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Ihre Augen verfolgten eine Fliege, die um die Deckenlampe schwirrte, dann zum Fenster flog und gegen die Scheibe knallte. Danach drehte sie ein Runde durchs Zimmer und ließ sich schließlich auf dem Spiegel der Konsole nieder. Sie schmunzelte. Genauso ein Möbelstück hatten ihre Eltern gehabt. Das war, bevor ihre Mutter starb. Was war mit ihrem Vater? Lebte er noch mit dieser Frau zusammen, wegen der sie gehen musste? Lebte er überhaupt noch?

„Es war wieder schön mit dir, Viola.“

Ihr stockte vor Schreck der Atem. Sie hatte ganz vergessen, dass sie in den Armen eines Mannes lag, und zwar im Bett eines kleinen nostalgischen Hotels am nördlichen Stadtrand von Jena mit dem passenden Namen „Nordrand“. Hier empfing Viola ihre Freier. Das Hotel bekam eine Provision und bewahrte Stillschweigen. Viola empfing nämlich keine gewöhnlichen Freier. Ihre Kunden kamen aus den Chefetagen der gut gehenden Firmen, von der Uni und der Fachhochschule, aber auch aus dem Stadtrat. Ihre Freundin, die nicht damit einverstanden war, wie sie unter anderem ihr Geld verdiente, sagte einmal, sie habe sich zur Edelhure hochgearbeitet. Die Zeiten, als sie sich mit ein paar Euro auf dem Straßenstrich zufrieden gab, sind lange vorbei. Zu ihr kamen die Kunden nicht nur des Sexes wegen. Natürlich kam dieser nicht zu kurz. Aber die Männer suchten vor allem jemanden zum Reden, da es in deren Ehen nichts mehr zu sagen gab. In Viola fanden sie eine charmante Zuhörerin. Sie war attraktiv und gebildet und obwohl, oder gerade, weil sie nur eins zweiundsechzig groß war, standen die Männer bei ihr Schlange. Ihr Busen war nicht üppig und nackt hatte sie ein kindliches Aussehen. Viola wusste, dass das manche ihrer Kunden besonders antörnte. Aber es war ihr egal, was die Männer sich vorstellten, wenn sie mit ihr schliefen. Sollten sie ruhig träumen, es gerade mit einer Minderjährigen zu treiben. Das war auf alle Fälle besser, als es wirklich zu tun.

Die meisten ihrer Kunden waren verheiratet und in der Öffentlichkeit die nettesten Familienväter und Ehemänner, die man sich vorstellen konnte, und natürlich wussten ihre Frauen nichts davon. Bis auf zwei Ausnahmen.

Viola arbeitete vormittags in einem Kosmetiksalon ihrer Freundin. Und nachmittags oder abends, so wie die Kunden Zeit hatten, traf sie sich mit ihnen, einen pro Tag.

Heute war Volker bei ihr, der Versicherungsvertreter. Er kam aus einem Dorf in der Nähe, dessen Namen sie sich nie merken konnte. Und er war einer der Ausnahmen. Seine Frau wusste, dass er zu einer Hure ging. Sie hatte wohl auch ein Verhältnis.

Seine Zeit war gleich um und das war gut. Volker wurde ihr in letzter Zeit zu aufdringlich. Er wollte mehr. Der Beweis folgte sofort.

„Ich möchte dich etwas fragen, Viola.“ Er drückte sie fester an sich und küsste sie auf die Wange.

Sie wusste, dass er nun wieder versuchen würde, sie für ein Wochenende einzuladen. Das hatte er schon öfter getan, sie hatte aber immer abgelehnt.

„Ich fahre im September zu einer Weiterbildung für eine Woche nach Todtmoos in den Schwarzwald. Ich würde dich gern mitnehmen. Dann hätten wir eine Woche ganz für uns.“

Viola ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor sie mit scharfer Stimme entgegnete: „Verwechsle bitte nichts, ich bin nicht deine Geliebte, sondern eine Hure, die du bezahlst. Wenn du mich für eine Woche buchen willst, kostet dich das 1.500 Euro pro Tag. Kannst du dir das leisten?“

Seine Kinnlade klappte herunter und er sah sie mit ungläubigem Entsetzen an.

Was hatte er gedacht? Sie hatte ihm niemals das Gefühl gegeben, er wäre mehr für sie als ein Freier. Sie konnte keine starken Gefühle für ihn aufbauen. Er war ein Mann.

Sein Gesicht nahm wieder mildere Züge an. „Das heißt, wenn ich das Geld aufbringe, kommst du mit, ja?“

Das wollte sie nicht und damit wäre ihre Freundin auch nicht einverstanden. Sie glaubte jedoch nicht, dass Volker in der Lage war, 10.500 Euro für eine Woche mit ihr auszugeben. Dazu natürlich noch die Spesen.

„Frag mich noch mal, wenn du das Geld hast. Und du weißt, bezahlt wird im Voraus.“

Mit diesen Worten wand sie sich aus seinen Armen, stand auf und warf sich ihren Bademantel über.

Volker erhob sich ebenfalls und zog sich an. Viola schaltete inzwischen ihr Handy ein. Ein Signalton, der Anfang von Beethovens Schicksalssinfonie, zeigte eine SMS an: ‚Bitte ruf mich umgehend an. S.’ Sie schaute zu Volker. „Kannst du dich bitte beeilen? Ich muss einen wichtigen Anruf tätigen

„Ich habe noch keinen neuen Termin“, erwiderte er. „Wie sieht es nächsten Mittwoch aus?“

Viola schaute auf ihren Kalender. „Nächste Woche bin ich vollkommen ausgebucht.“ Sie blätterte weiter. „Donnerstag in zwei Wochen ist was frei. Soll ich dich da eintragen?“

Volker machte ein finsteres Gesicht. „Du weißt doch, dass ich donnerstags lange im Außendienst unterwegs bin.“

Natürlich wusste sie das und deshalb hatte sie auch diesen Termin vorgeschlagen, in der Hoffnung, ihr nächstes Treffen mit Volker hinauszuzögern.

„Tja“, sagte sie und blätterte weiter, „dann wird es erst was in vier Wochen.“ Sie schaute ihn an.

„Was ist in drei Wochen? Ist da auch alles voll?“

„Da mache ich nichts. Du weißt warum.“ Wenn sie ihre Tage hatte, traf sie sich nie mit Freiern, obwohl einigen das sicher nichts ausmachen würde.

Volker strich sich über die Nase. „Okay. Schreib mich für Donnerstag in zwei Wochen ein. Ich werde meine Außendienste verschieben.“

Viola nickte und trug seinen Namen lustlos in ihren Kalender ein.

„Und falls vorher jemand ausfällt“, fügte Volker hinzu, „kannst du mich ja in meinem Büro anrufen. Oder auch zu Haus. Du weißt ja, dass meine Frau nichts dagegen hat.“

„Sicher kann ich das“, antwortete sie und dachte, dass es da genug andere gäbe, die sie anrufen würde, solche, die sie als das sahen, was sie war, eine Hure mit der sie Spaß hatten und die ihnen zuhörte, die sie aber nicht als Geliebte betrachteten.

„Aber nun geh bitte. Ich muss wirklich anrufen.“ Sie nahm das Handy, wählte und hielt es an ihr linkes Ohr. Somit erreichte sie ihren Zweck, um den Abschiedskuss herumzukommen. Volker winkte kurz und verließ das Hotelzimmer.

Das ehrbare Dorf

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