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Imperialistische Träumereien (306–281 v. Chr.)
ОглавлениеBeinahe fünf Jahre lang waren Makedonien und das Reich ohne König (310–306 v. Chr.). Nun gab es plötzlich sechs Könige, und es wurden immer mehr. 297 v. Chr. nahm der Herrscher von Bithynien, Zipoites, als erster nichtgriechischer Herrscher in Kleinasien den Königstitel an. Auf Sizilien wurde Agathokles 304 v. Chr., dem Beispiel der Diadochen folgend, zum König ausgerufen. Die Unbestimmthei des Titels „König“ lud seine Träger dazu ein, ihrem jeweiligen Reich so viele Gebiete hinzuzufügen, wie sie konnten. Das suchten sie in einer neuen Phase von Kriegen zu erreichen.
Die denkwürdigste Episode war Demetrios’ Belagerung der Insel Rhodos, eines Verbündeten von Ptolemaios, in den Jahren 305 und 304 v. Chr. Auch wenn es Demetrios nicht gelang, die Hauptstadt einzunehmen, brachte ihm sein Erfindungsreichtum während der Belagerung doch den Spitznamen Poliorketes ein: Seine Ingenieure konstruierten eine bewegliche Belagerungsmaschine, die helepolis. Es handelte sich um eine turmartige Holzkonstruktion, die aus neun Stockwerken bestand, auf Rädern gezogen wurde und mit Brandschutzvorrichtungen und Treppen ausgestattet war; ein langer herausragender Balken lief zu einer kegelförmigen Spitze zu, die mit einem Widderkopf verziert war. Von dem Verkauf ebendieser riesigen Belagerungsmaschinen, die Demetrios’ Ingenieure konstruiert hatten, finanzierten die siegreichen Rhodier zwölf Jahre später ein Kriegsdenkmal: eine 30 Meter hohe Statue ihrer Schutzgottheit Helios, der Sonne. 226 v. Chr. wurde diese Statue, die den rhodischen Hafen beherrschte, durch ein Erdbeben zerstört, doch ihre Berühmtheit als eines der sieben Weltwunder der Antike dauert fort, und ihre Rekonstruktion regt die Fantasie der Kunsthistoriker an. Es ist der Koloss von Rhodos (s. Abb. 4).
Von ihrem militärischen Erfolg ermutigt, erneuerten Antigonos und Demetrios den Hellenenbund – und gaben damit das Ausmaß ihres Ehrgeizes zu erkennen. Als Befehlshaber dieses Bündnisses hatte Alexander die Griechen auf seinem Feldzug nach Asien angeführt. Dass Antigonos und Demetrios den Bund 302 v. Chr. wieder zum Leben erweckten und viele griechische Städte unter ihrer Führung vereinten, offenbart das bewusste Bemühen, Alexanders Position als hegemon der Griechen zu übernehmen. Ihre Entscheidung bestätigt den Verdacht, dass sie zu diesem Zeitpunkt danach strebten, Alexander als alleinige Herrscher des Reiches nachzufolgen. Dies bedeutete natürlich auch, dass sie das Risiko einer direkten Konfrontation mit den vereinten Kräften der anderen Diadochen eingingen. Die Reaktion kam wie erwartet: Seleukos, Lysimachos und Ptolemaios schlossen sich gegen diese „deutliche und gegenwärtige Gefahr“ zusammen.
Abb. 4 Der Koloss von Rhodos, eines der sieben Weltwunder der Antike. Kupferstich von Philip Galle (1537–1612) nach Maarten van Heemskerck (1498–1574). The Nelson-Atkins Museum of Art, Kansas City.
