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Geschichte vom Kellner und vom Müllionär

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Inhaltsverzeichnis

Wenn der Herr sie wie ich jeden Tag wieder zurückkommen sähe, sagte der Kellner, könnte er ebensogut fragen woher sie kommen. Das ist nämlich ganz alles eins, weil sie jeden Tag wieder zurückkommen. Ich sage mir: sie kommen zurück, weil sie nicht gefunden haben. Jetzt wird mich der Herr fragen: was suchen sie? weil der Herr wissen möchte, was ich darauf antworte. Und so fragte Prometheus: Was suchen sie?

Und der Kellner: Weil sie nicht dort bleiben, so ist es das Glück nicht. Der Herr mag mir glauben oder nicht – und er kam ganz nah und flüsterte: – Was die suchen, das ist ihre Persönlichkeit; – der Herr sind nicht von hier?

Nein, sagte Prometheus.

Übrigens, das sieht man, sagte der Kellner; ja: Persönlichkeit; das, was wir hier Idiosynkrasie nennen. Ich zum Beispiel, wie Sie mich da sehen, Sie würden schwören, ich sei ein Kellner. Aber kein Gedanke! Das bin ich nur so – aus Liebhaberei. Sie mögen mir glauben oder nicht; ich habe ein inneres Leben: ich beobachte. Es gibt nichts Interessanteres als die Persönlichkeiten; und dann die Beziehungen unter den Persönlichkeiten. Das ist hier in diesem Restaurant sehr gut eingerichtet, mit diesen Tischen für drei. Ich erkläre Ihnen den ganzen Betrieb sofort. Sie speisen doch bald, nicht? Man stellt Ihnen ...

Prometheus war ein bisschen müde. Der Kellner fuhr fort: Ja, diese Tische für drei, das ist es, was ich ausserordentlich bequem finde: drei Herren kommen; man stellt sie einander vor (natürlich nur wenn sie es wünschen), denn in meinem Restaurant muss man vor dem Diner seinen Namen angeben; und dann, was man macht: um so schlimmer, wenn man sich täuscht. Dann setzt man sich (ich nicht); man unterhält sich (ich natürlich nicht) – aber ich stelle den Kontakt her; ich höre zu; ich forsche aus; ich dirigiere die Konversation. Am Ende des Diners kenne ich drei innere Wesen, drei Persönlichkeiten! Jene kennen nichts. Ich, Sie verstehen doch, ich höre, ich mache die Beziehung; jene gehen auf die Beziehung ein. – Sie werden mich fragen, was mir das einbringt? – Ganz und gar nichts. Es ist mein Vergnügen, Beziehungen zu schaffen ... O! nicht für mich ..., nein, so wie, möchte man sagen, etwas, das man gratis abgibt, eine Gratistätigkeit, eine Gratishandlung!

Prometheus schien ein wenig ermüdet. Der Kellner fuhr fort: Eine Gratishandlung! Sagt Ihnen das nichts, gar nichts? – Mir scheint das ganz ausserordentlich. Ich habe lange gedacht, das sei es, was den Menschen vom Tiere unterscheidet – eine Gratistätigkeit. Ich nannte den Menschen: das Tier, das einer Gratistätigkeit fähig; – aber später habe ich das Gegenteil gedacht: dass er das einzige Wesen ist, unfähig etwas umsonst zu tun; – umsonst! denken Sie mal; ohne Vernunft – ja, gut, das gebe ich Ihnen zu – aber ohne Grund: dazu ist er unfähig! Unfähig! Übrigens fing mir das an langweilig zu werden. Ich sagte mir immer: warum macht er das? warum macht er dies? ... Ich will trotzdem nicht behaupten, dass ich Determinist bin ... übrigens, dabei fällt mir eine Anekdote ein:

Ich habe einen Freund, Herr; der ist, Sie werdens nicht glauben, Müllionär. Intelligent ist er auch. Der sagte sich: etwas tun umsonst? wie das? Sie müssen nicht vergessen, nicht um eine Tätigkeit, die nichts einbringt, handelt es sich, denn ohne das ... nein, eine umsonst! ein Akt, der durch nichts motiviert ist. Verstehen Sie? Nicht Interesse, nicht Leidenschaft, Nichts. Die interesselose uninteressierte Tat, geboren aus sich selber. Ohne Zweck, ohne Meister. Die freie Tat, die Autochtontat.

Wie? machte Prometheus.

Passen Sie gut auf, sagte der Kellner. Mein Freund kommt eines Morgens den Boulevard herunter, mit einem fünfhundert Franksschein in einem Couvert und einer bereitgehaltenen Ohrfeige in der Hand.

Es handelt sich darum, einen zu finden ohne ihn sich auszusuchen. Also, auf der Strasse lässt er sein Taschentuch fallen und zu dem, der es aufhebt (der gutmütig ist, weil er es aufhebt) sagt der Müllionär: – Entschuldigen Sie, mein Herr, sollten Sie vielleicht jemanden kennen?

