Читать книгу Der schlechtgefesselte Prometheus und andere Novellen - Андре Жид - Страница 5

II.

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Gnädige Frau — Ihnen werde ich diese Geschichte erzählen. Sie wissen, unsere traurige Liebe hat sich auf der Heide verirrt, und eben Sie beklagten sich einstmals, dass es mir soviel Mühe machte zu lächeln. Diese Geschichte ist für Sie: ich habe darin gesucht, was die Liebe gibt; wenn ich nichts gefunden als Langeweile, so bin ich schuld: Sie hatten mich verlehrt, glücklich zu sein. — Wie die Freude in einem Buche kurz ist, und wie schnell sie erzählt ist; wie alltäglich ein Lächeln ist, ohne Laster und Melancholie! Und dann, was geht uns die Liebe der andern an, die Liebe, die für sie das Glück ausmacht.2 — Um so schlimmer für sie! Lukas und Rahel liebten sich; um der Einheit meiner Erzählung willen taten sie sogar nichts anderes; sie lernten nichts von der Langenweile kennen, als eben die des Glücke. — Das Pflücken der Blumen war ihre einförmige Beschäftigung. Sie schoben die Begierde nicht um einer ferneren Verfolgung willen von sich; und sie kosteten wenig von der Sehnsucht des Harrens. Sie kannten jene Geste nicht, die eben das zurück-stösst, was man umarmen möchte — wie wir es taten, ah! gnädige Frau — aus Furcht vor dem Besitz, und aus Liebe zum Pathetischen. — Sie pflückten alsbald jede wünschbare Blume, ohne Sorge darum, dass sie in ihren warmen Händen allzu rasch verwelkt sein musste. — Glücklich, die ihnen gleich ohne Bewusstheit werden lieben können! Sie würden kaum davon müde; — denn nicht so sehr die Liebe, und nicht so sehr die Sünde, wie die Reue darüber ermüdet. Daher hatten sie diese Gewohnheit angenommen, auf den Wassern der Vergangenheit ihre schwimmenden Handlungen wenig anzusehen; und ihre eigene Freude kam ihnen aus der Unkenntnis des Trübsinns; sie erinnerten sich nur der Küsse und der Besitznahmen, die man wiederholen kann. Da kam ein Moment, in dem sich ihrer beider Leben wahrhaft verschmolz. Es war zur Sommersonnenwende; in der rein blauen Luft zeigten über ihnen die hohen Zweige souveräne Schlankheit.

Sommer! Sommer! Einer Hymne gleich müsste man das singen. — Fünf Uhr; — ich hin aufgestanden; da graut der Tag, und ich hin durch die Felder hinausgezogen. — Wüssten sie, was alles an frischem Tau auf dem Grase liegt, an kaltem Wasser, in dem die fröstelnden Fusse des Morgens baden werden; wüssten sie von den Strahlen auf den Feldern, und von der Betäubung der Ebene; wüssten sie von dem Empfang des Lächelns, den die Morgenröte dem bereitet, der im Gras zu ihr hinabsteigt — sie blieben nicht schlafen, denke ich mir —, aber Lukas und Rahel sind schlaff von den Küssen der Nacht, und diese Liebesschlaffheit hat an Lächeln ihnen vielleicht in die Träume mehr gelegt, als der Tagesanbruch auf die Felder legt.

Doch eines Morgens zogen sie aus; sie suchten jenes selbe Tal auf und den Kanal, dem sie eines Frühlingstages folgten; aber da sie den Hügel, statt ihn zu überschreiten, umgangen hatten, kamen sie zu einem Ort, wo der Kanal sich einem breiten Fluss anschloss; der Kanal diente zum Tauen; sie überschritten das Wasser auf einer Schleuse und folgten dem Leinpfad, mit dem Kanal zur Rechten, zur Linken dem Fluss. Auf dem anderen Ufer des Flusses war auch eine Strasse. Und diese fünf parallelen Wege zogen sich in dem engen Tal, soweit sie sehen konnten, hin. Ihr Spaziergang war an diesem Tage ziemlich lang, aber nicht interessant zu erzählen.

