Читать книгу Das ehrbare Dorf - Andy Glandt - Страница 17
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ОглавлениеSchon von draußen hörte er das Stimmengewirr. Die Tür ließ sich kaum öffnen, so überfüllt war der Gasthof. Mehr als die Hälfte der Gottesdienstbesucher hatte sich eingefunden. Die Leute saßen oder standen dicht gedrängt und diskutierten über die zwei Frauen, die es gewagt hatten, ihre lesbische Neigung offen kundzutun. Und das hier, in diesem ehrbaren Dorf, in ihrer Kirche.
Georg Ritter hatte alle Hände voll zu tun. Ohne Jutta Moldenhauers tatkräftige Unterstützung beim Ausschenken und Bedienen der Gäste, würde er es nicht schaffen, alle zufrieden zu stellen.
„Wie denken Sie darüber, Herr Pfarrer?“, fragte Professor Ahrens sobald er ihn erblickte. „Die Kirche kann doch nicht zulassen, dass zwei Frauen heiraten. Wollen Sie die Lesben etwa hier dulden?“
Der Angesprochene hatte sich gerade zum Tresen vorgekämpft und bestellte einen doppelten Korn. Er war erstaunt über die Reaktion des Professors. Erstens war er gegen die Kirche und es konnte ihm somit egal sein, was diese tut und zweitens war er Kunde bei Frau von Gahlen, war vielleicht sogar ein wenig mit ihr befreundet. Und nun klang es, als wollte er sie aus dem Dorf jagen. Lag es nur daran, dass sie sich jetzt als Lesbe bekannt hatte? Der Pfarrer wich der Frage aus. „In der Kirche hat sich mehr geändert, als die Abschaffung der Ketzerverbrennung.“ Sein Blick wanderte zu Werner Moldenhauer, der kurz grinste und dann auf sein Bierglas schaute.
„Gleichgeschlechtliche Ehen sind in unserem Staat nicht verboten. Die Paare können seit 2001 standesamtlich heiraten. Die evangelische Kirche in Deutschland handhabt das unterschiedlich. Ich weiß, dass in einigen Gegenden unseres Landes den Paaren der Segen gegeben wird. Wie die Evangelische Kirche Mitteldeutschland damit umgeht, zu der Thüringen gehört, weiß ich nicht. So einen Fall hatte ich bis jetzt noch nicht. Ich werde mich aber erkundigen. Auf alle Fälle werde ich die Frauen hier dulden und nicht nur das, ich hoffe sogar, dass sie oft an den Gottesdiensten teilnehmen werden.“
Er schaute die Leute der Reihe nach an und erkannte an den Blicken, dass viele von ihnen es gern sähen, wenn die zwei Frauen wieder verschwänden und auch ihm würde das entgegenkommen. Aber er genoss auch das Entsetzen in vielen dieser Gesichter.
„Selbst wenn es in Thüringen erlaubt ist, denken Sie doch nicht ernsthaft daran, einem lesbischen Paar den Segen zu geben“, mokierte sich Dr. Gärtner und sprach damit aus, was viele dachten
„Warum nicht?“, fragte seine Frau und streifte ihren Mann mit einem bösen Blick. „Homosexualität ist Veranlagung. Diese Paare können sich genauso lieben, wie Heteros – oder sogar mehr.“ Es hatte ihr einen Stich ins Herz versetzt, als Frau von Gahlen von der Hochzeit sprach. Sie hätte nicht geglaubt, dass ihre Gefühle für Viola so stark waren. Ihr Mann blitzte sie an, erwiderte aber nichts
„Wie gesagt, ich bin noch nie in so einer Lage gewesen“, antwortete Pfarrer Krause. „Ich werde darüber nachdenken und mich mit Kollegen beraten.“
„Wenn Sie die Ehe dieser beiden Lesben segnen, werde ich nicht mehr in Ihre Kirche kommen“, stieß der Professor hervor.
„Aber Konrad!“ Seine Frau sah ihn erschrocken an.