Der andere: Ja, Mehrere.

Der Müllionär: Dann haben Sie, hoffe ich, die Güte und schreiben seinen Namen auf diesen Umschlag; hier ist Tisch, Tinte, Feder ... Der andere schreibt als ein Gutmütiger; dann: Bitte, möchten Sie mir jetzt erklären ...?

Der Müllionär antwortet: – Das ist ein Prinzip; dann (ich vergass zu erwähnen, dass er sehr stark ist) haut er ihm die Ohrfeige ins Gesicht, die er in der Hand trug, ruft einen Fiaker an und verschwindet.

Verstehen Sie? Zwei einfach geschenkte Taten auf einmal! Dieser fünfhundert Franksschein an eine Adresse, die er nicht gewählt hat und diese Ohrfeige, für einen, der sie sich ganz allein gewählt hat, indem er ihm das Taschentuch aufhob. Sagen Sie, ist das nicht etwa gratis und geschenkt?

Und die Relation! die Beziehung! Ich wette, Sie beachten die Beziehung nicht genügend; während nämlich die Tat umsonst ist, ist sie auch wie wir hier sagen: reversibel, heimfällig; so nämlich: der eine, der 500 Franks für eine Ohrfeige bekommen, der andere, der eine Ohrfeige für 500 Franks erhalten hat ... und dann: weiss man nichts weiter ... man geht auseinander, verliert sich. – Denken Sie doch! Eine Leistung absolut umsonst! Es gibt nichts, das demoralisierender wäre. – Aber der Herr beginnt Hunger zu bekommen; ich bitte vielmals um Entschuldigung; man kommt so ins Plaudern ... Möchten mir der Herr gefälligst seinen Namen sagen, – wegen der Vorstellung ... – Prometheus, sagte Prometheus einfach.

Prometheus! Ich sagte ja gleich, der Herr sind nicht von hier ... und Beschäftigung, wenn ich bitten darf?

Keine, sagte Prometheus.

Ach nein, sagte der Kellner mit einem süssen Lächeln. – Nein. Man braucht ja den Herrn bloss anzusehen, um zu wissen, dass er sich mit etwas beschäftigt.

Das ist so lang her, stammelte Prometheus.

Um so schlimmer, um so schlimmer, sagte der Kellner. Übrigens möge sich der Herr beruhigen. Ich stelle, wenn man will, mit dem Namen vor, aber nie mit der Beschäftigung. – Und die Ihre, mein Herr ... was beliebten Sie zu machen?

Zündhölzer, murmelte Prometheus errötend.

Das Schweigen, das nun folgte, war etwas peinlich. Der Kellner sah ein, dass er unrecht hatte, so auf seiner Frage zu bestehen, Prometheus fühlte, dass er nicht recht tat, darauf zu antworten.

Im Tone des Tröstens fing der Kellner an: Nun, der Herr machen ja keine mehr ... Aber etwas muss ich doch einschreiben, ich kann doch nicht einfach schreiben: Prometheus Punkt. Der Herr hat doch gewiss eine Profession, eine Spezialität ... oder weiss doch wenigstens etwas zu machen ...

Nichts, erklärte Prometheus.

Dann schreiben wir: Schriftsteller. – Nun, wenn es dem Herrn gefällig ist, in den Speisesaal einzutreten? ich serviere nicht draussen. Und er schrie hinein: Einen Tisch für Drei! Einen! ... Durch zwei Türen traten zwei Herren ein. Man sah, wie sie dem Kellner ihre Namen nannten. Aber da die Vorstellung nicht verlangt wurde, setzten sie sich ohne das. Und als sie sassen:

II

Meine Herren, begann der eine, ich bin in dieses Restaurant, in dem das Essen elend ist, einzig wegen der Unterhaltung gekommen. Ich habe ein Grauen vor einsamen Mahlzeiten und darum behagt mir dieses System des Tisches für Drei sehr, denn zu zweit würde man vielleicht zu streiten anfangen ... Aber Sie machen ein sehr schweigsames Gesicht?

Ganz gegen meinen Willen, entgegnete Prometheus.

Darf ich fortfahren?

Ich bitte Sie darum.

Ich sollte meinen, dass im Laufe einer Stunde drei Unbekannte Zeit hätten, sich kennen zu lernen – indem sie nicht zu viel essen (was hier leicht ist), indem sie wenig sprechen und die Gemeinplätze vermeiden; ich meine, dass jeder nur erzählt, was ihm durchaus eigentümlich ist. Ich behaupte ja nicht, dass diese Unterhaltung durchaus nötig wäre, aber, wenn sie uns nicht gefällt, wozu sind Sie eigentlich – man isst doch hier miserabel – wozu sind Sie eigentlich in dieses Restaurant gekommen?

Prometheus war sehr müde. Der Kellner beugte sich zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr: Das ist Kokles. Und der, der jetzt sprechen wird, das ist Damokles.

Damokles sagte:

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