Читать книгу Das ehrbare Dorf - Andy Glandt - Страница 16
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ОглавлениеNachdem alle Besucher die Kirche verlassen hatten, blies der Pfarrer die Kerzen aus und räumte die Liederbücher weg, die er heute umsonst ausgeteilt hatte. Niemand war heute zum Beten und Singen in die Kirche gekommen. Alle wollten nur Frau von Gahlen und ihre Begleitung kennen lernen. Darum hätte es auch keinen Zweck gehabt, die Predigt auszudehnen.
Er schüttelte immer noch verwundert den Kopf darüber, wie sprachlos, zum Teil fassungslos, einige der Anwesenden waren. Es gab scheinbar noch weitere Bewohner Seidenbachs, die Elke kannten. Doch woher? Und warum hieß sie jetzt Märtens und nicht mehr Harnisch? War sie verheiratet gewesen und hatte dann erst festgestellt, dass sie es zu Frauen hinzog?
19 Jahre ist es her. Damals in Jena. Da war er noch nicht Pfarrer, sondern Theologiestudent im letzten Semester. Hatte er sich seitdem so verändert? Er trug jetzt einen Schnauzbart und war älter, aber sonst? Sie hatte keine Regung gezeigt, als sie ihn sah. Doch er war sich in dem Moment sicher gewesen, dass es Elke Harnisch war, als ihre braunen Augen Frau von Gahlen anfunkelten. Das hatte sie früher schon getan, wenn ihr etwas gegen den Strich ging. Sie war bei weitem nicht mit dem einverstanden gewesen, was Frau von Gahlen behauptete. Als sie von der Hochzeit sprach, hatte er für einen Augenblick befürchtet, Elke würde sie anspringen. Diesen Blick kannte er nur zu gut. Diesen Blick hatte er Jahre lang in seinem Innern aufbewahrt. Es war der letzte Blick gewesen, den sie ihm zugeworfen hatte, bevor sie für immer aus seinem Leben verschwand. All die Jahre über hatte er sich gefragt, was aus ihr geworden ist und wie sie sich entschieden hatte nach...Er stockte. Hatte sie etwas in der Hand, um ihn zu erpressen? Sollte herauskommen, wie gut er diese Frau einmal kannte, könnte er seinen Job an den Nagel hängen. Das musste er verhindern.
Und Frau von Gahlen? Was wusste sie darüber? Der traute er eine Erpressung eher zu. Aber was sollten sie von ihm erpressen wollen? Geld hatten sie genug. Sie könnten für ihr Schweigen den Segen für ihre Hochzeit verlangen. Das war kein Problem für ihn, auch wenn er sich damit Feinde im Dorf machte. Allerdings musste er sich erst einmal kundig machen, ob er das überhaupt durfte. So einen Fall hatte er noch nicht. Aber wollte Elke Frau von Gahlen überhaupt heiraten? Ihr Blick hatte etwas anderes ausgesagt.
War er damals der einzige gewesen, der Elke…so gut kannte? Warum hatten noch andere so erschrocken ausgesehen? Manche waren sogar kreideweiß geworden und Professor Ahrens hatte einen unterdrückten Schrei ausgestoßen. An Frau von Gahlen konnte das nicht gelegen haben, die kannte er. Alles sehr merkwürdig. Und falls es wirklich einen Beweis gab, wo war der? Ist etwa noch jemand…?
Er schüttelte den Gedanken ab. Die Vergangenheit hatte ihn eingeholt und er musste damit fertig werden. Manchmal wird man für einen unbedachten Moment sein ganzes Leben lang bestraft. Die nächsten Tage werden zeigen, ob Elke gegen ihn etwas im Schilde führte. Vielleicht war es nur Zufall, dass sie ausgerechnet in dieses Dorf gezogen ist. Er musste unbedingt mit ihr reden
Aber erst einmal brauchte er etwas, um seine Nerven zu beruhigen. Er verließ die Kirche und ging hinüber zum Gasthof.