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I.

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Der Morgen kam. Mit Blüten beladen, trat Lukas aus dem Wald hervor, nachttrunken noch und ein wenig starr von der Morgenfrische; er setzte sich auf die Böschung des Waldrands, um des Aufgangs der Sonne zu warten. Vor ihm dehnte sich eine feuchte Wiese, bunt durchwirkt mit Blumen und dunstig vom Wasser und blank. Lukas erwartete das ganze Glück, zuversichtlich und des Glaubens, es werde kommen, wie sich ein Bienenschwarm niederlässt, und für ihn habe alles sich schon auf den Weg gemacht. Die Morgenröte erzitterte vor unendlicher Freude, und der Frühling entsprang auf einen Ruf des Lächelns. Singen erscholl, und es erschien ein Reigen junger Mädchen. Ausgelassen und vom Grase benetzt, das Haar noch gelöst von der Nacht her, pflückten sie alle Blumen, und indem sie den Rock wie zum Korbe hohen, liessen sie ihre nackten Füsse tanzen. Dann stiegen sie, von ihren Reigen rasch ermüdet, die Wiese hinab, zu den Quellen, sich dort zu baden, zu spiegeln und für die Freuden des Tages zu rüsten. — Als sie sich verliessen, vergass eine jede ihre Gefährtinnen. Rahel allein kam zurück, nachdenklich; sie nahm die gefallenen Blumen wieder auf und bückte sich, als wolle sie neue pflücken, um nicht zu sehen, wie Lukas nahte. Sie pflückte Butterblumen, Salbei und Margeriten und alle Blumen der Weide. Lukas brachte den Fingerhut aus den Schluchten und violette Hyazinthen. Er war Rahel ganz nahe; jetzt flocht sie die Blumen. Lukas wollte seine Blumen zu ihrem Kranze tun, aber er wagte es nicht; und plötzlich warf er sie ihr zu Füssen und sagte: Dies sind düstere Blumen aus den Wäldern, und ich habe sie im Schatten gepflückt, — für euch, denn ihr erschienet; ich hatte die ganze Nacht durch gesucht. Ihr seid schön wie der Frühling dieses Jahres, und ihr seid jünger noch als ich. Und heute Morgen habe ich eure Fusse nackt gesehen. Ihr wäret mit euren Gefährtinnen, und ich wagte mich nicht zu nähern; jetzt seid ihr die einzige. Nehmt meine Blumen und kommt, ich bitte euch; lasst uns uns reizende. Freuden lehren.

Rahel lächelte aufmerksam; Lukas hatte sie bei der Hand genommen, und so gingen sie gemeinsam nach Hause.

Der Tag verstrich mit Spielen und Lachen. Abends kehrte Lukas allein zurück. Die Nacht kam; schlummerlos für ihn; oft verliess er sein zu heisses Bett und ging in seinem Zimmer umher oder neigte sich aus dem offenen Fenster. Ihn verlangte, jünger zu sein und von grösserer Schönheit, denn er dachte, zwischen zwei Wesen habe die Liebe den Glanz ihrer Leiber. — Die ganze Nacht begehrte Lukas Rahel. Am Morgen lief er zu ihr.

Eine Fliederallee führte zu ihrer Wohnung, dann kam ein Garten voll Rosen, umschlossen von einem niederen Gitter; von Anfang anhörte Lukas Rahel singen. Er blieb bis zum Abend, dann kam er am folgenden Tage wieder; — jeden Tag kam er wieder; beim Erwachen brach er auf; Rahel wartete lächelnd im Garten.

Tage vergingen; Lukas wagte nichts; Rahel gab sich zuerst. — Eines Morgens, als er sie nicht unter der gewohnten Hagebuche gefunden hatte, entschloss sich Lukas, in ihr Zimmer hinaufzusteigen. Rahel sass auf dem Bett, die Haare gelöst, fast nackt, bedeckt nur mit einem Schal, der schon fast ganz herabgeglitten war; sicherlich wartete sie. Lukas kam, errötete, lächelte — aber da er ihre köstlichen Beine so zart gesehen hatte, fühlte er eine Zerbrechlichkeit darin, und er kniete nieder vor ihr und küsste ihr die feinen Fusse; dann legte er ihr den Schal wieder um.

Lukas verlangte es nach der Liebe, aber ihn schreckte der fleischliche Besitz wie etwas Verdorbenes. Traurige Erziehung, die wir erfuhren, die uns schluchzend und herzenszerrissen oder aber grämlich und einsiedlerisch die doch so glorreich heitere Lust vorausfühlen liess! Wir werden Gott nicht mehr bitten, uns zum Glück zu erheben. — Aber nein! nicht so war Lukas; denn es ist eine Sucht, des Hohnes wert, stets sich gleich zu machen, wen man erfindet. — Lukas also ergriff Besitz von dieser Frau.

Wie soll ich jetzt ihre Freude schildern — es sei denn, ich erzähle rings um sie von der Natur, die gleich war, ebenso freudig, die teil nahm. Ihre Gedanken waren nicht mehr wichtig: da sie sich nur noch damit beschäftigten, glücklich zu sein, waren ihre Fragen Wünsche, waren Befriedigungen die Antworten. Sie erfuhren die Vertraulichkeiten des Fleisches, und ihre Intimität wurde heimlicher von Tag zu Tag.

