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Fortsetzung der Rede Prometheus

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Inhaltsverzeichnis

Meine Herren, ich habe meinen Adler nicht immer gekannt. Dies führt mich zu dem Schluss – durch eine Überlegung, die einen mir momentan entfallenen bestimmten Namen in der Logik hat, die ich übrigens erst seit acht Tagen studiere – mich zu dem Schluss, sage ich, dass, wenn auch der einzige hier anwesende Adler der meinige ist, Sie doch alle einen haben.

Ich habe bis jetzt über meine Geschichte geschwiegen, die ich übrigens bis jetzt auch nicht ganz gut verstanden habe. Und wenn ich mich jetzt entschliesse, sie Ihnen zu erzählen, so ist es, weil sie mir durch meinen Adler nun so wunderbar erscheint.

VI

Meine Herren, ich sagte Ihnen schon, ich sah meinen Adler nicht von je. Vor ihm war ich unbewusst und schön, glücklich und nackt, ohne es zu wissen. Was für Tage! Auf den wasserreichen Gehängen des Kaukasus umarmte mich die lüsterne Asia, nackt und glücklich auch sie. Zusammen wälzten wir uns in die Tiefen der Täler; wir fühlten die Luft singen, das Wasser lachen, die einfachsten Blumen wohlduften. Oft legten wir uns unter breites Geäst, hinein in Blüten, wo flüsternde Bienenschwärme sich wiegten. Asia verband sich mir unter Lachen; dann mengte sich das Summen der Bienen und der Blätter in das Murmeln der Bäche und lud uns zu süssestem Schlafe. Alles um uns erlaubte, alles beschützte unsere aussermenschliche Einsamkeit – da, eines Tages, sprach Asia zu mir: Du solltest dich um die Menschen kümmern.

Da musste ich sie erst suchen gehen.

Ich wollte mich wohl um sie kümmern, aber: es war mit ihnen Mitleid zu haben.

Sie waren wenig aufgehellt; ich erfand einige Beleuchtung für sie; und da begann mein Adler. Es war an jenem Tage, dass ich bemerkte, ich sei nackt.

Bei diesen Worten kam von hier und da im Saale Händeklatschen. Plötzlich brach Prometheus in Tränen aus. Der Adler schlug die Flügel und gurrte. Mit einer grausamen Geste öffnete Prometheus sein Gilet und hielt dem Vogel seine schmerzhafte Leber hin. Der Beifall wurde stärker. Dann flog der Adler pirouettierend dreimal um Prometheus; dieser trank einen Schluck Wasser, richtete sich und fuhr mit folgenden Worten in seiner Rede fort:

VII

Meine Herren, meine Bescheidenheit übertreibt; entschuldigen Sie; es ist das erste Mal, dass ich öffentlich spreche. Doch nun soll ihn mein Freimut sich vergessen lassen: meine Herren, ich habe mich viel mehr der Menschen angenommen als ich sagte. Meine Herren, ich habe viel für die Menschen getan. Meine Herren, ich habe die Menschen leidenschaftlich, sinnlos und erbarmungswürdig geliebt. – Ich habe für die Menschen so viel getan, dass ich wohl sagen könnte, sie sind mein Werk; denn: was waren sie vorher? – Sie waren, aber sie hatten kein Wissen davon. – So wie das Feuer, um ihnen zu leuchten, so, meine Herren, machte ich ihnen aus all meiner Liebe das Wissen um sich selber. – Das erste Wissen war das um ihre Schönheit. Und dieses Wissen um ihre Schönheit liess sie sich fortpflanzen. Der Mensch lebte sich weiter in seinen Nachkommen. Die Schönheit der ersten wiederholte sich, sich selber gleich, undifferenziert, ohne Geschichte. Das hätte lange so dauern können. – Und das bekümmerte mich, der ich bereits in mir, ohne es zu wissen, das Ei meines Adlers trug: ich wollte mehr oder besseres. Diese Fortpflanzung, dieses zerstückte Sich-Weiter-Leben schien mir bei ihnen eine Erwartung anzuzeigen – und es war in Wahrheit nur mein Adler, der wartete. Ich, ich wusste nicht; diese Erwartung glaubte ich im Menschen; diese Erwartung legte ich in den Menschen hinein, ja, jetzt versteh ich es: da ich den Menschen nach meinem Bilde gemacht habe, jetzt versteh ich es, dass in jedem von ihnen etwas Unaufgebrochenes wartete; in jedem von ihnen war das Ei des Adlers ... Und dann, ich weiss nicht; ich kann das nicht erklären. – Was ich weiss, ist dies, dass ich nicht zufrieden damit war, ihnen das Wissen von sich selber zu geben, ich wollte ihnen auch einen Grund ihres Daseins geben. Ich gab ihnen das Feuer, die Flamme und alle Künste, deren Nahrung eine Flamme ist. Ihren Geist erhitzend, liess ich in ihnen den verzehrenden Glauben an den Fortschritt aufbrechen. Und ich hatte eine merkwürdige Freude daran, dass die Gesundheit des Menschen sich abnützte, um diesen Glauben zu nähren. – Kein Glaube an das Gute mehr, aber kranke Hoffnung auf das Bessere. Der Glaube an den Fortschritt, meine Herren, das war ihr Adler. Unser Adler ist unser Daseinsgrund, meine Herren.

