Читать книгу Der schlechtgefesselte Prometheus und andere Novellen - Андре Жид - Страница 6

III.

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Gnädige. Frau, diese Geschichte langweilt mich. Sie wissen ja, wenn ich Sätze haute, so geschah es für die anderen und nicht für mich. Ich habe eine Beziehung der Jahreszeiten zur Seele erzählen wollen; es galt, bis zum Herbst zu kommen: ich gehe keine begonnene Aufgabe, welche es auch sei, gern auf.

Zwei Seelen begegnen sich eines Tages, und weil sie beide Blumen pflückten, haben sie sich für gleich gehalten. Sie haben sich an den Händen gefasst, des Glaubens, sie setzten den Weg fort. Die Folge des Vergangenen trennt sie. Die Hände lassen sich los, und siehe da! kraft der Vergangenheit wird eine jede den Weg allein fortsetzen. Es ist eine notwendige Trennung, denn einzig eine ähnliche Vergangenheit kann die Seelen ähnlich machen. Alles ist für die Seelen kontinuierlich. — Es gibt ihrer, Sie wissen es, gnädige Frau, wir wissen es, die werden parallel dahinziehen und sich nicht nahekommen können. — Lukas also und Rahel verliessen sich; einen einzigen Tag, einen einzigen Moment des Sommers hatten sich ihre Linien vereint — ein einziger Berührungspunkt — und schon jetzt blickten sie nach verschiedenen Seiten.

Auf dem Lande sitzend, nah bei den Wellen, blickte Lukas aufs Meer hinaus und Rahel zurück auf die Landschaft. Sie suchten monatelang die Liehe, die sich löst, noch einmal zu fassen, aber es war Genuss ohne Überraschung; es war etwas Ausgeschöpftes, und Lukas war glücklich, wenn er an Aufbruch dachte. Rahel hielt ihn nicht zurück. — Wenn sie noch wieder zusammen hinauszogen, gingen sie einher und sannen — ich wollte sagen: sie gingen nachdenklich; ein jeder blickte vor sich hin, statt den anderen soviel anzusehen. Lukas dachte nicht mehr an die Liebe, aber ihre Liebe hinterliess in ihnen etwas wie die Erinnerung an eine grosse Susse und wie den Duft der schönen, verwelkten Blumen — alles, was von den Kränzen blieb —, aber ohne Trauer, ohne Trauer.

An gewissen Tagen gingen sie so, matt und wortlos, dahin. Um der prachtvollen Farben willen, die die herbstlichen Blätter angenommen hatten, und in den Wassern eines so schönen Spiegelbildes liebten sie vor allem die schlafenden Wasser, und sie gingen langsam an ihren Ufern einher. Die Wälder waren glorreich und klangvoll: im Fallen enthüllten die Blätter den Horizont. Lukas dachte ans unermessliche Lehen. — Ich sage das, weil ich daran denke; ich glaube, er musste daran denken. — Lukas und Rahel langweilen mich, gnädige Frau, was soll ich noch von ihnen sagen?

Sie wollten noch einmal hingehen, den Park mit den wunderbaren Gittern zu sehen. Sie fanden auf dem Wege die Mauern entlang jenes kleine versteckte Tor, das früher fest verschlossen war — jetzt offen; sie traten ein; — es war ein verlassener Park.

Nichts vermöchte die Pracht der Alleen zu malen. Der Herbst bestreute die Wiesen, und Äste waren zerbrochen; Kraut hatte die Wege überzogen, blühendes Kraut, Gräser; da drinnen gingen sie schweigend einher, an den Büschen voll roter Beeren hin, in denen Rotkehlchen zwitscherten. Ich liebe die Pracht des Herbstes. — Steinbänke standen da, Statuen; dann erhob sich ein grosses Haus mit geschlossenen Läden und vermauerten Türen. — Im Garten verweilte die Erinnerung an die Feste; zu reife Früchte hingen an den Spalieren. — Als der Abend sich senkte, brachen sie wieder auf. . . . .

.....Erzähle mir vom Herbst, sagte Rahel. Der Herbst, nahm Lukas auf, ah! das ist der ganze Wald und der braune Teich am Saum. Dorthin kommen die Hirsche, und das Jagdhorn hallt: Hallahi! Hallahi! Die Meute bellt; die Hirsche retten sich. Lass uns unter den grossen Wäldern einhergehen. — Die Jagd stürmt herbei; — sie ist vorüber; — hast du die Zelter gesehen? Der Schall des Jagdhorns verzieht sich, verzieht sich in die Walder. — Lass uns noch einmal den ruhigen Teich ansehen, auf den der Abend niedersinkt. —

Deine Geschichte ist stumpfsinnig, sagte Rahel; man sagt nicht mehr: Zelter; und ich liebe den Spektakel nicht. Lass uns schlafen.— Da liess Lukas sie, denn er war noch nicht schläfrig.

