Читать книгу Das ehrbare Dorf - Andy Glandt - Страница 12
- 8 - Donnerstag, 2. September
Оглавление„Frau von Gahlen ist eine nette und höfliche Dame“, begann Bürgermeister Gerd Feuerstein, genannt Fred, die Neugierde der Anwesenden zu befriedigen. Seitdem bekannt geworden war, dass Frau von Gahlen die Villa gekauft hat, war die Besucherzahl im Gasthof ‚Zur Leuchtenburg’ angestiegen. Man erhoffte sich täglich Neuigkeiten. Vor allem interessierte die Leute, wer mit ihr einziehen wird.
„Man sieht sofort, dass sie Geld hat. Von so einer Einrichtung hätte ich noch nicht einmal zu träumen gewagt, obwohl wir nur ein Zimmer gesehen haben und den Flur.“
Er hatte ihr mit Pfarrer Ernst Krause vor einer Stunde einen Besuch abgestattet, nicht ganz ohne Eigennutz. Selbstverständlich hatten die beiden sich ihr vorstellen und sie als neue Mitbürgerin begrüßen wollen, aber sie erhofften sich auch einiges. So eine reiche Dame musste man fürs Dorf gewinnen. Besonders der Pfarrer hatte sofort an das marode Dach der Kirche gedacht. Vielleicht würde Frau von Gahlen etwas spenden. Es fehlten noch knapp 10.000 Euro, die die Gemeinde aufbringen musste, um eine Förderung vom Land zu erhalten.
„Sie hat uns zu einem Glas Champagner eingeladen“, fügte Pfarrer Krause hinzu und strich sich über seinen Schnauzbart. „Es war ein französischer Name. Köstlich. Noch nie habe ich etwas so Vorzügliches getrunken.“
„Kein Wunder“, sprang Professor Ahrens darauf an. „Wer tagtäglich billigen Messwein trinkt, dem kommt jedes einen Hauch besser schmeckende Getränk wie ein Elixier vor.“ Es war allgemein bekannt, dass der Professor nichts für die Kirche übrig hatte. Als der Pfarrer ihn einmal darauf ansprach, ob nicht auch er einen Beitrag für das Kirchendach beisteuern könnte, hatte er nur gelacht und geantwortet: „Ich gebe mein Geld nur für sinnvolle Dinge aus. Wenn es Gottes Wille ist, Kirchen zu bauen, dann soll er bitteschön auch für deren Finanzierung und Erhaltung sorgen.“
Bevor sich dieser Wortaustausch, den es des öfteren zwischen dem Pfarrer und dem Professor gab, wieder zu lauten Verbalattacken ausweitete, ergriff Fred schnell das Wort und lenkte die Aufmerksamkeit der Anwesenden wieder auf Frau von Gahlen. „Ja, und sie sagte, dass sie sich sehr freue, hier zu wohnen und sie hofft, bald alle Dorfbewohner kennen zu lernen. Wir haben sie zur Kirmes eingeladen.“
„Na“, mischte sich Georg Ritter, der Wirt, ein, „meint ihr, so eine feine Dame wird sich in unserem Dorfsaal wohlfühlen? Die ist doch sicher Riesenballsäle gewohnt. Und Champagner habe ich auch nicht.“
„Dann wirst du eben welchen besorgen müssen“, erhob Elvira Schneider kichernd ihre Stimme. Sie saß wie immer mit einem Glas Bier in ihrer Ecke und lauschte mit wachen, unruhigen Augen den Gesprächen. „Vielleicht schmeißt sie ’ne Runde.“
„Kommt nicht in Frage“, antwortete Georg aufgebracht. „Wenn sie hier leben und mit uns feiern will, dann so, wie wir es gewohnt sind. Ich werde absolut nichts wegen einer neuen Einwohnerin anders machen. Entweder sie akzeptiert es oder sie bleibt wo sie ist.
„Bleib ruhig“, beschwichtigte Pfarrer Krause ihn, „sie hat noch nicht zugesagt. Und warum soll man nicht mal etwas anders machen?“
„Das müssen Sie gerade sagen, Herr Pfarrer“, ergriff Werner Moldenhauer das Wort. „In der Kirche hat sich doch seit zweitausend Jahren nichts geändert, außer dass man nicht mehr als Ketzer verbrannt wird.“
Das löste allgemeine Heiterkeit aus. Die meisten hielten nicht viel von der Kirche, obwohl nicht alle so einen Groll gegen sie hatten, wie Professor Ahrens. Es war ihnen einfach egal. Außer zu besonderen Anlässen fanden sich zum sonntäglichen Gottesdienst nur wenige ein.
„Wer ist denn nun mit ihr eingezogen?“ Elvira konnte ihre Neugier nicht mehr im Zaum halten. Sie wollte am nächsten Morgen die Erste im Dorfladen sein und diese Neuigkeit allen aufdrängen, auch denen, die sie schon kannten.
„Das hat sie nicht gesagt“, antwortete Fred, „und wir haben nicht gefragt. Sie war auf alle Fälle allein.“
„Aber sie hat versprochen, am kommenden Sonntag zum Gottesdienst zu kommen“, warf Pfarrer Krause wie nebenbei erwähnt ein. Er wusste nur zu gut; dieser Hinweis wird mehr Besucher in seine Kirche locken, als ein Konzert von Michael Jackson. „Vielleicht kommt sie dann in Begleitung und wir lernen gleich beide neuen Mitbürger kennen.“
Allgemeines Kopfnicken bestätigte dem Pfarrer; am Sonntag werden die Plätze in der Kirche nicht ausreichen. Wie vorzeitiges Weihnachten.