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Rusty Cage – Johnny Cash

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Es war wirklich ein winziger Ort. Die einzige Straße bestand aus unregelmäßigen Feldsteinen, auf denen sich die Monster ihrem Namen gemäß benahm. Charly presste die Knie gegen den Tank und hob den Hintern vom Sattel, wie sie es bei Napoleon tat, wenn sie den Waldweg hoch galoppierten. Die Adresse war leicht zu finden und der große, ungepflasterte Hof allemal besser als die Straße, auch wenn die Gebäude arg heruntergekommen waren.

Erleichtert kurvte sie durchs Tor und stellte die Monster neben das silberne Mercedes-Coupé, das in der schäbigen Umgebung deplatziert wirkte. Eine unwirkliche Stille legte sich über den Hof. Sie nahm den Helm ab und steuerte das Wohnhaus an. Ehe sie es erreichte, kam ihr ein junger Mann entgegen. ‚Etwa mein Alter’, schätzte sie. Trotz des seriösen Anzugs und der gewandten Begrüßung fand sie ihn unsympathisch. „Ich will mir den T1 anschauen. Mein Vater hat mich sicher angekündigt“, erklärte sie steif.

„Natürlich. Hier entlang.“ Er ging voraus in die große, reparaturbedürftige Wellblechhalle. Die war vollgeramscht mit Fahrzeugen aller Art, hauptsächlich sehr alte, verrostete und verdreckte Karossen. Staubteilchen flimmerten in den Sonnenstrahlen, die durch das undichte Dach hereinfielen und das Innere streifig erhellten.

„Das steht alles zum Verkauf?“, fragte sie erstaunt.

Er nickte und schob eilig eine Erklärung nach: „Mein Urgroßvater hat sie zusammengesammelt. Er meinte, sie wären viel wert.“

„Da hat er nicht ganz unrecht“, antwortete sie. „Nur nicht in diesem Zustand.“

Der Anzugtyp zuckte mit den Schultern. „Das Gerümpel muss raus, so schnell es geht. Das Land ist mehr wert als die Schrotthaufen. Hier ist er“, erklärte er und blieb stehen.

Sie trat an den Wagen heran und spähte durch die verstaubte, halb blinde Heckscheibe. „Das ist kein T1, allerhöchstens eine Hülle. Da drin fehlt alles. Außen übrigens auch so einiges“, fügte sie hinzu, als sie an der Fahrerseite entlang sah.

„Aber es ist ein Samba“, konterte er stolz.

Sie erwiderte nichts, hockte sich neben die Karosse und spähte da­runter. Die Bodenplatte war quasi nicht mehr vorhanden. „Was hatten Sie sich denn vorgestellt. Preislich.“

„Zwanzigtausend“, antwortete er wie aus der Pistole geschossen.

„Vergessen Sie‘s.“

Er blinzelte irritiert.

„Maximal die Hälfte, und nur wenn Sie einen Freak erwischen“, erklärte sie, klopfte sich pulverigen Dreck von den Händen und stand auf. „Darf ich mich noch ein wenig umschauen?“

„Ja, sicher“, stotterte er, sichtlich aus dem Konzept gebracht.

Sie nickte und schlenderte andächtig durch die Halle. Hier stand ein Vermögen, für den, der es instandzusetzen wusste. ‚Ich muss Dad nahelegen, selber herzufahren’, dachte sie. ‚Das darf er sich nicht entgehen lassen!’