Das Glück des Menschen nahm ab, nahm ab und es war mir gleich: der Adler war zur Welt gekommen. Ich liebte die Menschen nicht mehr, das, was von ihnen lebte, liebte ich. Aus war es da für mich mit einer Menschheit ohne Geschichte ... die Geschichte der Menschen, das ist die Geschichte der Adler, meine Herren.

VIII

Hier erfolgte einiges Händeklatschen. Prometheus entschuldigte sich verwirrt:

Meine Herren, ich habe gelogen: verzeihen Sie: so schnell war das gar nicht: nein, ich habe die Adler nicht immer geliebt: ich zog noch lange den Menschen vor; sein lädiertes Glück war mir teuer, denn, da ich daran gerührt hatte, glaubte ich mich dafür verantwortlich geworden, und immer, wenn ich daran dachte, des Abends, traurig wie ein innerer heimlicher Vorwurf kam mein Adler essen.

Er war zu dieser Zeit mager und grau, verdrossen und mürrisch; er war hässlich wie ein Aasgeier. – Meine Herren, sehen Sie ihn jetzt an, und verstehen Sie, warum ich spreche; warum ich Sie hier versammle, warum ich Sie beschwöre, mich anzuhören: es ist, weil ich dieses entdeckt habe: der Adler kann sehr schön werden. – Nun, jeder von Ihnen hat einen Adler; ich habe Ihnen das gerade bewiesen. Einen Adler? – Ach! Aasgeier vielleicht! ... nein, nein! keinen Aasgeier, meine Herren, einen Adler muss man haben ...

Und jetzt rühre ich an die wichtige Frage: – warum den Adler? ... Ah! warum? – er soll es selber sagen. Sehen Sie hier den meinen, meine Herren? ich bringe ihn Ihnen ... Adler! wirst du antworten, jetzt? ...

Ängstlich wandte sich Prometheus zu seinem Adler hin. Der sass unbeweglich und still ... Prometheus fing mit verzweifelter Stimme wieder an:

Meine Herren, ich habe meinen Adler vergeblich gefragt ... Adler! sprich jetzt: sprich, alle hören ... Wer schickt dich? – Warum hast du mich erwählt? Woher kommst du? Sag: welches ist deine Art? ... (der Adler blieb stumm) – Nein, nichts! Kein Wort! Kein Schrei! – Ich dachte, er würde sprechen, zu Ihnen sprechen; deshalb brachte ich ihn mit ... Spreche ich denn allein hier? – Alles schweigt! Alles schweigt! – Was ist da zu sagen? ... Ich habe umsonst gefragt.

Dann, indem er sich zur Versammlung wandte:

Oh, ich hoffte, meine Herren, dass Sie meinen Adler lieben würden, dass Ihre Liebe seiner Schönheit einen Daseinsgrund gäbe. – Deshalb habe ich mich ihm ergeben, habe ich ihn mit dem Blute meiner Seele genährt ... aber ich sehe, ich bin es allein, der ihn bewundert ... Oh! genügt es Ihnen nicht, dass er schön ist? – oder geben Sie mir nicht einmal seine Schönheit zu? – Sehen Sie ihn doch wenigstens an ... Für nichts anderes sonst habe ich gelebt – und nun bringe ich ihn: hier ist er! – Ich, ich lebte für ihn – aber er, wofür lebt er? – Adler! den ich mit meinem Blute nährte, mit meiner Seele, den ich mit meiner ganzen Liebe geliebkost habe ... (hier unterbrachen Tränen Prometheus) – soll ich jetzt die Erde verlassen, ohne zu wissen, warum ich dich geliebt habe? noch was du nach mir machen wirst, sein wirst auf der Erde ... auf der Erde, ich habe umsonst, ... ich habe umsonst gefragt ...

Die Worte erstickten ihm im Hals; die Tränen verschluckten seine Stimme.

Entschuldigung, meine Herren – begann er nach einer Weile ruhiger –; entschuldigen Sie, dass ich Ihnen so ernste Dinge sage; aber wenn ich noch ernstere wüsste, so sind es die, die ich noch sagen würde ...

Prometheus trocknete sich die Stirn, nahm einen Schluck Wasser und:

Der schlechtgefesselte Prometheus und andere Novellen

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