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Die Vision des Sohnes: von Troja nach Ägypten (336–331 v. Chr.)

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Auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt, wurde Philipp an dem Tag, an dem er im Theater von Aigai die Hochzeit seiner Tochter Kleopatra feierte, von einem seiner Leibwächter und ehemaligen Liebhaber ermordet. Angeblich bestand das Motiv des Mörders darin, dass Philipp es versäumt hatte, jene zu bestrafen, die den Leibwächter während eines der üblichen Trinkgelage bei Hof vergewaltigt hatten. Nur wenige Minuten vor dem Mord waren in einer Prozession Bildnisse der Zwölf Götter ins Theater getragen worden, und dazu ein dreizehntes Bildnis, nämlich das von Philipp selbst. Damit stellte Philipp seine weltliche Macht auf eine Stufe mit der göttlichen. In den Augen vieler Griechen war das Anmaßung, Hybris, und Philipps Tod eine göttliche Strafe. Dass er in einem Theater ermordet wurde, kann in der Tat als tragische Ironie gesehen werden: Die Zuschauer gingen gewöhnlich gerade deshalb ins Theater, um sich anzuschauen, wie die Hybris mythischer Helden unverzüglich von den Göttern bestraft wurde. Das Schicksal brachte an jenem Tag im Theater von Aigai vor dem versammelten Publikum genau dieses Schauspiel zur Aufführung. Das wahre Leben eine Nachahmung der Kunst.

Die meisten Zeitgenossen wandten ihre Aufmerksamkeit jedoch anderen Aspekten zu. Hatte Olympias, Philipps entfremdete Gattin und Mutter Alexanders – eine mächtige und leidenschaftliche Frau –, den Mörder zur Tat ermutigt? War Alexander in die Verschwörung verwickelt, die seinen Vater ins Grab und ihn auf den Thron brachte? Hatte für diesen Mord persisches Gold den Besitzer gewechselt, um die Bedrohung einer unmittelbaren Invasion abzuwenden? Gerüchte machten die Runde, aber nichts wurde jemals auch nur annähernd bewiesen. In Athen zeigte sich Demosthenes der Öffentlichkeit in prächtigen Gewändern, um Philipps Tod zu feiern, obwohl er noch den Tod seiner eigenen Tochter betrauerte. Er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass die Zuneigung zu seinem Kind der Liebe zu seinem Vaterland und zur Freiheit, die er sich für Athen erhoffte, in seinen Augen untergeordnet war. Demosthenes’ Freude sollte nicht lange anhalten.

Alexander, mittlerweile 20 Jahre alt, festigte seine Position als König der Makedonen. Zu diesem Zweck musste sein Cousin Amyntas, der Sohn von König Perdikkas, sterben, und Alexander ließ ihn denn auch ermorden. In einer Reihe von Feldzügen schützte der junge König die Grenzen im Norden, besiegte jene, die gedacht hatten, die makedonische Hegemonie hätte ein Ende gefunden, und zerstörte Theben. Im Jahr 336 v. Chr. erneuerte er den Hellenenbund und wurde zu dessen hegemon gewählt, damit er das Werk seines Vaters fortführte. Philipp hatte bereits Truppen nach Kleinasien entsandt. Nun mobilisierte Alexander die Bündnistruppen zu einem Krieg gegen den Großkönig Dareios III.

Im Mai 334 v. Chr. setzte er nach Asien über. Sein erster Halt war Troja, wo er mit einer Reihe von symbolischen Handlungen darauf abzielte, seinen Feldzug mit dem Trojanischen Krieg in Verbindung zu bringen.

Am Grab des Achilles legte er Kränze nieder, nachdem er sich selbst eingeölt und nackt an einem Wettlauf mit seinen Gefährten teilgenommen hatte, wie es der Brauch ist, und äußerte, wie viel Glück Achilles habe, dass er zu Lebzeiten einen treuen Freund [Patroklos] und nach seinem Tod einen großartigen Herold seines Ruhms [Homer] hatte.

Die erklärten Ziele des Feldzugs scheinen die Befreiung der griechischen Städte Kleinasiens sowie Rache für die Zerstörung von Heiligtümern durch die Perser während der Invasion von Griechenland 480/479 v. Chr. gewesen zu sein. Das erste Ziel wurde innerhalb von weniger als zwei Jahren erreicht. Mit dem zweiten Ziel war Alexander – wahrscheinlich mit Absicht – weniger konkret geblieben. Worin eine angemessene Vergeltung bestand, konnte und sollte Auslegungssache sein.