Neben dem hinteren Tor fand sie einen Unimog. Sie ging zur Fahrerseite. Zwischen Kabine und Aufsatz stand eine Klappe offen und ein zerfetzter, ehemals wohl gepolsterter Hebel stand waagerecht heraus. Im Schacht dahinter schimmerte matt ein Hydraulikrohr. Versuchsweise zog sie an der Fahrertür, die sich knarrend öffnete. Verwirrt starrte sie ins Führerhaus. ‚Keine Pedale?’ Neben dem Lenkrad befanden sich mehrere Hebel, die sie an den Pick-up ihres Vaters erinnerten. ‚Behindertengerecht!’ Sie unterdrückte einen Jubelschrei. Stattdessen entsperrte sie die Verriegelung und hob die Motorhaube an. Darin schienen ganze Mardergenerationen gehaust zu haben. Sonst sah es verhältnismäßig gut aus. ‚Bei Unimogs ist meist das Getriebe kaputt’, rekapitulierte sie. ‚Aber das kriegt Dad locker hin.’ Sie ließ den Deckel herunterklappen und lugte auch hier unters Fahrzeug. Zum Schluss kletterte sie in den Aufbau. Zwei Schlafplätze, Kochnische, Sitzecke, sogar eine Durchstiegsluke zum Führerhaus. Einige Details, die sich auf langen Reisen als annehmlich erweisen könnten, fielen ihr ins Auge. ‚Da hat jemand gut mitgedacht oder war bereits beim Ausbau des Fahrzeugs expeditionserfahren. Vermutlich findet sich davon noch mehr.’ Ihre Aufregung stieg, was sich durch fallende Handtemperatur bemerkbar machte. Gewohnheitsmäßig rieb sie die Handflächen an den Oberschenkeln und traf auf kühles Glattleder. Angewidert verzog sie den Mund und schob die Hände in die Achselhöhlen. ‚Ich muss ihn haben, am besten für kleines Geld!’

Sie fand den Verkäufer vor der Halle. Rauchend. Bevor er ihr eine Zigarette anbieten konnte, schüttelte sie ablehnend den Kopf.

„Haben Sie etwas gefunden?“

„Vielleicht. Kommt drauf an, was Sie haben wollen.“ Sie pausierte kurz. „Der Unimog neben dem hinteren Tor.“

Gemeinsam gingen sie hinein. Neben dem Unimog blieb er stehen, zückte sein Handy und tippte eine ganze Weile darauf herum, während Charly geduldig wartete. Schließlich fragte er unsicher: „Was würden Sie mir denn geben wollen?“

„So, wie er da steht? Zweifünf.“

Er sah zwischen ihr und dem Gefährt hin und her. Dann hielt er ihr die Hand hin. „Ok, gehört Ihnen!“

Lächelnd schlug sie ein.

***

Langsam rollte Charly hinter einem teuren Wagen durch die verwinkelten Gassen der Quedlinburger Altstadt. Als er den Blinker setzte, seufzte sie schicksalsergeben und blieb stehen. Die Sonne brannte für Mitte Mai unbarmherzig vom blauen Himmel, den keine Wolke trübte, und vom Motor der Ducati stieg eine beachtliche Hitze empor.

‚Ein Eis wäre jetzt genau das Richtige’, dachte sie und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen.

Unerwartet zügig und akkurat wurde der Wagen auf den Hotelparkplatz gesetzt und ein Mann wand sich geschmeidig vom Fahrersitz.

‚Attraktiv, aber zu alt’, kategorisierte sie ihn, dann nahm sie Maß, schnippte mit Schwung auf den Gehsteig und nutzte die beiden freien Parkplätze für eine halbe Wende, zur ganzen reichte es nicht. Rangierte einen knappen Meter zurück, schlug erneut komplett ein und fuhr dicht neben das Geländer.

‚Seitenständer raus und langsam ab’, dachte sie, wachsam kontrollierend, dass ihr Motorrad nirgendwo „Anstoß nahm“. Nahe genug, dass sie es am Geländer würde anschließen können, und Lenker und Heck wunderbar frei. ‚Perfekt!’

Sie schwang sich ungelenk nach rechts vom Motorrad, gleichzeitig die Jacke der Kombi öffnend und den Helm abnehmend. Mit leisem Klappern fiel ihre Sonnenbrille zu Boden und sie unterdrückte den herzhaften Ausdruck, der ihr auf der Zunge lag. Stattdessen richtete sie hilfesuchend den Blick gen Himmel, schloss die Augen und verharrte so für einige lange Sekunden. „Eins nach dem anderen“, sagte sie halblaut.