Sie wollten den Strand noch einmal sehen; sie stiegen wieder durch die Schlucht hinab; sie setzten sich vor das Meer. Die Wellen eines kürzlichen Sturms hatten Muscheln, Trümmer und losgerissene Algenfetzen auf den Strand geworfen; die noch schwellenden Wogen betäubten durch ein beständiges Brausen. Und Rahel verspürte plötzlich eine Unruhe : sie fühlte, Lukas begann zu denken. Es wehte ein kälterer Wind; ein Schauder erfasste sie; sie standen auf. — Lukas ging vorauf, zu schnell, ein wenig deklamatorisch; ein Balken lag da, zerschlagen und schwarz, ein unbekannter Grundpfahl, das Fragment eines Schiffes, Holz von den Inseln . . . und alle beide blieben davor stehen. Dann sah Lukas aufs Meer hinaus; Rahel stützte sich aus Bedürfnis, aus Instinkt auf Lukas und neigte den Kopf gegen seine Schulter, denn sie fühlte wirr in ihm die Angst und den Durst nach Abenteuern. Sie blieben stehen. Die Sonne ging, versank jenseits der Bucht, hinter der Enge, wo man zwischen den Landzungen fern die unendliche Linie des Meeres entfliehen sah.

Und indes die Sonne niedertauchte, da begannen ihnen gegenüber wie auf einer Insel die Gitter des unbekannten Parks, getroffen von den sterbenden Strahlen, auf unerklärliche und fast übernatürliche Weise zu leuchten; wenigstens zeigte es sich ihnen an dem, dass sie einander nichts davon sagten; jeder Gitterstab schien, eher aus Stahl als aus Gold, von selber, von innen heraus oder kraft einer äussersten Glätte zu leuchten; das sonderbarste aber war, dass man hinter dem Gitter, wenn man auch nicht hätte sagen können, was, zu sehen vermeinte. Lukas und Rahel fühlten beide, dass der andere nicht davon zu reden wagte.

Auf dem Rückweg fand Rahel im Lande ein Tintenfischei, ungeheuer, schwarz, elastisch und von solcher wie absichtlichen Bizarrerie der Form, dass sie sie als für sich wichtig erachteten und eine Ursache für sie suchten.

Die Erinnerung an diesen Tag hinterliess in ihnen eine vage Unruhe, und weil sie oft unwillkürlich dieses Parkes gedachten, der vergittert vor dem Meere stand, so beschlossen sie, angelockt, voll von Fragen, und da sie übrigens keine Barke hatten, um sie hinzuführen, eines Morgens aufzubrechen, an der Küste entlangzuziehen und zu gehen, bis sie ihn gefunden hätten.

Sie standen vor dem Tagesgrauen auf und machten sich auf den Weg; es war noch grau und frisch; sie schritten aus wie ernste Pilger, schweigsam, beschäftigt, denn sie hatten ein anderes Ziel als sich, und ihre wiedererwachte Neugier hinterliess in ihnen etwas wie das Gefühl einer Aufgabe. — Aber wir wollen nicht zuviel davon sagen, gnädige Frau, denn hier gefallen sie uns beinahe. — Um so schlimmer! dies eine Mal zogen sie hin, ohne sich um die Hitze des Tages zu kümmern, geleitet von einem Gedanken — denn es war kein Verlangen mehr. Und Rahel beklagte sich nicht über den rollenden Kies des Weges, noch den weichenden Sand, in dem die Fusse versanken, wenn man auftrat — bald am Strande entlang, bald quer über Felder —; einmal folgten sie der Böschung eines Flusses stromaufwärts, bis sie eine Brücke fanden — dann ging es wieder talab — dann von neuem quer über Felder. — Ah! da endlich kamen sie fast zu der Mauer, es war der Park; und um den Zutritt besser zu hindern, war das Wasser vom Meer in einem aus Stein gebauten Graben herbeigeleitet, und es schlug an den Fuss der Mauer und schien sich um sie zu schliessen, und diese Mauer sprang als ein Deich in das Meer hinaus, also dass man von dieser Seite nichts als ein Vorgebirge aus Kalkstein sah. Sie gingen weiter. Der Graben hörte auf. Da folgten sie auf ihrem Marsch der Mauer. Die Sonne war drückend; der Weg vor ihnen zog sich in die Ferne; — es war die Stunde, in der die Mauern der Gärten keinen Schatten werfen. Sie sahen, fast unter dem Efeu und ganz versteckt, ein kleines, geschlossenes Tor. Unmerklich drehte sich die Mauer, und die Sonne, die sich gleichfalls drehte, indes der Tag zur Neige ging, schien ihnen zu folgen. Über die Mauer neigten sich Zweige, aber ohne Gesten. Aus dem Innern des Parks entsprang etwas wie ein dauernder Klang des Lachens, aber oft geben Wasserstrahlen den Klang sogar von Worten. Plötzlich standen sie wieder vor dem Meer. Da wurden sie von grosser Traurigkeit erfasst, und sie setzten sich ein wenig, ehe sie sich wieder auf den Heimweg machten. Vor ihnen sprang wie auf der anderen Seite ein Vorgebirge aus Stein ins Meer und setzte die Mauer fort, deren Fuss das Meer in unüber-springbarem Graben bespülte. Und die Trauer durchdrang sie, erfüllte sie und trat zugleich durch jede engste Lücke ein. Vor allem waren sie von dem Ausflug, und weil er vergeblich gewesen war, müde. — Jetzt verschwand die Sonne hinter dem Park; sie gingen im wachsenden Schatten der Mauer; ihnen war ein wenig, als enthalte er ein Geheimnis. Ihnen schien, als hörten sie Momente lang ein Geräusch wie vom Spiel der Finger auf den Scheiben, aber da dies Geräusch aufhörte, sobald sie stehen blieben, meinten sie, es sei von der Betäubung ihres Gehens verursacht. Es war schon lange Nacht, als sie nach Hause kamen.

