Читать книгу Das ehrbare Dorf - Andy Glandt - Страница 10
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ОглавлениеZur selben Zeit saß Thomas Gärtner in einem Café in der Jenaer Innenstadt. Es war eines der wenigen Lokale, in dem sowohl Hetero- als auch Homosexuelle verkehrten. Keiner scherte sich um die Neigungen der anderen. Hier konnte Thomas ohne Scheu mit seinem Freund Hannes Händchen halten und Gefühle zeigen
Vor sieben Monate hatten sie sich in diesem Café kennen gelernt und seit dem trafen sie sich in regelmäßigen Abständen. Hin und wieder gingen sie zu Hannes nach Haus. Da er trotz seiner 26 ebenfalls noch bei seinen Eltern lebte, ging es nur, wenn diese nicht da waren. Sie wussten zwar von seiner homosexuellen Neigung und akzeptierten sie, ließen es jedoch nicht zu, dass er sich mit seinen Freunden zu Haus traf. Es half auch nichts, dass Hannes beteuerte, Thomas sei eine ernste Beziehung.
„Lass uns endlich abhauen“, sagte Hannes, während er mit seiner rechten Hand Thomas’ linke Wange streichelte. „Ich möchte mit dir zusammen sein. Nicht zwei- oder dreimal die Woche. Ich möchte mit dir leben. Lass uns in eine Großstadt ziehen. Dort gibt es viele von uns und es ist normal, wenn zwei Männer Hand in Hand durch die Straßen laufen.“
Thomas schaute auf die Cola vor ihm auf dem Tisch. Die aufsteigende Kohlensäure ließ kleine Bläschen auf der Oberfläche entstehen, die gleich darauf zerplatzten.
Auch er wollte mit Hannes leben, aber da waren seine Eltern, die das nicht verstehen würden. Konnte er ihnen das antun?
„Lass uns wenigstens warten, bis ich 18 bin“, erwiderte er. Er neigte seinen Kopf zur Seite und schaute Hannes an. „Am liebsten wäre es mir natürlich, ich könnte erst meine Ausbildung beenden, bevor wir weggehen. Dann hätte ich wenigstens einen Abschluss. Und selbst damit wird es schwierig werden, einen Job zu finden.“
„Wir werden etwas finden“, versicherte Hannes und drückte Thomas' Hand. „Auch ich muss mir etwas Neues suchen.“
„Du bist Informatiker. Da wird es nicht schwer sein, überall einen geeigneten Job zu finden, aber als Feinoptiker…“
Einen Augenblick saßen sie schweigend da. Thomas starrte wieder auf seine Cola während Hannes abwesend zu einem Pärchen am Nebentisch schaute, dass sich verliebt in die Augen sah. „Ich weiß nicht“, sagte er leise, ohne seinen Blick von dem Paar abzuwenden, „ob ich noch über zwei Jahre warten kann, bis du fertig bist. Ich habe das ewige Verstecken satt. Ich kann mit dir nirgendwo hingehen, weil du Angst hast, jemand aus deinem Dorf könnte uns sehen. Du solltest mit deinen Eltern darüber reden. Wenn sie dich lieben, werden sie es akzeptieren, glaub mir.“
„Vergiss es“, bezweifelte Thomas. „Du kennst meine Eltern nicht. Selbst wenn sie es akzeptieren, würden sie es nie erlauben, dass ich mich zu meiner Homosexualität öffentlich bekenne. Dann wären sie nämlich das Dorfgespräch und so konservativ wie die Leute da sind, würden viele mit Sicherheit meine Eltern meiden. Sie würden nicht zu einem Arzt gehen wollen, der einen schwulen Sohn hat. Das kann ich ihnen nicht antun.“
„Und was schlägst du vor?“ Hannes war schon lange klar, dass sich Thomas hier niemals outen würde. Hier, wo er gesehen werden konnte von Leuten, die seine Eltern kannten, würde sich Thomas nie öffentlich zu seiner Homosexualität bekennen. Als einzige Möglichkeit des Zusammenlebens blieb eine Großstadt weit weg. München oder Hamburg schwebten Hannes vor. Am liebsten Hamburg. Da war er schon oft gewesen und er hatte sich in die Stadt verliebt. Nicht nur Sankt Pauli und die Reeperbahn, vor allem der Menschenschlag hatte es ihm angetan. Er fand die Leute dort sehr direkt und hatte die Erfahrung gemacht, dass es ihnen egal war, was man ist. Nie hatte er Probleme bekommen, wenn er sich zu seiner Homosexualität bekannte. Es war nichts weiter, als eine Information, die sie über ihn erfuhren, so als ob er ihnen erzählt hätte, er wäre arbeitslos oder Mitglied einer bestimmten Partei.
Da Thomas nichts sagte, fuhr Hannes fort: „Ich werde im Internet recherchieren, ob du deine Lehre auch woanders zu Ende machen kannst. Was hältst du davon?“
Thomas nickte langsam. „Ja, tue das bitte. Ich muss einen Weg finden, mit dir zusammen zu leben und meine Eltern trotzdem nicht zu verletzen.“
„Ich werde mich morgen gleich dransetzen.“ Hannes hoffte, dass es in irgendeiner Großstadt die Möglichkeit gab, Feinoptiker zu werden, auch wenn es nicht Hamburg sein würde. Warum hatte sich Thomas bloß einen so blöden Beruf ausgesucht? Der war doch gar nicht zeitgemäß.
Zweifel blieben allerdings, ob Thomas wirklich mit ihm weggehen wird. Klar, er liebte ihn, aber die Angst vor seinen Eltern und diesem Kaff, in dem er wohnt, war größer. Er wird um Thomas kämpfen.
Er nahm ihn in die Arme und küsste ihn.