Читать книгу Charlys Sommer - Anett Theisen - Страница 12
Coming Home – Sasha
ОглавлениеCharly zog schnell und routiniert durch die lange Rechtskurve, nahm das Gas weg und ließ den Motor die Maschine abbremsen, um die Rechts-Links-Kombination der Schikane mit größtmöglichem Schwung zu durchfahren. Als die Fußraste aufsetzte, schmunzelte sie. ‚Ein perfekter Abschluss für ein perfektes Wochenende.’
Ihre Entdeckung hatte sie im besten Hotel Quedlinburgs gefeiert. Zuerst mit einem luxuriösen Dinner. Allein, obwohl die Rezeptionistin ihr einen Briefumschlag gereicht hatte, mit einer höflich bittenden Einladung zum Abendessen. Noch während sie nachdenklich, den gefalteten Zettel auf den Daumen der linken Hand tappend, auf der Kante eines Sessels in der Lobby hockte, kam der Fremde vom Hotelparkplatz die Stufen der Treppe herab und hatte sie gesehen, bevor sie reagieren konnte. Ihm auszuweichen wäre einem Weglaufen gleichgekommen, und sie stand auf, um ihre Ablehnung nicht aus der völlig nachteiligen Sitzposition heraus formulieren zu müssen. Wenn er über ihre Absage enttäuscht war, so verbarg er es gut und folgte ihr zum Eingang des Restaurants. Sie konnte keine Reservierung vorweisen und der Kellner zuckte bedauernd die Schultern. Da griff ihr Begleiter ein und überließ ihr seinen Tisch, drehte auf dem Absatz um und verließ Restaurant und Hotel mit schnellen Schritten.
Obwohl sie während des Essens den Marktplatz im Auge behielt, sah sie ihn nicht zurückkehren, aber als sie zu ihrem Zimmer gehen wollte, saß er in der Lobby, scheinbar versunken in eine Tageszeitung. Zielstrebig ging sie auf ihn zu und er klappte raschelnd die Blätter zusammen. „Danke“, sagte sie einfach ohne weitere Erklärungen. „Darf ich Sie zu einem Glas Wein an der Bar einladen?“ Zufrieden registrierte sie die Überraschung, die kurz in seinen Augen aufblitzte.
Er fing sich schnell und erhob sich. In Jeans und Hemd erinnerte nichts mehr an den Anzugtypen; er wirkte sportlich, und kurz streiften ihre Gedanken die Frage, was er beruflich machen mochte.
„Gern.“
Es blieb nicht bei einem Glas. Sie fand ihn interessiert, mochte, dass er ihr zuhörte und genauso bereitwillig von sich erzählte. Es wurde spät und allmählich begann sie, die Auswirkungen ihres frühen Starts und des Weins zu spüren. Suchend blickte sie über den Tresen und er kam ihr mit dem Herbeiwinken des Kellners zuvor und zahlte seine letzten beiden Gläser. „Ihre Einladung bezog sich schließlich nur auf ein Glas Wein“, hob er verschmitzt lächelnd hervor und sie zahlte ihre eigene Rechnung und sein erstes Glas, mit dem üblichen generösen Trinkgeld. „Obwohl ich es sonst bevorzuge, Damen in meiner Begleitung einzuladen.“
Sie ließ ihm einen warnenden Blick zukommen, zog es aber vor, nicht zu antworten. Nebeneinander stiegen sie die ersten zwei Stockwerke hinauf; das Hotel verfügte über keinen Aufzug. Dann blieb er stehen und bedankte sich für die Zeit, die sie mit ihm verbracht hatte. „Soll ich Sie noch zu ihrem Zimmer begleiten?“, fragte er und sie warf lachend den Kopf in den Nacken.
„So hat es auch noch niemand formuliert.“
„Nun, bei jeder anderen Formulierung hätten Sie mir Hintergedanken unterstellt.“ Ernst sah er sie an, nur ein leichtes Schmunzeln umspielte seine Lippen.
