht sollte sie sich doch langsam auf die Suche nach einem geeigneten Partner machen. Über ihren Nachbarn wusste sie zwar nicht viel, nur dass er offenbar nachts arbeitete, aber das ließ sich ja ändern.

Müde wankte sie zum Bett. Sie fühlte sich entsetzlich matt und erschöpft. Das Bad war wohl doch eine dumme Idee gewesen.

Am folgenden Tag wich diese Mattigkeit nur langsam, aber Sara machte sich darüber nicht viele Gedanken. Ab und zu kam das nun mal vor, wozu sich also aufregen? Zumal ihre Arbeit als Erzieherin zeitweise ziemlich anstrengend war. Der Umgang mit kleinen Kindern brachte häufig chronische Erschöpfung mit sich. Immerhin war ihr Schlaf dadurch so tief, dass sie nicht von ihren üblichen Träumen geplagt wurde.

Fellträger

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