Alexanders erste Schritte nach seinem Sieg in der ersten großen Schlacht am Granikos 334 v. Chr. und der Eroberung von Sardis, der persischen Hauptstadt Kleinasiens, waren mehr oder weniger vorhersehbar (s. Karte 2). Abgesehen von einem strategisch unnötigen, symbolisch jedoch bedeutsamen Umweg nach Gordion – Alexander durchschlug dort den Gordischen Knoten und machte damit deutlich, dass das Erringen der Herrschaft über Asien, was die Lösung des Knotens in Aussicht stellte, eine Sache des Schwertes war –, setzte er seinen Feldzug entlang der Küste fort. Hartnäckig suchte er die direkte Konfrontation mit dem persischen Heer, bis er den Großkönig selbst im Oktober oder November 333 v. Chr. bei Issos besiegte. Es war absehbar, dass Dareios unter diesen Umständen ein Angebot machen würde, um dem Krieg ein Ende zu setzen. Er wollte Alexander alle Gebiete westlich des Euphrats überlassen, doch Alexander lehnte dieses Angebot ab. Auch wenn die Authentizität der Briefe, die angeblich zwischen den beiden Königen ausgetauscht wurden, zweifelhaft ist, scheint Alexander bereits zu diesem Zeitpunkt die Legitimität der Herrschaft des Dareios infrage gestellt zu haben. Auch sein nächster Schritt ist nachvollziehbar: Einer der Schwachpunkte seiner Strategie war es, dass Griechenland und die Ägäis den Manövern der persischen Flotte in der Ägäis schutzlos ausgesetzt waren; daher griff er als nächstes die bedeutendsten persischen Flottenstützpunkte in Phönizien an. Nach siebenmonatiger Belagerung fiel der wertvolle Hafen von Tyros. Die meisten Feldherren hätten jetzt vermutlich den besiegten Feind verfolgt, Alexander aber machte sich Ende des Jahres 332 v. Chr. auf den Weg nach Ägypten. Diese Entscheidung stellt einen bedeutenden Wendepunkt dar.

War der Schritt gerechtfertigt? Es stand zu erwarten, dass eine persische Provinz, die oft gegen die Achämeniden revoltiert hatte, ein einfaches Angriffsziel wäre; und tatsächlich leistete Ägypten keinen Widerstand. Ebenso ist es plausibel, dass die Soldaten nach zwei Jahren Feldzug, und besonders nach den Entsagungen, die sie während der Belagerungen von Tyros und später von Gaza zu erdulden hatten, ein wenig Erholung nötig hatten. Strategisch bedeutete die Kontrolle über Ägypten, dass der gesamte östliche Mittelmeerraum in Alexanders Händen lag. Was er dann aber in Ägypten unternahm, zeigt, dass er nicht dorthin gekommen war, um seiner Armee eine Auszeit zu verschaffen oder seine Kontrolle über das östliche Mittelmeer zu konsolidieren. In den wenigen Monaten seines Aufenthalts führte Alexander eine Reihe von Maßnahmen durch, die beispielhaft für seine Auffassung von Herrschaft waren und seine weiteren Pläne erahnen ließen. Er übernahm die Titel und Machtbefugnisse des Pharaos; mit seinem Besuch des Ammon-Orakels in der Oase von Siwa schuf er die Grundlage für seine Verehrung als Gott; und er gründete eine neue Stadt, die er nach sich selbst benannte.

In ägyptischen Quellen trägt Alexander die offiziellen Titel des ägyptischen Pharaos; allerdings ist nicht sicher, ob er auch offiziell inthronisiert wurde. Ein eindeutiger Hinweis darauf, wie Alexander sein Reich zu regieren beabsichtigte, war, dass er lokale Traditionen übernahm. Er brachte dem heiligen Stier in Memphis ein Opfer dar, stellte die Macht der Priester wieder her und veranlasste Bauprojekte an den heiligen Stätten von Karnak und Luxor. Daraufhin durchquerte er die Libysche Wüste, um das Heiligtum des Amun (auf Griechisch Ammon) in der Oase von Siwa zu besuchen. Warum aber nahm er das auf sich – es handelte sich immerhin um eine der gefährlichsten Wüsten? War es die Herausforderung, die ihn reizte? Kambyses, der persische Eroberer Ägyptens, war 525 v. Chr. an ihr gescheitert – sein Heer wurde angeblich von einem plötzlichen Sandsturm begraben. Oder wurde Alexander von tiefer Religiosität angetrieben? Suchte er den Rat eines der meistverehrten Orakel, um seine Autorität zu stärken? Die Antworten der Historiker auf diese Fragen fallen unterschiedlich aus, da uns keine verlässlichen Quellen zur Verfügung stehen. Hinsichtlich Alexanders Persönlichkeit und Agieren handelt es sich dabei aber nicht um die einzigen Ungewissheiten. Es ist generell schwierig, auszumachen, welche rationalen, ideologischen oder emotionalen Motive jeweils hinter seinen Entscheidungen standen.

