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Georg Ritter wischte sich die Hände an einem Handtuch ab, bevor er das nächste Glas Bier einschenkte. Er war Inhaber des Gasthofes 'Zur Leuchtenburg' in Seidenbach, und das seit fast 35 Jahren. Vor der Wende hatte er bereits ab 11 Uhr geöffnet. Damals versorgte er vor allem die Bauern der LPG und die Forstarbeiter mit Mittagessen. Nach der Wende wurde es ruhiger. Die LPG war abgewickelt und die Forstarbeiter hatten keine feste Mittagszeit mehr. Sie aßen dort, wo sie gerade beschäftigt waren.

Da sich nur selten Touristen zum Mittagessen in das Dorf verirrten – das taten sie lieber auf der Leuchtenburg – hatte der Gasthof seit 1991 erst ab 17 Uhr geöffnet. Einzige Ausnahme war der Sonntag. Da gab es zusätzlich von 10 bis 13 Uhr einen Frühschoppen, zu dem sich neben seinen Stammkunden auch einige der wenigen Kirchgänger gesellten. Selbst der Pfarrer kam hin und wieder auf ein oder zwei Bier zwischen Gottesdienst und Mittagessen vorbei.

Seit dem Tod seiner Frau vor drei Jahren führte Ritter das Geschäft allein. Und damit hatte er keine großen Probleme. Außer seinen sieben oder acht Stammkunden kam in der Woche kaum einer in seinen Gasthof. Nur mittwochs war es voller. Da trafen sich der Heimatverein und die Skatspieler.

An diesem Mittwoch war der Gastraum besonders gefüllt. Es waren nicht nur die Alteingesessenen da, auch viele der so genannten Neubürger hatten sich, teils allein, teils mit ihren Ehepartnern, eingefunden. Es hatte sich herumgesprochen, dass die Villa auf der Anhöhe, die seit über einem Vierteljahr leer stand, einen neuen Käufer gefunden hat, besser gesagt, eine Käuferin.

Dass diese Neuigkeit schon ihre Runde gemacht hat, obwohl die Frau erst vor wenigen Stunden zur Hausbesichtigung dagewesen war, lag an Elvira Schneider. Die 67-jährige hatte seit dem tödlichen Unfall ihres Mannes vor 22 Jahren nicht wieder geheiratet. Sie wusste schon immer über alles im Ort gut Bescheid, aber seitdem sie vor sieben Jahren in Rente ging, sieht man sie nur noch im Dorf herumlaufen, auf der Suche nach Neuigkeiten und Klatsch und Tratsch. Ihre Augen standen niemals still.

Am Mittag war ihr der schwarze BMW vor der Villa aufgefallen und sie hatte so lange gewartet, bis er abfuhr. Eine große Frau war eingestiegen und Elvira hatte sofort erkannt, dass sie aus besseren Gesellschaftskreisen stammte. Kurz darauf erblickte sie Peter Grabow, der mit seinem Handy am Ohr herauskam und die Villa verschloss. Sobald er sein Telefonat beendet hatte, war sie auf ihn zugestürzt und hatte ihn mit Fragen über die Frau und ob sie die Villa kaufen wird bombadiert.

Peter Grabow hatte keine Lust gehabt, ihr irgendetwas zu erzählen. Er war mürrisch gewesen, weil ihm die Dame beim Grobmülldienst keinen Termin für die Abholung der Küche hatte nennen können. Er sollte morgen früh um sieben noch mal anrufen.

Doch Elvira war hartnäckig geblieben. Sie hatte sich die Chance nicht nehmen lassen wollen, wieder etwas als Erste zu erfahren, wenn man von Peter Grabow absah. Als er keine andere Möglichkeit sah, sie wieder loszuwerden, hatte er ihr genervt mitgeteilt, wer die Frau war und dass sie das Haus kaufen und demnächst einziehen werde.

Elvira war dann geradewegs zum Dorfladen von Jutta Moldenhauer gelaufen, um diese Neuigkeit bis zum Ladenschluss um 18 Uhr jedem aufzudrängen, auch denen, die sie nicht hören wollten.

Selbstverständlich saß Elvira nun auch im Gasthof, genau wie Peter Grabow mit seiner Frau. Aber die beiden waren mittwochs immer da. Er gehörte zur Skatrunde und sie war Mitglied im Heimatverein. Dieser wollte heute die letzten Vorbereitungen für die Kirmes besprechen, die in zweieinhalb Wochen stattfand, doch im Moment gab es nur ein Thema.

