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Die Gefangenschaft des Prometheus
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Wenige Tage später sah sich Prometheus, von der freundschaftlichen Fürsorge des Kellners denunziert, als Zündholzfabrikant ohne obrigkeitliche Erlaubnis im Gefängnis. Das lag ganz abseits von der Welt und gab nur Aussicht auf den Himmel; von aussen sah es aus wie ein Turm, und drinnen langweilte sich Prometheus.
Der Kellner kam ihn besuchen.
Oh! sprach zu ihm Prometheus und lächelte, wie freue ich mich, Sie zu sehen! Ich langweile mich sehr. Sie kommen von draussen, erzählen Sie mir was; die Gefängnismauern trennen mich von allem und ich erfahre nichts mehr von den Andern. Was machen sie? – Und vor allem – was machen Sie?
Seit Ihrem Skandal, antwortete der Kellner, fast nichts; es kommt kein Mensch mehr zu uns. Man hat viel Zeit verloren mit der neuen Fensterscheibe, die man einsetzen musste.
Ich bin untröstlich darüber, sagte Prometheus; – aber doch wenigstens Damokles? Haben Sie Damokles wiedergesehen? Er verliess damals so schnell das Restaurant; ich konnte ihm nicht Adieu sagen, was ich bedaure. Denn er schien ein sanfter Mensch zu sein, voll Anstand und Zartgefühl; er sprach von seinen Leiden mit kunstloser Einfachheit und er rührte mich. – War er wenigstens als er den Tisch verliess wieder heiter?
Das war nicht von Dauer, sagte der Kellner. Ich sah ihn am nächsten Tag und seine Unruhe war eher schlimmer. Während er mit mir sprach weinte er. Was ihn besonders beunruhigt ist der Gesundheitszustand des Kokles.
Geht es ihm denn schlecht? fragte Prometheus.
Dem Kokles? Ach nein, antwortete der Kellner. Ich möchte fast sagen: Er sieht besser, seitdem er nur mehr mit einem Auge sieht. Er zeigt jedem Menschen sein Glasauge und ist glücklich, wenn man ihn bemitleidet. Wenn Sie ihn wiedersehen sollten, sagen Sie ihm, dass ihm sein neues Auge famos steht, dass er es nicht ohne Grazie trägt; aber fügen Sie hinzu, dass er sehr gelitten haben müsse ...
Er leidet also?
Davon, dass man es ihm nicht sagt – ja, vielleicht.
Aber wenn es Kokles gut geht, wenn er nicht einmal leidet, worüber beunruhigt sich denn Damokles?
Dass Kokles hätte leiden müssen.
Sie empfahlen mir doch gerade, zu sagen ...
Zu sagen, ja, aber Damokles denkt es; und das bringt ihn um.
Und was macht er sonst?
Nichts. Diese einzige Beschäftigung erfüllt ihn völlig. Unter uns: er ist ein Mann, der sich verzehrt. – Er sagt, dass ohne seine 500 Franks Kokles nicht unglücklich wäre.
Und Kokles?
Der sagt es auch ... Übrigens ist er sehr reich geworden.
Wieso?
Ich weiss nicht recht; – aber man hat ihn in den Zeitungen sehr bedauert; man hat zu seinen Gunsten eine Kollekte eröffnet.
Und was macht er damit?
Er ist ein Geriebener. Mit dem Geld, das ihm die Kollekte einbringt, will er ein Hospiz gründen.
Ein Hospiz?
Ein ganz kleines, ja; für die Einäugigen. Er hat sich zum Direktor ernannt.
Sie interessieren mich lebhaft, rief Prometheus.
Das hoffte ich, sagte der Kellner ...
Und was ist mit ... dem Müllionär?
Ach der! Glauben Sie, dass den das alles irgendwie bekümmert? Er ist wie ich: er beobachtet ... Wenn es Ihnen Vergnügen macht, will ich ihn Ihnen vorstellen – wenn Sie wieder da heraus sind ...
Übrigens, begann Prometheus endlich, weshalb bin ich denn hier? Wessen klagt man mich an? Wissen Sie es, Kellner, der Sie so viel wissen?
Wahrhaftig: nein, heuchelte der Kellner. Ich weiss nur das eine, dass dies bloss Untersuchungshaft ist. Wenn man Sie verurteilt haben wird, werden Sie wissen warum.
Um so besser, sagte Prometheus, ich ziehe es immer vor, genau zu wissen.
Adieu, sagte da der Kellner; es wird spät. Merkwürdig, wie einem mit Ihnen die Zeit vergeht ... Aber sagen Sie mal: Ihr Adler, was ist aus dem geworden?
Ich dachte gar nicht mehr an ihn, sagte Prometheus. Und, nachdem der Kellner fort war, begann Prometheus an seinen Adler zu denken.