„Haben Sie welche? Hintergedanken, meine ich?“, fragte sie. Ihr dämmerte, dass es vielleicht die falsche Frage war. Zu spät.
Sein Schmunzeln wurde breiter. „Darf ich?“ Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern griff ihre Hand und hauchte einen Kuss auf ihre Fingerknöchel, kaum dass seine Lippen ihre Haut berührten.
„Gute Nacht.“ Eilig entzog sie ihm die Hand und unter seinem Blick stieg sie die letzte Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Erst als sie auf den Flur einbog, hörte sie seinen Gute-Nacht-Gruß. Aber sie war sich sicher, dass er dort wartete, bis ihre Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war.
***
Sie hatte bestens geschlafen und auf den Sonnenaufgang auf dem Burgberg verzichtet. Stattdessen war sie, in alle Kissen und Decken des geräumigen Doppelbettes gekuschelt, erst lange nach Sonnenaufgang erwacht und hatte noch eine gute Stunde mit ihrem Handy in ihrem gemütlichen Nest verbracht.
Dann hatte sie die Wasserkosten des Hotels kräftig in die Höhe getrieben und die Flasche guten Rotweins, die sie für den vorhergehenden Abend gekauft hatte, sicher im Tankrucksack verstaut, damit sie nach dem Frühstück sofort starten konnte. So faul begann sie selten den Tag und angesichts des strahlenden Sonnenscheins packte sie die Unruhe. Bestes Motorradwetter und sie vertrödelte die Zeit!
Sie verließ ihr Zimmer und flitzte die Treppen hinab. Das Geländer fiel ihr einladend ins Auge, aber darauf hinabzurutschen wagte sie nicht.
Er hatte auf sie gewartet. Das Telefon am Ohr und mit angespanntem Gesichtsausdruck schien er in eine Argumentation vertieft, doch er unterbrach das Gespräch und sprang auf, kaum, dass er ihrer ansichtig wurde. Der Frühstücksraum war ungefährliches Terrain, die Bezahlfrage stellte sich nicht und sie würde in spätestens einer guten Stunde unterwegs sein. Leichten Gemütes nahm sie seine Bitte, ihm beim Frühstück Gesellschaft zu leisten, an. Entgegen ihrer ursprünglichen Absicht nach einem schnellen Kaffee und einem Brötchen auf die Hand, dehnte sie ihr Frühstück zu einer mehr als ausgiebigen Plünderung des Büffets aus.
„Woher wussten Sie, dass Sie nicht umsonst warten?“, fragte sie schließlich.
„Sie würden wohl kaum ohne Ihr Motorrad abreisen. Das stand unverändert an seinem Platz. Ich habe nachgesehen.“ Er wirkte verlegen und sie begann zu schmunzeln, versteckte es aber gleich hinter ihrer Serviette. Ihrem Einwand kam er zuvor.
„Ihre Anwesenheit war das Risiko, umsonst zu warten, allemal wert, genauso wie die Geduld.“
Jetzt wich sie doch seinem Blick aus und faltete übertrieben sorgfältig ihre Serviette zusammen. „Danke“, fiel ihr verspätet ein.
„Ich danke Ihnen“, betonte er eindringlich und verwirrt sah sie auf.
„Wofür?“
„Ich bin beruflich sehr oft auf Reisen. Glauben Sie mir, ein Abend in solch angenehmer Gesellschaft wie der Ihren ist eine Sternstunde und eine Fortsetzung am Frühstückstisch fast zu schön, um wahr zu sein.“
Sie spürte, wie ihre Wangen zu brennen begannen, aber sie hielt am Tisch aus, gesenkten Blickes. Erst, als sie sich sicher war, nicht doch dem übermächtigen Wunsch nach Flucht nachzugeben, sah sie ihn an. Mit liebevollem und nahezu väterlichem Lächeln beobachtete er ihren Kampf um Fassung. ‚Väterlich?’ Mit sichtlichem Ruck und aufsteigender Irritation warf sie ihre Serviette auf den Teller und erhob sich nun doch. „Was das anbetrifft, ich muss los.“ Sie haschte nach ihrem Zimmerschlüssel, der auf dem Tisch lag.