Es ist ungewiss, ob die übrigen Diadochen ähnliche Ambitionen wie Antigonos verfolgten, aber für Seleukos ist dies wahrscheinlicher als für die anderen. Nachdem er seine Herrschaft in Mesopotamien und im Osten des Irans gefestigt hatte, hatte auch Seleukos Alexander imitiert und einen Feldzug nach Indien ins Werk gesetzt. Auch wenn es ihm nicht gelang, östlich des Indus dauerhaft seine Herrschaft zu etablieren, war sein Feldzug von unmittelbarer militärischer Bedeutung und hatte indirekt auch ideologische und kulturelle Konsequenzen. Er brachte ihn mit einem Königreich in Kontakt, das in der Folge von Alexanders Feldzügen entstanden war. Chandragupta (bei den Griechen Sandrokottos), ein Abenteurer und Militärführer, hatte sich mithilfe seiner militärischen Schlagkraft politische Macht verschafft, das Mauryakönigreich in der Ganges-Ebene gegründet und seinen Herrschaftsbereich allmählich vom Ganges bis zum Indus ausgedehnt. Seleukos gelang es nicht, ihn zu besiegen, aber Chandragupta unterzeichnete 303 v. Chr. ein Abkommen, in dem Seleukos ihm alle Gebiete zwischen dem Paropamisos und dem Indus zugestand, im Gegenzug für die Anerkennung seiner Oberhoheit und für 500 Kriegselefanten – eine mächtige Waffe, die Seleukos einen unerwarteten militärischen Vorteil gegenüber seinen Gegnern verschaffte. Auf ideologischer Ebene machte ihn dieser Feldzug zum neuen Alexander. Seine Leistung sollte ein Jahrhundert später von seinem Nachkommen Antiochos III. imitiert werden (s. S. 192). Das Abkommen hatte unvorhersehbare kulturelle Auswirkungen: Seleukos’ Abgesandter Megasthenes verfasste einen Bericht über seine Reisen und die Organisation des Maurya-Hofes – eine unserer wichtigsten Quellen für die Frühgeschichte Indiens. Da Seleukos durch seine Kriegselefanten Verstärkung bekommen hatte und seine östlichen Grenzen abgesichert waren, zog er nun nach Kleinasien und vereinigte sich dort mit Lysimachos.
Die entscheidende Schlacht fand 301 v. Chr. bei Ipsos in Phrygien statt. Als Anführer der Kavallerie imitierte Demetrios Alexanders gewagte Angriffsmanöver und besiegte die ihm direkt gegenüberstehende Frontlinie. Doch beging er einen fatalen Fehler: Er verfolgte die fliehenden Feinde, ohne die Lücke zu bemerken, die er in der Armee seines Vaters hinterließ. Seleukos nutzte diese Gelegenheit. Er drang mit seinen Elefanten in diese Lücke ein und besiegte Antigonos’ Truppen. Der 81-jährige König fiel in der Schlacht, wobei er bis zuletzt darauf gehofft hatte, dass sein Sohn ihn noch rechtzeitig retten würde.
Demetrios blieb ein mächtiger Akteur; er kontrollierte einige Küstenstädte in Kleinasien sowie die Insel Zypern und die wichtigen Flottenstützpunkte Tyros und Sidon. Es war auch abzusehen, dass die siegreiche Allianz unmittelbar nach dem Sieg auseinanderbrechen würde. Und tatsächlich gewann Lysimachos große Gebiete in Kleinasien für sich, womit er Seleukos’ Hoffnungen auf eine Expansion nach Westen zunichtemachte. Ptolemaios, der bei der Schlacht nicht anwesend war, hatte die Gelegenheit genutzt und Koilesyrien (das sogenannte hohle Syrien) erobert, das in etwa dem heutigen Südsyrien, Libanon und Palästina entspricht – ein Gebiet, dessen Kontrolle in den folgenden 100 Jahren mehrmals umkämpft wurde: in sechs sogenannten Syrischen Kriegen zwischen den Nachkommen des Ptolemaios und denen des Seleukos. Als Ptolemaios’ Tochter Arsinoë, eine intelligente und ehrgeizige Frau, Lysimachos heiratete, erkannte Seleukos, dass seine Rivalen seinen Ambitionen Einhalt boten. Es kam zu einem neuen renversement des alliances. Nur zwei Jahre nach der Schlacht bei Ipsos ging Demetrios ein Bündnis mit Seleukos ein, das sich als ebenso kurzlebig erweisen sollte wie all die vorangegangenen. Doch vorerst konnte Demetrios zumindest darauf zählen, dass Seleukos seine Bemühungen, seine Macht zu vergrößern, tolerieren würde.
Demetrios hatte viele Vorteile auf seiner Seite: Er war immer noch jung, berühmt wegen seiner Innovationen bei der Belagerung von Rhodos und bewundert als einer der schönsten Männer seiner Zeit; dazu war er gerissen, skrupellos und ehrgeizig. Sein Nachteil lag darin, dass er im Gegensatz zu seinen Rivalen kein geographisch zusammenhängendes Gebiet kontrollierte. Es sollte sich bald eine Gelegenheit ergeben, dahingehend Abhilfe zu schaffen – er gewann Makedonien für sich, das Vaterland aller Diadochen: Kassander, der sich als König in Makedonien etabliert hatte, starb 298/297 v. Chr.; sein Sohn, Philipp IV., verstarb nur ein Jahr später, und seine zwei jüngeren Brüder, Antipatros und Alexandros, kämpften nun um den Thron. Während Demetrios auf den richtigen Moment wartete, um zuzuschlagen, erweiterte er seine Macht in Griechenland und bereitete sein Comeback vor.
