Читать книгу Das ehrbare Dorf - Andy Glandt - Страница 5
- 1 - Mittwoch, 25. August - 2 ½ Wochen vorher
Оглавление„Wenn Sie es auch nicht begreifen wollen, Herr Janek, der Kunde ist bei uns König. Was ein König möchte, bekommt er.“
Mario Janek saß seiner Chefin gegenüber. Es war sein 27. Geburtstag. Mit seinem kurz geschorenen, blonden Haar sah er mindestens fünf Jahre jünger aus. Seine Oberarmmuskeln waren dermaßen angespannt, dass das T-Shirt zu zerreißen drohte.
Zum wiederholten Mal hatte sie ihn in ihr Büro beordert, ein Büro, dem man den Erfolg der Fitnessstudios der Familie von Gahlen ansah. Die Wände hingen voller Bilder erfolgreicher Sportler, die in den Studios trainiert hatten, einige von ihnen Weltmeister oder Olympiasieger, manche beides
Seit fast anderthalb Jahren arbeitete Janek schon für Frau von Gahlen, die außer in Jena Fitness- und Kosmetikstudios in Weimar und Apolda betrieb und gerade im Begriff war, zu expandieren. Angefangen hatte er in der Filiale in Apolda. Er hatte den Job sofort nach seiner Ausbildung bekommen und sich dort schnell eingearbeitet. Von Anfang an war er beliebt gewesen, ein Grund, der Frau von Gahlen bewogen hatte, ihn nach Jena zu holen. Er hatte sich riesig darauf gefreut, da der Wechsel auch eine Gehaltserhöhung mit sich brachte. Aber hier in Jena war alles anders und er sehnte sich nach Apolda zurück. Hier in Jena bestand der Kundenkreis vorwiegend aus arroganten Anwälten und den großen und kleinen Bossen der Firmen Zeiss und Jenoptik oder einer der vielen Hightechfirmen, die sich in den letzten Jahren in Jena angesiedelt hatten. Aber auch Richter des Oberlandesgerichts, welches sich seit 1993 in der Saalestadt befindet und Professoren der Friedrich-Schiller-Universität absolvierten ihre Fitnessprogramme in diesem Studio. Einer von ihnen war der Grund, warum er in ihr Büro zitiert worden war und nicht, wie er gehofft hatte, sein Geburtstag.
„Aber Frau von Gahlen“, er versuchte seine Wut herunterzuschlucken, „Professor Ahrens wird es niemals schaffen, einhundert Kilogramm zu stemmen. Er schafft gerade einmal 65 und hat sich im letzten halben Jahr nicht mal um fünf Kilogramm gesteigert. Er ist 58 und keine 28 mehr. Er wird es auch in fünf oder zehn Jahren nicht schaffen.“ Sein Ton war schärfer geworden, als beabsichtigt, aber Professor Ahrens ging ihm auf die Nerven. Bei jeder Kleinigkeit beschwerte er sich. Janeks Pech war, dass er einen guten Draht zu seiner Chefin besaß.
„Mäßigen Sie sich bitte im Ton!“, maßregelte Frau von Gahlen ihn. „Denken Sie daran, wen Sie vor sich haben!“
Mario Janek sah schweigend nach unten. Ob die was mit ihm hat?, fragte er sich. Für andere setzte sie sich nicht so ein. Aber andere beschwerten sich auch nicht bei jeder Kleinigkeit. Nur der Professor. Sobald es nicht so lief, wie er es wünschte, rannte er zur Chefin und beklagte sich. Und als sein persönlicher Trainer, bekam Janek alles ab. Ob der zu Haus auch so war?
„Und jetzt sage ich es Ihnen zum letzten Mal“, unterbrach die Chefin seine Gedanken, „die Kunden zahlen gutes Geld und erwarten guten Service.“ Sie hob die Stimme und betonte jedes Wort. „Und den bekommen sie. Solange es ein Kunde nicht einsieht, dass er seine gesteckten Ziele nie erreichen wird, solange haben Sie dafür zu sorgen, dass es so aussieht, als ob er sie erreichen könnte.“
Sie machte eine Pause und schaute ihm in die Augen. Er hielt diesem Blick stand, erwiderte aber nichts. Darum fuhr sie fort: „Sie müssen natürlich aufpassen, dass sich keiner übernimmt oder es gar zu einem Unfall kommt, aber ansonsten haben Sie den Wünschen der Kunden nachzukommen.“ Sie sah auf die Uhr. „Sie können wieder an die Arbeit gehen. Ich muss zu einem wichtigen Termin.“
Bevor Mario Janek sich erhob, ballte er unter dem Tisch die Fäuste. Dieser arrogante Ahrens versaute ihm seinen Geburtstag. Der steckt sicher in der Midlifecrisis, hat bestimmt eine junge Geliebte und versucht sich für sie fit zu halten. Dagegen hatte Mario auch nichts, aber er hasste Leute, die sich überschätzten, die versuchten, ihre Jugend zurückzubekommen und dabei das Risiko übersahen, ihrem Körper großen Schaden zuzufügen. Das wusste Frau von Gahlen doch auch. Warum nahm sie diesen Kerl so in Schutz?
Bevor er das Büro verließ, fügte sie hinzu: „Sie sind ein guter Fitnesslehrer, Herr Janek, aber sollte mir noch eine einzige Beschwerde über Sie zu Ohren kommen, werde ich nicht zögern, Sie zu entlassen.“
Hätte sie jetzt das Gesicht ihres Fitnesslehrers gesehen, hätte sie ihm sofort gekündigt.