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Prolog

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Die Straßenkreuzung war eine einzige Schlammwüste. Tiefe Spuren, teils mit Wasser gefüllt, führten in verschiedene Richtungen. Ein Wegweiser war nirgends zu sehen. Es war ein trüber Tag; zu allem Überfluss begann es aus dem grauen Nebel auch noch zu regnen.

Inmitten des Schlammes stand ein Pferd. Ursprünglich war es wohl weiß gewesen, nun waren Beine und Bauch des Tieres schwarzgrau und auch das dicke, zottige Fell am Rest des Körpers wies verschiedene dunkle Flecken auf. Mähne und Schweif waren zerzaust und starrten vor Dreck. Auch Sattel und Zaumzeug hatten schon deutlich bessere Tage gesehen.

Das Pferd hielt den Kopf gesenkt, hatte sein Hinterteil in den Wind gedreht und die Augen halb geschlossen. Es war dürr und wirkte müde.

Drei Schritte vor der Nase des Tieres stand eine schlanke Gestalt, in einen langen, dicken Umhang gehüllt, der jegliche Konturen verbarg. Unschlüssig sah sie sich um, dabei rutschte die Kapuze nach hinten und gab das Gesicht einer nicht mehr ganz jungen, aber sehr schönen Frau frei.

Langsam drehte sie sich in einem Halbkreis, als versuchte sie, sich für einen der Wege zu entscheiden. Plötzlich stutzte sie, trat einige Schritte weiter in den Schlamm hinein, ungeachtet dessen, dass ihre derben Stiefel bis über die Knöchel darin versanken, und hockte sich hin.

Inmitten des Schlammes blühte ein einzelner Löwenzahn. Kühn reckte sich die gelbe Blüte auf ihrem Stängel in die Höhe, die vier Blätter wiesen nahezu symmetrisch in die vier Himmelsrichtungen. Kleine Wassertropfen perlten auf den Blütenblättern, dann löste sich ein größerer Tropfen vom Rand der Blüte und platschte auf die Spurrille, auf deren Grat die Pflanze thronte, perfekt und rein inmitten der Verwüstung.

Die Frau streckte einen Finger aus und berührte sacht den gelben Blütenkopf. Einige Augenblicke hockte sie dort und schien über etwas nachzudenken. Abrupt erhob sie sich und drehte sich zu dem Pferd um. Zärtlich schob sie ihre Hand unter das zottige Maul des Tieres. Suchend sah sie in die Augen des Schimmels, bevor sie einige melodiöse Worte sprach.

Erneut sah sie sich um. Der Regen hatte nachgelassen, dafür senkte sich der Nebel tiefer auf die tropfnasse, duldsame Landschaft. Was blieb, war die Wegkreuzung und die von ihr wegführenden Fahrspuren, die sich nach wenigen Metern in grauer Ungewissheit verloren.

Mit sanftem, nach innen gerichtetem Blick strich die Frau über ihren Bauch, dann zog sie fröstelnd den Mantel enger um ihren Körper. Sie trat neben das Pferd und schwang sich in den Sattel. Ein letztes Mal schaute sie über die Kreuzung, dann drückte sie dem Pferd die Fersen in die Seite und folgte einem der Wege, ohne zurückzublicken. Lautlos wurde sie von der wattigen Stille verschluckt.

Charlys Sommer

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