Um seine Pläne zu verwirklichen, musste Demetrios unbedingt die Kontrolle über Athen erlangen, einen traditionellen Anführer der griechischen poleis. Athen war die Stadt, in der er und sein Vater ihren ersten großen Erfolg errungen hatten und in der ihnen Ehren zuteilwurden, die sie mit lokalen Heroen gleichsetzten; es war aber auch die Stadt, die ihn nach Ipsos verraten hatte. Im Frühling 295 v. Chr. eroberte Demetrios Athen, aber anstatt die Athener zu bestrafen, versprach er ihnen eine reiche Getreidespende. In der Zwischenzeit erreichte der dynastische Konflikt in Makedonien seinen Höhepunkt. Einer der Thronanwärter, Alexandros, beging einen fatalen Fehler: Er bat Demetrios um Hilfe. Demetrios sah dies als Einladung des Schicksals selbst und nahm sie nur allzu gern an. Er sorgte dafür, dass Alexandros ermordet wurde, und inszenierte seine eigene Ausrufung zum König durch das Heer im Herbst 294 v. Chr. Auf dem Höhepunkt seiner Macht angekommen, inszenierte er seine Herrschaft weiterhin als Schauspiel – und vergaß dabei, dass jede Tragödie mit der Bestrafung von Hybris endet.
291 v. Chr. heiratete Demetrios Lanassa, angeblich eine der schönsten Frauen ihrer Zeit. Unmittelbar nach der Hochzeit reiste er nach Athen, wobei er seine Ankunft in der Stadt mit der Feier der Eleusinischen Mysterien zusammenfallen ließ. Die Athener feierten seine Ankunft als das Erscheinen eines neuen Gottes, sie verbrannten Weihrauch auf den Altären, sie bekränzten Statuen und Altäre, sie brachten Trankopfer dar, sie tanzten auf den Straßen und sangen einen Hymnos, der Demetrios’ weltliche Macht mit jener der Götter gleichsetzte (s. S. 134f.).
Er ist hier voller Freude, wie es sich für einen Gott geziemt, schön und lachend. Feierlich ist seine Erscheinung, all seine Freunde im Kreis um ihn und er in ihrer Mitte, als wären seine Freunde Sterne und er die Sonne. Heil dir, Kind des mächtigsten Poseidon und der Aphrodite! Denn andere Götter sind entweder weit entfernt, oder sie haben keine Ohren, oder sie existieren nicht, oder sie schenken uns keine Beachtung, doch dich sehen wir hier anwesend, nicht aus Holz oder Stein, sondern echt.
Demetrios imitierte Dionysos und tauschte die Symbole königlicher Macht gegen dionysische Kleidung, Efeukranz und Fenchelstängel (thyrsos) ein. Um diese Zeit ordnete er die Anfertigung eines Mantels an (er wurde nie vollendet), der die Sterne und den Tierkreis abbilden sollte, eine Anspielung auf die Kontrolle über den Jahreszyklus, die Kontrolle über die Jahreszeiten und die Kontrolle über die Zeit selbst. In seiner Propaganda erschien Demetrios inmitten seiner Freunde als von den Sternen umgebene Sonne. Dem Beispiel Alexanders und der anderen Diadochen folgend, gründete er in Thessalien eine neue Stadt, Demetrias, an einer für seine Flotte strategisch günstigen Stelle gelegen – an den Verkehrsrouten, die vom griechischen Festland durch die Ägäis nach Kleinasien und darüber hinausreichten: an der Südküste des Golfs von Pagasai gegenüber von Iolkos auf der Nordseite, wo im Mythos die Argonauten lossegelten. Es ist ein Zeichen seines militärischen Genies, dass er die Wichtigkeit einer Flotte und sicherer Häfen für die Erhaltung seiner Herrschaft erkannte; die meisten der Diadochen folgten seinem Beispiel und betrieben eine Flottenpolitik. Es ist kein Zufall, dass die Athener Demetrios in ihrem Hymnos als Sohn des Poseidon bezeichneten. Aus Demetrios’ Handlungen lässt sich schließen, dass sein Ziel darin bestand, seinen Machtbereich über Makedonien hinaus zu erweitern, zunächst in Griechenland und dann jenseits der Ägäis.
Als Antwort auf die Bitten der Athener, die unter den Angriffen ätolischer Piraten litten, führte Demetrios einen Krieg gegen den Ätolischen Bund. Die Ätoler waren eine wachsende Macht in Westgriechenland und kontrollierten mit Delphi auch eines der bedeutendsten Heiligtümer Griechenlands. Dieser Krieg gab Demetrios die Gelegenheit, zu beweisen, dass seine Absichten, die Griechen zu beschützen, aufrichtig waren. Ihm gelang es jedoch nicht, die Ätoler zu besiegen, und so musste er 289 v. Chr. mit ihnen ein Abkommen schließen. Sein Stern sank so schnell, wie er aufgegangen war. Sein Verhängnis erschien in der Person eines anderen Abenteurers, dessen unzählige Schicksalswendungen denen des Demetrios nicht unähnlich waren: Pyrrhus von Epirus (s. Abb. 5).