Eines Abends, da er sie seiner Gewohnheit nach verlassen wollte, sagte sie: Weshalb gehst du? willst du einer Liebe halber fort, gut — so geh — ich bin nicht eifersüchtig. Sonst bleibe — komm: mein Lager lädt dich ein.

Von da an blieb er jede Nacht.

Die Luft war lauer geworden, die Nacht so schön, dass sie das Fenster nicht mehr schlössen: sie schliefen so unter dem Mond — und da ein Rosenstrauch voller Blüten aufstieg, das Fenster umrankte, so hatten sie seine Zweige gefangen genommen: der Duft der Rosen mischte sich dem der Sträusse im Zimmer. Der Liehe willen schliefen sie sehr spät ein; ihr Erwachen war wie das des Rausches — sehr spät, noch müde von der Nacht. Sie wuschen sich in einer klaren Quelle, die aus dem Garten floss, und Lukas sah zu, wenn Rahel, nackt, unter den Blättern, badete. — Dann brachen sie zum Spaziergang auf.

Oft erwarteten sie den Abend, im Grase sitzend und ohne etwas zu tun; sie sahen der Sonne zu, wie sie sank; dann, wenn die Stunde endlich milder wurde, kehrten sie langsam zur Wohnung zurück. Das Meer war nicht fern; bei starken Fluten vernahm man Nachts, leise, das Rollen der Wogen. Bisweilen stiegen sie bis zum Strande hin-ah; es ging durch ein enges und gewundenes Tal ohne Bach; Stechginster wuchs dort und Pfriemkraut, und der Wind jagte den Sand hindurch; dann tat der Strand sich auf: es war eine Bucht ohne Barken und Schiffe; doch das Meer war ruhig dort. Fast gegenüber sah man auf der gebogenen Küste, die in der Ferne eine Insel zu bilden schien, an eben diesem Punkt bemerkte man etwas wie das prunkvolle Gitter eines Parkes; Abends leuchtete es wie Gold. — Bald fand Rahel im Sand keine Muscheln mehr; sie langweilten sich vor dem Meer.

Nicht fern lag auch ein Dorf, aber sie gingen wegen der Armen nicht oft hindurch.

Wenn es regnete, oder wenn sie aus Saumseligkeit nicht einmal in die Wiesen gingen, bat Rahel, ausgestreckt, während Lukas ihr zu Füssen sass, ihr eine Geschichte zu erzählen: Sprich, sagte sie, ich höre jetzt zu; höre nicht auf, wenn ich schlummere: erzähle mir von den Gärten im Frühling — du weisst wohl, und jenen hohen Terrassen.

Und Lukas erzählte von den Terrassen, von den Kastanien in Reihen, von den Gärten, die über der Ebene hängen: — am Morgen kamen die kleinen Mädchen dorthin, um zu spielen und ihren Reigen zu tanzen, und die Sonne lag noch so niedrig über der Ebene, dass die Bäume keinen Schatten gaben.

Ein wenig später traten grosse, ruhige junge Mädchen zwischen die Beete und wanden Kränze — wie du es tatest, Rahel. Gegen Mittag kamen Paare hinzu — und als die Sonne über die Bäume gestiegen war, machte das undurchsichtige Gewölbe der Zweige die Allee, so schien es, frischer; die darin spazieren gingen, sprachen nur noch mit leiser Stimme zu einander. Ein wenig später, als sie weniger geblendet war, begann man die Ebene zu sehen, auf der der Sommer ausgegossen schien. Spaziergänger stützten sich auf, lehnten sich gegen die Balustraden; Gruppen von Frauen setzten sich, die einen spulten Wollgarn ab, das andere zu Handarbeiten verwendeten. Stunden verstrichen. Es kamen die Schüler, als die Schulen zu Ende waren; Kinder spielten mit Kugeln. Der Abend sank herab; die Spaziergänger wurden einsam; doch ein paar, die noch beisammen waren, sprachen bereits vom Tage wie von etwas Beendetem. Der Schatten der Terrasse stieg auf die Ebene nieder, und ganz am Ende des Horizontes erschien am klaren Himmel, sehr fein und rein, der Mond. — Ich bin gekommen, die Nacht auf der verlassenen Terrasse zu irren..... — Lukas verstummte und sah Rahel an, die beim Tonfall der Worte entschlummert war. Sie machten noch einen längeren Spaziergang; es war um das Ende des Frühlings. Als sie den Hügel überschritten hatten, an dem ihr Haus gelegen war, fanden sie auf dem entgegengesetzten Hang in halber Höhe einen Kanal. Eine Pappelreihe lief an ihm hin; ein aufgeböschter Weg folgte ihm; dahinter senkte der Boden sich weiter. Da sie auf einer Brücke den Kanal hatten überschreiten können, trieb sie die brennende Sonne, dem Rande des Wassers zu folgen. Aus dem Tal stieg in Wogen eine Glut empor; die Luft zitterte auf den Feldern; in der Ferne erstäubte eine grosse Strasse, wenn ein Karren auf ihr hinfuhr; sie sahen den Sommer auf der Ebene. Der Weg, die Bäume, der Kanal folgten beharrlich den Windungen des Hügels; sie folgten also dem Kanal auf dem Ufer; an das andere Ufer trat ein kleiner Wald heran. — Das war alles. So gingen sie sehr lange weiter; aber da sie sahen, dass es ins Unbestimmte so fortging, kehrten sie, als sie genug hatten, zurück.

Der schlechtgefesselte Prometheus und andere Novellen

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