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Er muss wachsen und ich muss abnehmen

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Und als Prometheus sich langweilte, rief er am Abend seinen Adler. – Der Adler kam.

Ich habe lange auf dich gewartet, sagte Prometheus.

Warum hast du mich nicht früher gerufen? antwortete der Vogel.

Zum erstenmal betrachtete Prometheus seinen Adler, der sich auf die Gitterstäbe des Fensters niedergekauert hatte. In der goldenen Abendsonne sah er noch viel matter und glanzloser aus; er war grau, hässlich, verkümmert, verdrüsslich, elend, resigniert, er schien zu schwach zum Fliegen; als Prometheus das sah, weinte er aus Mitleid über seinen Adler.

Treuer Vogel, du scheinst zu leiden – sag: was fehlt dir?

Ich habe Hunger.

Iss, sagte Prometheus und deckte seine Leber auf.

Der Vogel ass.

Du tust mir weh, sagte Prometheus.

Aber der Adler sprach an diesem Tage kein Wort mehr.

II

Am andern Morgen im Tagesgrauen schon verlangte es Prometheus nach seinem Adler; er rief ihn aus den tiefen Röten des Tagerwachens, und der Adler kam mit der Sonne. Er hatte drei Federn mehr. Prometheus schluchzte vor Zärtlichkeit.

Wie spät du kommst, sagte er und streichelte die Federn.

Das ist, weil ich noch nicht schnell genug fliegen kann. Ich schleife den Boden ...

Weshalb?

Ich bin so schwach.

Was brauchst du, um schnell zu fliegen?

Deine Leber.

Hier; iss.

Aber am nächsten Morgen hatte der Adler acht Federn mehr; und wenige Tage darauf kam er der Morgenröte zuvor. Prometheus aber magerte ab.

Erzähl mir von draussen, sprach Prometheus zu ihm, was geschieht aus den andern?

O! jetzt schwebe ich, antwortete der Adler; jetzt weiss ich nichts mehr als den Himmel und dich.

Seine Schwingen waren langsam weit und stark geworden.

Schöner Vogel, was erzählst du diesen Morgen?

Ich habe meinen Hunger in den Lüften spazieren geführt.

Adler! Wirst du niemals weniger grausam sein?

Nein! Aber ich kann sehr schön werden.

Prometheus, verliebt in die künftige Schönheit seines Adlers, gab ihm jeden Tag mehr zu essen.

Und eines Abends ging der Adler nicht mehr fort.

Auch den nächsten Tag nicht.

Der Adler gab dem Gefangenen die Wunden und dieser ihm die Zärtlichkeit seiner Liebkosung. Und Prometheus wurde mager und verzehrte sich in Liebe, da er tagüber die Federn streichelte, des Nachts unter dem Flügel schlief und ihn fressen liess, wie er wollte.

Süsser Adler! wer hätte das gedacht?

Was denn?

Dass unsere Liebe so köstlich sein würde.

Ach, Prometheus ...

Du weisst es, sag, du, mein süsser Adler! warum bin ich hier eingesperrt?

Was liegt daran? Bin ich es denn nicht mit dir?

Ja; was liegt mir daran! Bist du aber zufrieden mit mir, schöner Adler?

Ja, wenn du mich sehr schön findest.

III

Der Frühling kam; und um die Gitter des Turmes blühten duftende Glycinien.

Eines Tages werden wir gehen, sagte der Adler.

Wirklich? rief Prometheus aus.

Denn ich bin sehr stark geworden; du so mager; und so kann ich dich tragen.

Adler, mein Adler ... trag mich.

Und der Adler trug Prometheus fort.

Der schlechtgefesselte Prometheus und andere Novellen

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