„Nach …“, er zögerte, „… Hause?“ Ohne Hast erhob er sich ebenfalls und zeigte allenfalls mildes Interesse.
Ihr Magen schickte ein warnendes Tingeln durch ihren Körper und sie nickte nur. „Und Sie?“
„Berlin und anschließend Hamburg. Die andere Richtung.“ Sein Tonfall war leicht und irgendwie beruhigend und sie lachte.
„Oh, ich fahre nicht direkt, es gibt hier einige nette Treffs, die einen Stopp wert sind.“ Und ungefährlich, weil dort genügend Menschen sein würden.
Ihm voraus ging sie in die Lobby und zögerte am Fuß der Treppe. Sie wollte nicht unhöflich sein und ohne Abschied gehen, aber sie wusste auch nicht recht, was er als Abschied erwartete. Reichte ein unverbindlicher Gruß? Sie sah zurück, aber er bedeutete ihr, dass er auf sie warten würde. Kurz darauf stand sie neben ihm, komplett in Kombi, Tankrucksack und Helm in der Linken, ihre Kreditkarte in der Rechten, am Tresen des Empfangs.
Die Rezeptionistin schüttelte den Kopf. „Ist bereits erledigt.“
Verärgert schob Charly die Karte in die Tasche und angelte stattdessen einen zerknautschten grünen Schein hervor, den sie ihm unmissverständlich auffordernd entgegenhielt.
„Denken Sie beim Tanken an mich“, lächelte er und hob eine elegante Laptoptasche vom Boden auf. Mit einem freundlichen Gruß zu der Frau hinterm Tresen, die mit sichtlichem Unbehagen die Situation beobachtete, drehte er auf dem Absatz um und verhinderte so, dass Charly ihm effektvoll das Geld vor die Füße werfen konnte. Mit wenigen schnellen Schritten holte sie ihn ein und wollte ihm gerade den Schein recht unzeremoniell in die Hand drücken, als äußerst unpassend sein Handy klingelte.
Sie verpasste ihm einen Seitenblick der Kategorie ‚den Trick kenne ich’ und ging weiter zu ihrem Motorrad. Er war stehen geblieben und sie konnte ihn nicht mehr sehen, aber undeutlich hören. Sie spitzte die Ohren. Worte konnte sie keine unterscheiden, aber seine Stimme wechselte zwischen langmütiger Geduld und kompromissloser Argumentation. Sie war bereit, sich in den Sattel der Monster zu schwingen, als ihr die Gelegenheit bewusst wurde. Vorsichtig den Schein, den sie ärgerlich achtlos in den Tankrucksack gestopft hatte, glättend, ging sie zu seinem Wagen. Den Scheibenwischer bereits gelüpft, zögerte sie. Dienstreisen seien einsam, hatte er gesagt. Langsam ging sie zurück zu ihrem Motorrad. Sie suchte und fand einen Zettel und einen Stift, und im Portemonnaie noch einen Fünfziger.
Nach drei Zeilen wickelte sie Papier und Geld zusammen und platzierte beides gut sichtbar. Mit einem Blick aufs Kennzeichen des Wagens tippte sie die Kombination in ihr Handy und schickte die Nachricht an ihren Vater. ‚Bin gespannt, ob er was herausbekommt’, schmunzelte sie.
Der Fremde telefonierte noch immer. Eilig nun zog sie den Helm über die Ohren, saß auf und startete die Maschine. Im Losfahren sah sie, wie er mit enttäuschtem Gesichtsausdruck neben dem Geländer auftauchte und hob kurz grüßend die Linke vom Lenker.
Wenige Straßenzüge später war alles vergessen. Vor ihr lagen kleine, kurvige Landstraßen bei bestem Motorradwetter.