„Richtig“, erwiderte eine amüsierte Männerstimme und sie wandte sich hastig in die Richtung des Herrn im gut sitzenden Anzug, der unaufdringlich eine Armeslänge neben ihr stand. Er hielt ihr die Brille entgegen. „Schicke Maschine, passt zu Ihnen.“

‚Interessantes Lächeln, das ihn noch attraktiver macht’, stellte sie fest. ‚Jünger als Dad’, dachte sie, als sie die dargebotene Brille entgegennahm. „Danke“, entsann sie sich der Höflichkeit und einer leichten Geste, die Brille und Motorrad umfasste, und wandte sich mit unverbindlichem Lächeln ab. Ihr Bedarf an Anzugtypen war für heute gedeckt.

Während sie die Schlösser aus dem Tankrucksack nahm, fühlte sie sich unbehaglich beobachtet, als ruhe sein Blick auf ihrem Rücken, doch nach wenigen Augenblicken klappte eine Autotür, dann schritt er mit einem freundlichen, aber distanziert grüßenden Lächeln die Straße hinunter und bog auf den Marktplatz. Trotzdem ließ sie sich viel Zeit, bevor sie ebenfalls zum Hotel schlenderte. Ihre Hoffnung erfüllte sich. Leer gähnte die Lobby gediegene Ruhe.

Die Rezeptionistin turnte vor ihr die Treppen hinauf ins Dachgeschoss, und als sie endlich in ihrem Zimmer stand, fragte sie sich kurz, ob sie den Weg hinunter wieder finden würde, so verwinkelt waren die Flure. Instinktiv zog sie den Kopf ein, denn sie konnte nicht nur mühelos die Balken erreichen, sondern auch die Decke dazwischen. Vorsichtige Versuche zeigten jedoch, dass sie sich ungeachtet der niedrigen Höhen frei bewegen konnte. Plötzlich eilig ließ sie den Tankrucksack in den heimeligen Oma-Ohrensessel fallen, warf die Jacke der Kombi aufs Bett und kehrte, schon halb aus der Tür, noch einmal zurück, um die kleinen Fensterchen aufzureißen.

Auf dem Markt holte sie sich am erstbesten Café eine Kugel Eis, und hastig das schnell schmelzende süße Zeug schleckend, wanderte sie zur Burg, ohne ihrer Umgebung viel Beachtung zu schenken. Sie hatte ihren Vater gebeten, Steven mit dem Krantransporter und dem vereinbarten Betrag zum Abholen des Fahrzeuges zu schicken und auf eine benachbarte Wiese gelümmelt dessen Ankunft erwartet. Seit sie Steven verabschiedet hatte, rechnete sie pausenlos nach, wann er mit seiner Fracht zu Hause sein könnte. Langsam wurde sie ungeduldig. Zu erwartungsvoll, um lange an einem Ort zu verweilen, streifte sie durch die Gassen und versuchte, die liebevoll gepflegten Blumen, das Summen der Bienen und die wärmende Sonne zu genießen. Schließlich fand sie sich auf den Stufen des Rathauses wieder. ‚Mach schon, melde dich’, dachte sie. Endlich klingelte ihr Handy.

„Hi Dad.“

„Du hast einen Unimog gekauft?“ Er klang nicht sonderlich begeistert. Schließlich gab es die wie Sand am Meer und die meisten waren ziemlich hinüber. Aber nicht dieser. Dieser war eine Fügung.

„Hast du schon reingeschaut?“ Atemlos hielt sie die Luft an.

„Wie denn? Erstens steht er noch auf dem Transporter …“

„Lad ihn ab, Dad!“, unterbrach sie ihn. Sie war aufgeregt wie ein kleines Kind zu Weihnachten. Ungeduldig wartete sie darauf, dass das Fahrzeug abgeladen wurde. Endlich sprach ihr Vater, noch immer grummelnd, die erlösenden Worte. „Steht unten.“

„Steven soll dir die Fahrertür aufmachen. Siehst du die Klappe zwischen Kabine und Aufsatz? Mach sie auf!“ Ihre Stimme vibrierte. Am anderen Ende blieb es eine Weile still. Dann klang ihr Vater genau so aufgeregt wie sie.

„Ist nicht wahr!“

„Doch!“, juchzte Charly unterdrückt. „Bau ihn auf, Dad! Wir gehen endlich auf Tour!“

Charlys Sommer

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