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Geschichte vom Adler

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Inhaltsverzeichnis

Ein Vogel, der in der Ferne enorm erschien, in der Nähe aber nicht so gross ist wie so, verfinstert für einen Augenblick den Himmel des Boulevard, saust wie ein Windstoss gegen das Café, zerbricht die Glastafel des Schaufensters, drückt mit einem Flügelschlag dem Kokles ein Auge aus und lässt sich mit starkem, zärtlichem, wohl, doch auch sehr bestimmtem Gekrächze auf der rechten Schulter des Prometheus nieder.

Dieser öffnet sofort seine Weste und gibt dem Vogel von seiner Leber.

Der Spektakel im Café war gross. Alles schrie und redete durcheinander, – denn es waren noch mehr Gäste gekommen.

Aber geben Sie doch Acht! rief Kokles.

Aber sein Vorwurf wurde völlig übertönt von dem bedeutendsten Lärm:

Das? Ein Adler? Lassen Sie sich nicht auslachen!! – Dieser armselige zerzauste Vogel ein Adler? Machen Sie uns nichts weiss!! Das ist höchstens ein Gewissen.

Tatsache ist, dass es erbärmlich zum ansehn war, wie sich der jämmerliche federarme Vogel gierig auf die schmerzhafte Portion Leber stürzte; er schien seit drei Tagen nichts gefressen zu haben.

Leute kamen näher und redeten auf Prometheus ein: Glauben Sie doch nicht, Verehrtester, dass Sie mit dem Adler da irgendwie was besonderes haben. Muss ich Ihnen erst sagen, dass wir im Grunde alle unsern Adler haben?

Aber, sagte Einer ...

Aber man trägt ihn nicht in Paris – fuhr der andere fort, – in Paris steht das nicht. Der Adler geniert. Schauen Sie nur, was er angerichtet hat! Wenn es Sie amüsiert, ihm von Ihrer Leber zu geben – gut, Ihre Sache; aber ich versichere Ihnen, dass das für die, die es mit ansehn müssen, peinlich ist. Wenn Sie es schon tun, so machen Sie's heimlich.

Und Prometheus murmelte zerknirscht: Entschuldigen Sie, meine Herrn, – ich bin ganz untröstlich. Was soll ich tun?

Aber, man entfernt das eben, bevor man eintritt, Bestester.

Und die einen sagten: man erwürgt ihn.

Und die andern sagten: man verkauft ihn. Wozu sonst sind denn die Zeitungsredaktionen da?

In dem allgemeinen Tumult bemerkte keiner den Damokles, der plötzlich die Rechnung verlangte. Der Kellner schrieb ihm folgendes auf:

3 Déjeuners complets (mit Conversation) 30. Fr.
Eine Spiegelscheibe 450. "
Ein Glasauge für Herrn Kokles 3.50 "

... behalten Sie den Rest, sagte Damokles und schob dem Kellner den Fünfhundertfranksschein hin. Dann entfernte er sich selig.

Das Ende dieses Kapitels ist weit weniger interessant. Das Restaurant wurde einfach nach und nach leer. Umsonst verlangten Prometheus und Kokles ihr Teil an der Rechnung; Damokles hatte alles bezahlt. – Prometheus verabschiedete sich vom Kellner, von Kokles, und indem er langsam dem Kaukasus zuging, überlegte er: Verkaufen? ... Erwürgen? ... Zähmen vielleicht? ...


Der schlechtgefesselte Prometheus und andere Novellen

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