„Ach schweig!“, fuhr er ihr über den Mund. „Du begrüßt so was natürlich mit deiner liberalen Einstellung. Wer weiß, was die beiden noch so treiben.“
Schlagartig wurde es still. Einige Anwesenden schauten den Sprecher mit Unbehagen an. Was wusste er von den beiden Frauen? Er kannte Frau von Gahlen durch das Fitnessstudio. Wusste er noch mehr? Ging er vielleicht auch zu…?
„Ach wissen Sie, Professor Ahrens“, unterbrach der Pfarrer das Schweigen, nachdem er bei Georg einen weiteren Korn bestellt hatte, „von Ihnen lasse ich mir nichts vorschreiben und auf Ihre zwei bis drei Besuche im Jahr kann ich verzichten.“
Das Lager war gespalten. Einige warfen dem Professor hämische Blicke zu. Die kamen von denen, die seine Überheblichkeit und Arroganz nicht ausstehen konnten. Aber auch dem Pfarrer wurden Blicke - einige versteckt - zugeworfen, die weit von Freundlichkeit entfernt waren.
„Als ob ihr keine anderen Sorgen habt“, mischte sich nun Erwin Matuschke ein. Er war mit seinen 83 der Älteste im Dorf und saß in einer Ecke neben Elvira Schneider, die heute besonders ruhig war. Seine Schäferhündin Minna lag zu seinen Füßen unter dem Tisch, einen mit Wasser gefüllten Blechnapf vor sich, aus dem sie von Zeit zu Zeit schleckte. „Lasst die zwei doch tun, was sie wollen. Wenn sie damit glücklich sind, ist nichts dagegen einzuwenden. Und mancher hier“, er machte eine Pause und schaute in die Runde, „sollte nicht so heuchlerisch tun. Diese beiden Frauen sind wahrscheinlich glücklicher mit ihrer Lesberei, als einige Verheiratete hier im Dorf.“ Er stand auf, schmiss ein paar Münzen auf den Tisch und nahm die Leine seiner Hündin. „Komm Minna, lass uns unseren Spaziergang machen. Das ist gesünder, als all diese Leute hier reden zu hören über etwas, das sie nichts angeht.“ Ohne noch jemandem eines Blickes zu würdigen, verließ er den Gasthof.
„Wir sollten uns doch wegen dieser beiden Frauen nicht streiten“, mischte sich Peter Grabow ein. „Es stimmt, ich mag sie nicht, diese Frau von Gahlen und darum ist sie es auch nicht wert, dass sie uns hier auseinander bringt. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, sie passt nicht hierher, aber wenn wir ihr Paroli bieten wollen, müssen wir zusammenhalten.
„Das wird wohl schlecht gehen“, keifte Elvira Schneider, die sich zum ersten Mal an diesem Tag in das Gespräch einmischte. „Die einen sind für und die anderen gegen eine lesbische Ehe. Also gibt es zwei Lager. Die hat es immer gegeben, es gab nur noch nie eine Situation, in der man sich für eines entscheiden musste.“
„Beruhigen Sie sich bitte“, versuchte der Pfarrer die Anwesenden zu beschwichtigen. „Es ist doch noch gar nicht entschieden, ob sie heiraten werden und falls doch, steht es ja nicht fest, ob sie auch den Segen der Kirche haben wollen und ob ich ihn überhaupt erteilen darf. Vielleicht wollen sie nur standesamtlich heiraten.“
Viele nickten oder brubbelten etwas vor sich hin. Nach und nach leerte sich der Gasthof. Das Mittagessen nahte und hier gab es nur ein paar Kleinigkeiten, die eines Sonntagsmahls nicht würdig waren.
Thomas Gärtner hatte bei seinen Eltern am Tisch gesessen und dem Disput schweigend zugehört. Auf dem Nachhauseweg nahm er sich fest vor, so schnell wie möglich mit seiner Mutter über seine Homosexualität zu reden. Sie hatte für die beiden Frauen Partei ergriffen. Bei seinem Vater würde er auf Granit beißen, aber seine Mutter schien offen dafür zu sein. Doch es sollte anders kommen.