Sie verliessen sich bald darauf; ein Abschied ohne Tränen und ohne Lächeln; ruhig und ganz von selber; ihre Geschichte war erfüllt. — Sie dachten an die neuen Dinge.

Auch hierher ist jetzt der Herbst gekommen, gnädige Frau; es regnet, die Wälder sind tot, und der Winter ist im Anzug. Ich denke an Sie; meine Seele ist brennend und beruhigt; ich sitze am Feuer; neben mir stehen meine Bücher; ich bin allein, ich sinne, ich lausche. — Werden wir, wie ehedem, noch einmal unsere schöne Liebe voller Geheimnis beginnen? — Ich bin glücklich; ich lebe; ich habe hohe Gedanken.

Ich habe Ihnen diese Geschichte, die uns langweilt, auserzählt; grosse Aufgaben rufen uns jetzt. Ich weiss, auf dem Meer, auf dem Ozean des Lebens, warten glorreiche Schiffbrüche — und verlorene Schiffer und zu entdeckende Inseln. — Aber wir bleiben, über die Bücher gebeugt, und unsere Begierden gehen auf gewissere Handlungen. Eben das, ich weiss es, macht uns freudiger als die anderen Menschen. — Bisweilen jedoch, ermüdet von zu beharrlichem Studium, steige ich zu den Wäldern nieder, durch den Regen hin, und ich will sehen, wie der Herbst verendet. — Und ich weiss, nachher, an gewissen Abenden, wenn ich von solchem Spaziergang nach Hause kam, habe ich mich nahe ans Feuer gesetzt, wie trunken vom Glück des Lebens und beinahe schluchzend vor Trunkenheit, da ich in meinem Gedanken ernsthafte Taten fühlte, die zu vollbringen waren. — Ich werde handeln! ich werde handeln; ich lebe. Vor den anderen all werden wir die grossen schweigsamen Werke lieben. Das Gedicht soll es sein, und die Geschichte und das Drama; wir werden uns über das Leben beugen — wie Sie es ja taten, meine Schwester, nachdenklich und sorgend. Jetzt geh ich fort, aber denken Sie, denken Sie an das Glück der Reise.....

Und doch, ich hätte gern — der Winter ist da — diese Erzählung gemeinsam verlängert. Eines Abends wären wir allein nach einer Stadt in Holland aufgebrochen; der Schnee hätte alle Strassen gefüllt; auf den gefrorenen Kanälen hätte man das Eis gefegt. Sie wären lange Schlittschuh gelaufen, mit mir, bis in das Land hinaus; wir wären in den Feldern gewesen, wo man den Schnee sich bilden sieht, er erstreckt sich unendlich weiss; es tut gut, die eisige Luft zu fühlen. — Die Nacht kommt, aber in ihr leuchtet der Schnee; wir gehn nach Hause. Jetzt wären Sie hei mir im Zimmer; Feuer; die Vorhänge geschlossen, und alle unsre Gedanken. — Da sagten Sie mir, meine Schwester:

Keine Dinge sind es wert, dass sie unseren Weg ablenken; sie alle wollen wir im Vorbeigehen umarmen; doch unser Ziel liegt ferner als sie — also wollen wir uns nicht vergreifen; — diese Dinge schreiten und entschwinden; unser Ziel sei unbeweglich — und wir wollen schreiten, um es zu erreichen. Ah! wehe jenen stumpfen Seelen, die die Hindernisse für Ziele halten. Es gibt keine Ziele; die Dinge sind weder Ziele noch Hindernisse — nein, nicht einmal Hindernisse; man braucht sie nur zu umgehen. Unser einziges Ziel ist Gott; wir werden ihn nicht aus den Augen verlieren, denn man sieht ihn durch jedes Ding. Schon jetzt wollen wir auf ihn zuschreiten; in einer Allee, die einzig dank uns prachtvoll ist, mit den Werken der Kunst zur Rechten, mit den Landschaften zur Linken und dem Weg, dem wir folgen müssen, vor uns; — und jetzt wollen wir uns, nicht wahr? schöne und freudige Seelen schaffen. Denn allein unsre Tränen lassen um uns Traurigkeiten keimen. —

Und ihr, Gegenstände unsrer Begierden, gleicht den vergänglichen Konkreszenzen, die, sobald die Finger sie drücken, nichts in ihnen als Asche lassen. — Qualquiera ventio que sopla.

Erhebt euch, Winde ihr meines Denkens — die ihr diese Asche verstreuen werdet.

Sommer 1893

Yport und La Roque.

Der schlechtgefesselte Prometheus und andere Novellen

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