„Erzähl mal Peter, was hat Frau von Gahlen für einen Eindruck auf dich gemacht?“, fragte Werner Moldenhauer. Er war Juttas Mann und arbeitete früher bei der Verkehrspolizei in Gera. Seit einem Jahr war er im Vorruhestand.

„Na ja“, begann der Angesprochene zögernd, „wenn ich ehrlich sein soll, sie hat mich wie den letzten Dreck behandelt. Höflichkeit war in ihrer Erziehung sicher ein Fremdwort. Sie hat nur kommandiert und sich tierisch darüber aufgeregt, dass die Einbauküche noch drin stand.“ Er griff zu seinem Bierglas, nahm einen Schluck und stellte es wieder vor sich auf den Tisch. Mit dem Handrücken wischte er sich den Schaum von den Lippen. „Ich habe das Gefühl, die passt nicht in unser Dorf. Die sollte lieber in der Stadt bleiben.

„Also ich kenne Frau von Gahlen schon länger und sie war zu mir bis jetzt immer zuvorkommend“, mischte sich Professor Ahrens in das Gespräch ein. Er hatte seine Frau begleitet, deren einzige Ablenkung ihres tristen Hausfrauendaseins die Mitarbeit im Heimatverein war. „Ich gehe in eines ihrer Fitnessstudios. Sie kümmert sich sofort, wenn ich ein Problem habe. Sie hat sogar einem ihrer Mitarbeiter mit Kündigung gedroht, falls er mich nicht so anleitet, wie ich es wünsche.“

Peter Grabow schaute grinsend in die Runde. „Dann sollte ich mich wohl mal in dem Fitnessstudio anmelden. Vielleicht hilft das und ich werde dann auch höflicher von ihr behandelt.“

Diesem Einwurf folgte schallendes Gelächter. Jeder kannte Peter Grabows Abneigung dem Sport gegenüber, es sei denn, er lief im Fernseher.

„Sag mal Peter“, übernahm Bürgermeister Gerd Feuerstein das Wort, den alle, auf Grund seines Nachnamens, Fred nannten, „hat Frau von Gahlen gesagt, was sie mit dem großen Haus vorhat? Will sie hier vielleicht ein neues Studio eröffnen?“ Wie immer trug er seine Helmut-Schmidt-Mütze, die er auch im Gasthaus nie abnahm.

Grabow schüttelte den Kopf. „Soviel ich weiß, will sie darin wohnen. Sie hat eine Innenarchitektin beauftragt, das Haus einzurichten. Die will übermorgen kommen und bis dahin muss die Küche raus.“

„In so einem großen Haus und das ganz allein?“, staunte nun auch Werner Moldenhauer.

„Das habe ich sie auch gefragt. Doch sie hat nur gereizt geantwortet, dass ich es ihr überlassen soll, was sie groß und nicht groß findet. Außerdem zieht sie wohl nicht allein ein.“

„Was?“, kreischte Elvira Schneider aus ihrer Ecke, „das haben Sie mir heute Mittag doch gar nicht erzählt.“

Alle schmunzelten.

„Ich wollte doch nur, dass Sie heute Abend nicht umsonst hierher kommen“, konterte der Hausverwalter.

Das Schmunzeln weitete sich zu einem Lachen aus und Elvira schmollte. Am liebsten wäre sie aufgestanden und gegangen, aber die Angst davor, etwas zu verpassen, war größer. Wer weiß, was Peter Grabow ihr noch alles verschwiegen hat. Also fügte sie sich in ihr Schicksal.

„Hat sie gesagt, wer mit ihr einzieht?“, brachte Professor Ahrens das Gespräch wieder auf Frau von Gahlen. „Soweit mir bekannt, ist sie weder verheiratet noch in einer festen Beziehung.“

„Nein, hat sie nicht. Und ich sah keinen Grund, danach zu fragen. Sie war sowieso der Meinung, dass es mich alles nichts anginge.“

Man sah Peter Grabow an, dass er die herablassende Behandlung durch die neue Besitzerin der Villa noch nicht verwunden hatte.

„Na, das werden wir ja bald rauskriegen.“ Der Bürgermeister schaute in die Runde. „Sobald sie eingezogen ist, werde ich ihr einen Besuch abstatten. Hat sie gesagt, wann das sein wird, Peter?“

„So schnell wie möglich. Sicher muss erst das Haus komplett eingerichtet sein. Ich habe keine Ahnung wie lange das dauern wird.“

Danach drehten sich die Gespräche um andere Themen. Der Heimatverein konnte sich endlich um die Kirmes kümmern, die Skatspieler mischten zum ersten Spiel und Elvira Schneider zahlte und verließ, mit grimmigem Blick auf Peter Grabow, den Gasthof.

Das ehrbare Dorf

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