In Siwa wurde Alexander vom Hohepriester auf die einem Pharao angemessene Weise begrüßt: als Sohn des Gottes Amun-Ra. Übersetzt ins Griechische konnte dieser Titel „Sohn des Zeus“ bedeuten, da die Griechen Ammon mit ihrem Zeus identifizierten. Der Hinweis auf eine göttliche Abstammung verlieh Alexander eine Aura, die in den folgenden Jahren eine Weiterentwicklung erfuhr. Er brachte „Ammon, seinem Vater“ Weihungen dar, und die Münzen, die unmittelbar nach seinem Besuch in der Oase geschlagen wurden, zeigen ihn mit den Hörnern des Ammon (s. Abb. 2). Seine Propaganda schlug rasch Kapital aus dem Besuch des Ammonheiligtums.

Abb. 2 Silbertetradrachme von Lysimachos mit Alexander mit Diadem und Ammon-Hörnern. Münzstätte von Lysimacheia, ca. 297–281 v. Chr. Numismatisches Museum Athen.

Das dritte und wichtigste Ereignis während Alexanders Aufenthalt in Ägypten war die Gründung von Alexandria. Eine neue Stadt zu gründen, kann kaum als originelle Idee Alexanders gesehen werden. Die Griechen gründeten Städte, wohin sie auch kamen; das hatten sie seit Jahrhunderten getan. Herakles, Alexanders mythischer Vorfahre, tat auf seinen Wanderungen angeblich drei Dinge: Er vollbrachte Taten, die unmöglich erschienen; er schlief mit Jungfrauen; und er gründete Städte. Zumindest hinsichtlich zweier dieser Aktivitäten folgte Alexander diesem Vorbild. Es war auch keineswegs überraschend, dass die neue Stadt nach ihm benannt wurde. Schon sein Vater hatte zwei Städte gegründet, die seinen Namen trugen: Philippi und Philippopolis. Und bereits 340 v. Chr. hatte Alexander, damals 16 Jahre alt, nach einer erfolgreichen Militärexpedition irgendwo in Thrakien ein Alexandropolis gegründet. Was Alexandria so bedeutsam machte, waren seine Größe und die Aufmerksamkeit, die Alexander der Stadtplanung gewidmet haben soll. Diese Stadt sollte sich als seine dauerhafteste Errungenschaft erweisen.

Alexander war als König der Makedonen und Feldherr des Hellenenbundes nach Ägypten gekommen. Er verließ es als Pharao, ktistes (Gründer) und lebender Gott. Als Pharao war er der absolute Herrscher des ältesten Königreichs, das seine Zeitgenossen kannten. Dieses Königtum unterschied sich in hohem Maß vom makedonischen; es spiegelte 3000 Jahre alte Traditionen wider und entsprach den spezifischen administrativen Anforderungen dieses Lands am Nil. Als Gründer einer Stadt hatte Alexander sich selbst in den Rang der legendären Städtegründer erhoben, die als übermenschliche Figuren griechische Mythen und Legenden bevölkerten und in ihrer jeweiligen Stadt verehrt wurden. Durch seinen Besuch in Siwa verband er sich aufs Engste mit den göttlichen Mächten. Die Reise nach Ägypten brachte auch einen Abschluss: Einem damals kursierenden Gerücht zufolge bestätigte das Orakel in Siwa, dass Alexander den Mörder seines Vaters bestraft hatte. Doch Alexander würde noch etwas Anderes zu Ende bringen: die Bestrafung der Perser für ihre Frevel während der Perserkriege. Das sollte ihm im folgenden Jahr gelingen.

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