Читать книгу Das ehrbare Dorf - Andy Glandt - Страница 11
- 7 - Dienstag, 31. August
ОглавлениеElke Märtens schaute gelangweilt aus einem Fenster der Wohnung ihrer Freundin in der Jenaer Schillbachstraße und beaufsichtigte die Umzugsfirma. Sylvia hatte sie darum gebeten, da sie der Firma nicht zutraute, mit ihren Möbeln sorgsam umzugehen. Aber Sylvia von Gahlen traute ja niemandem. Darum betrachtete Elke das Zusammenziehen mit ihr mit gemischten Gefühlen. Sie hatte zwar gewusst, dass es mal so kommen würde, den Gedanken aber immer vor sich hergeschoben.
Auf der Straße versuchte ein Kleintransporter vergeblich an dem Möbelwagen vorbeizukommen. Ihm blieb nichts weiter übrig als zu warten.
Knapp zwei Jahre ist es her. Als gelernte Kosmetikfachfrau hatte sie sich in der Hauptfiliale der Firma von Gahlen in Frankfurt beworben. Dort bot man ihr eine Stelle in Jena an. Elke brauchte drei Tage, um sich zu entscheiden, dorthin zu gehen. Zu viele Erinnerungen hingen daran.
Schon eine Woche bevor sie ihre Arbeit aufnehmen sollte, war sie nach Jena gekommen und hatte sich im Hotel Nordrand einquartiert. Sie fand es sehr gemütlich und wurde sich schnell mit der Besitzerin einig, dort ihren Zweitjob auszuüben.
Dann lernte sie Sylvia kennen, in deren Filiale sie anfing zu arbeiten und die beiden hatten sich sofort ineinander verliebt.
Elke hatte von Anfang an die Karten auf den Tisch gelegt und nicht verheimlicht, dass sie eine Prostituierte ist, die weiterhin ihre Freier empfangen wird. Sylvia dachte anfangs an einen Scherz. Als sie aber begriff, dass es nur eine Zukunft für sie beide gäbe, wenn sie Elkes Zweitjob akzeptierte, fügte sie sich. Sie vermittelte ihr sogar gutbetuchte Freier, die in einem ihrer Fitnessstudios ihre Körper in Form hielten.
Im Großen und Ganzen lief ihre Beziehung ohne Probleme ab. Sie hielten sie nicht gerade geheim, aber sie hingen sie auch nicht an die große Glocke. Sie trafen sich drei- bis viermal pro Woche, meistens bei Sylvia, da ihre Wohnung um einiges größer war. Sie gingen gemeinsam aus oder fuhren zusammen in den Urlaub. Einige wussten, dass sie ein Liebespaar waren, die meisten glaubten eher, sie wären nur gute Freundinnen.
Seit einem knappen Jahr versuchte Sylvia, Elke davon zu überzeugen zusammenzuziehen. Elke war von Anfang an skeptisch gewesen. Sylvia war ein beherrschendes Wesen und Elke fürchtete um ihre Selbständigkeit. Streitereien waren vorprogrammiert, da sie sich nicht alles gefallen ließ. Sie war in dem Moment nicht ihre Angestellte. Sie hatte dem Drängen Sylvias unter zwei Bedingungen nachgegeben; erstens ein eigenes Schlafzimmer zu bekommen und zweitens ihre Wohnung in Jena einstweilen zu behalten. Dem hatte Sylvia zugestimmt.
Als ihre Freundin ihr vor einer Woche freudig mitteilte, sie habe ein Haus für sie gekauft, spielte Elke die Glückliche. Ihr schnürte sich aber im selben Moment die Kehle zu, ein Zeichen, dass sie nicht bereit zu diesem Umzug war. Da sie es aber versprochen hatte, wollte sie es wenigstens versuchen. Als sie dann erfuhr, dass sich das Haus zwanzig Kilometer von Jena entfernt befand, konnte sie sich kaum beherrschen in den Hörer zu schreien, dass sie nicht aus Jena raus will. Natürlich war ihr klar, warum Sylvia ein Haus gewählt hatte, dass soweit weg lag. Sie hoffte darauf, dass Elke ihren Zweitjob als Hure aufgab. Sylvia hatte nämlich auch davon gesprochen, sie als Leiterin einer Kosmetikfiliale in Stadtroda oder Kahla einzusetzen, die demnächst eröffnet werden sollten. Somit würde sie gar nicht mehr nach Jena kommen und keine Zeit mehr für ihre Freier haben. Aber das konnte Sylvia vergessen. Darauf würde sich Elke nie einlassen. Sie wollte sich nicht von Sylvia abhängig machen. Und wenn Sylvia weiter darauf bestand, würde es zu Komplikationen in der Beziehung kommen. Elke hatte sich fest vorgenommen, sich von Sylvia nicht beherrschen zu lassen, wie es viele andere taten.
Trotz ihres Unbehagens musste sie grinsen. Einen Freier konnte sie auf alle Fälle behalten, denn sie zog nun in das Dorf, dessen Name sie sich nie hatte merken können, in das Dorf, in dem ihr Möchtegernliebhaber Volker Wernke wohnt.
Vor drei Tagen hatte Elke das Haus zum ersten Mal gesehen und war überrascht gewesen, wie groß es war. Als Sylvia ihr dann zwei eingerichtete Zimmer zeigte und erklärte, beide gehörten ihr, ein Wohn- und ein Schlafzimmer, war ihr leichter ums Herz geworden. Sie hatte nun die Möglichkeit, sich in dem Haus zurückzuziehen, wenn sie Abstand von Sylvia brauchte. Außerdem konnte sie ihre Wohnung in Jena unverändert lassen, da sie keine Möbel daraus in dem neuen Haus benötigte. Nur ihre Garderobe würde sie mitnehmen und davon auch nicht alles.
Doch sie wusste auch, irgendwann wird Sylvia dafür Dankbarkeit verlangen, ihr so ein schönes Heim zu bieten, Dankbarkeit in Form von Aufgabe ihres Zweitjobs. Doch dann wäre es aus. Elke hatte Sylvia nie um einen Umzug gebeten und sie würde sofort ihre Sachen packen und in ihre Jenaer Wohnung zurückziehen, die zwar bedeutend kleiner war, in der sie aber sein konnte, wie sie war. Sie würde es auf sich zukommen lassen. Ihre Wohnung in Jena gab ihr ein gutes Gefühl.