Am folgenden Tage sagte Rahel, während sie ruhte : Erzähle mir vom Tagesanbruch des Sommers, da mich hier meine Trägheit bei dir festhält. Lukas begann:

Es war im Sommer, aber vor Tagesanbruch; die Vögel sangen noch nicht: der Wald erwachte kaum. — O! keinen Wald, sagte sie; eine Allee. Der Tag bricht an, und wenn die Vögel noch nicht singen, so liegt es an dem zu tiefen Tal, wo die Nacht noch verspätet weilt; aber schon bleicht Helle den Gipfel der Hügel. — Auf diese höhere Stelle, fuhr Lukas fort, wagten sich zwei Reiter zu, und auf das Hochland, das überschaut; die ganze Nacht waren sie dem Tal gefolgt. Sie waren schweigsam und ernst, denn sie waren lange im Schatten geritten, und die hohen Eichen der Allee dehnten über ihnen ihre Zweige. Ihre Pferde stiegen langsam die ganz gerade abgedachte Strasse empor. Während sie stiegen, wuchs rings um sie das Licht. Auf dem Hochland erschien der Tag. —Auf dem Hochland dehnte sich eine zweite Allee, geräumiger, die die erste schnitt und dem Kamm des Hügels folgte. Die beiden Reiter hielten an. Der eine sprach : Wir wollen uns trennen, mein Bruder: nicht dieselbe Strasse ruft uns beide — und mein genügender Mut weiss mit deinem zur Hülfe nichts zu beginnen. Wo der eine gilt, ist der andere unnütz. — Und der andere sprach: Leb wohl, mein Bruder. — Dann wandten sie sich den Rücken, und ein jeder zog zu einsamen Eroberungen davon. — Da erwachten alle Vögel. Unter den Blättern schwirrten Liebesverfolgungen, und Insektenjagden in der Luft; man hörte Bienenvölker, und auf den Rasen taten sich die neuen Honigblüten auf. Köstliches Gemurmel erhob sich. Weiterhin, wo der Boden wich, sah man nur noch Blätter; weiter unten, im weniger finsteren Tal die schwebenden Wipfel der Bäume; und noch weiter unten einen Nebel. O! wie hätten wir uns geneigt, um die Hirsche zur Tränke niedersteigen zu sehen. — Und die beiden Reiter? fragte Rahel. — Ah! lassen wir sie, sagte Lukas — beschäftigen wir uns mit der Allee. — Dorthin kam gegen Mittag eine Gesellschaft junger Frauen; beim Gehen hielten sie sich an den Händen gefasst, wie du mit deinen Gefährtinnen; sie lachten; dann kamen Männer, gekleidet in Seide und frivole Goldgehänge; und alle setzten sich und plauderten miteinander.

Der Tag verging; sie waren verstummt, und der Schatten auf dem Moos war gewachsen: sie standen auf und zogen davon, um die Sonne untergehen zu sehen. Und die Allee erfüllte sich mit Unruhe und Gemurmel, alles rüstete sich zum Entschlafen; — dann verstummte alles; es war Abend, und die Zweige wiegten sich; die grauen Stämme erschienen geheimnisvoll im Schatten; es erhöh sich der Schrei eines Dämmervogels. Da sah man in der beginnenden Nacht zwei Reiter heimkehren : sie ritten aufeinander zu, weil sie den Strassen folgten, und ihre Pferde waren wie nach einer grossen Ermattung. Sie selber waren gebeugt, um der vergeblichen Aufgabe willen noch ernster als am Morgen. Und als sie ohne ein Wort zusammengetroffen waren, stiegen sie die Allee wieder nieder, die den Hügel wieder niederstieg, und sie versanken in der Nacht unter den Zweigen. — Wozu da aufbrechen, Lukas — sagte Rahel; wozu nützt es, sich auf den Weg zu machen? Bist du nicht mein ganzes Leben? — Aber du, Rahel, sagte Lukas — bist nicht das ganze meine. Es gibt sehr viele Dinge noch.

Der schlechtgefesselte Prometheus und andere Novellen

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