***
Der Umweg nach Stiege und anschließend sogar noch rauf nach Torfhaus war ein Muss, das sich gelohnt hatte. Selten war ihr so viel Aufmerksamkeit zuteil geworden. Sie nahm die Linke vom Lenker, grüßte einen entgegenkommenden Motorradfahrer und klopfte seitlich an den Tank der Monster. ‚Den Großteil verdanke ich dir’, dachte sie liebevoll an ihr Motorrad gerichtet. ‚Erstaunlich, wie schnell man in Kategorien verschwindet. Letztes Jahr war es die Anfänger-Kategorie. Nichts war ich weniger als das. Aber kaum einer hat es bemerkt, weil sie mich übersehen haben. Bis sie das Nachsehen hatten, im wahrsten Sinne des Wortes.’ Sie lachte unwillkürlich. ‚Jetzt bin ich aufgestiegen und werde gesehen. Prompt hagelt es Respekt, Zweifel, Neid und Missgunst. Immerhin alles selbst verdient. Finanziell und fahrtechnisch.’
Stolz durchrieselte sie.
‚Das ‚Spiel’ hat mit der Kleinen immer Spaß gemacht, aber mit dir ist es unvergleichlich. Auch da merke ich die Unterschiede. Sie wurde nie ernst genommen, heute haben mir mehr Opfer Paroli geboten als sonst. Oder es zumindest versucht. Das Wasser reichen konnte mir keiner.’ Noch immer schmunzelnd nahm sie das Gas weg, weil sie auf einen dahindümpelnden Sportwagen auflief. Das Überholen war hier verboten und im Allgemeinen achtete sie die Verkehrsregeln. Es war auch nicht mehr weit bis zum Abzweig.
Insgeheim hatte sie gehofft, den Fremden doch noch einmal zu treffen, hatte an beiden Treffs die Parkplätze der Autos kontrolliert, bevor sie gefahren war. ‚Na, vielleicht kann Dad mir da Infos beschaffen.’
Allmählich drang die Umgebung stärker in ihr Bewusstsein, das Spiel der Sonnenstrahlen und Schatten auf der Straße, das Grün der Buchen über ihr und das unverwechselbare niedertourige Schnurren ihrer Monster, das vom satten Klang des Wagens vor ihr fast überlagert wurde. ‚Schöner Sound’, bemerkte sie. ‚Ist das etwa der Porsche von der Ampel gestern? Die Farbe jedenfalls kommt hin und ist selten.’ Nur der gelangweilte Fahrstil passte nicht so recht. ‚Komm Junge, fahr zu, ich muss aufs Klo’, dachte sie und rutschte näher an den Tank.
Sie setzte den Blinker und bog ab ins Dorf. Wenig später schloss sie die Haustür auf. Sie hatte kaum Helm und Tankrucksack auf dem Sideboard deponiert, als das Telefon zu läuten begann. „Du musst jetzt warten“, sagte sie und verschwand hastig im Bad.
***
Gereon freute sich auf zu Hause. Er war platt. Weniger vom Umzug denn von der durchzechten Nacht. In der Schikane fiel ihm sein Verbremser vom Vortag ein. Kurz darauf tauchte ein Motorrad hinter ihm auf. ‚Wieso überholt der nicht? Ich bin wirklich nicht schnell unterwegs. Ach ja, Überholverbot. Na, der nimmt das aber genau.’
‚Moment, ist das nicht die Monster von gestern?’ Noch ehe er alle Implikationen dieser Feststellung begriff, bog das Motorrad ab. Die Straße hinter ihm war leer. Gereon trat auf die Bremse und wendete.
Filmreif.
Sekunden später bog auch er ins Dorf. Es gab nur eine einzige, kurvige Straße. Still und leer. Am Ortsausgang konnte er sie bis zu seinem Heimatort überblicken. Genauso leer. Er wendete wieder, langsam diesmal. Im Schritttempo fuhr er die Dorfstraße entlang und spähte in die Einfahrten. Die Monster war verschwunden.
***
Nur wenige Minuten später schloss sich langsam das Rolltor hinter seinem Porsche.