Pyrrhus war ein Mitglied der Königsfamilie, die über die Molosser herrschte, einen griechischen Stamm in Epirus in Nordwestgriechenland, und als solcher war er ein entfernter Verwandter von Alexander dem Großen, dessen Mutter eine molossische Prinzessin gewesen war. Er bestieg den Thron 306 v. Chr., als er zwölf oder 13 Jahre alt war, musste jedoch aufgrund von dynastischen Konflikten bald ins Exil gehen. 302 suchte er Zuflucht am Hof von Demetrios. 298 wurde er als Geisel zu Ptolemaios gesandt. Er kehrte 297 als König nach Epirus zurück und suchte, inspiriert von Alexanders Erfolg, seine Macht zu vergrößern. Beinahe 30 Jahre nach Alexanders Tod erschien Pyrrhus seinen Zeitgenossen als ein neuer Alexander, wie Plutarch beteuert:
Viele der Makedonen fühlten sich bewogen zu sagen, dass sie in ihm allein von allen Königen ein Abbild des Wagemuts des großen Alexanders sehen konnten; wohingegen sich die anderen, und besonders Demetrios, Alexanders Größe und Majestät nur anmaßten, wie Schauspieler auf einer Bühne.
Als Demetrios 288 v. Chr. einen großen Feldzug zur Rückeroberung Kleinasiens vorbereitete, angeblich mit einer Infanterie von 98.000 Mann, 12.000 Reitern und 500 Schiffen, schlossen Pyrrhus, Lysimachos, Ptolemaios und Seleukos ein weiteres opportunistisches Bündnis, um ihn aufzuhalten. Pyrrhus marschierte von Westen in Makedonien ein und Lysimachos von Osten, was bei Demetrios’ Truppen Angst und Wut aufkommen ließ und viele Soldaten zum Desertieren veranlasste. Bevor eine Entscheidungsschlacht gegen Pyrrhus stattfinden konnte, drängten einige Soldaten Demetrios dazu, den Thron und Makedonien aufzugeben. Und das tat er. Kavafis fängt in seinem von Plutarchs Bericht inspirierten Gedicht „König Demetrios“ die Stimmung ein:
Er zog seine goldenen Gewänder aus,
warf seine purpurnen Stiefel fort,
zog sich schnell einfache Kleidung an
und stahl sich davon.
Genauso wie ein Schauspieler, der,
wenn das Stück vorüber ist,
seine Kleidung wechselt und geht …
Es war der Anfang vom Ende eines Königs, dessen Lebensgeschichte immer noch auf einen Filmproduzenten wartet. Obwohl er sich Angriffen von Ptolemaios in Griechenland, der Ägäis und Phönizien ausgesetzt sah und große Teile seiner Armee sowie zwei seiner wertvollsten Besitzungen, die Häfen von Sidon und Tyros, verloren hatte, versuchte Demetrios weiterhin, Kleinasien zu besetzen, doch der Feldzug war ein Misserfolg. In Kilikien im Süden Kleinasiens wurde er zum Rückzug gezwungen und musste über das Tauros-Gebirge Seleukos’ Reich betreten. Dort saß er in der Falle. Da er das Meer nicht erreichen konnte, entschied er sich 285 v. Chr. dazu, zu kapitulieren und sich Seleukos zu ergeben. Wie seinem Vater so war es auch Demetrios nicht gelungen, ein Reich zu schaffen, das in seinem Ausmaß dem Alexanders vergleichbar gewesen wäre. Er starb zwei Jahre später als Gefangener von Seleukos.
Man muss keine hellseherischen Fähigkeiten besitzen, um vorherzusagen, was als nächstes passierte: Das Ad-hoc-Bündnis von Demetrios’ Gegnern zerbrach, und zwei Diadochen, Lysimachos und Seleukos, bemühten sich, das zu erreichen, was Demetrios nicht gelungen war. Lysimachos verjagte seinen Juniorpartner, Pyrrhus, aus Makedonien und wurde so der alleinige König der Makedonen; er hatte nun nicht nur Thrakien, sondern auch den Großteil Kleinasiens in seinem Besitz. Seleukos wiederum kontrollierte die meisten von Alexanders Besitztümern im Osten. Ein Showdown zwischen den beiden alten Königen, den einzigen Überlebenden von Alexanders Generation, nachdem Ptolemaios I. 283/282 v. Chr. gestorben war, war nur eine Frage der Zeit.
Wie so oft in dieser Epoche lösten ehrgeizige Frauen und dynastische Konflikte den Krieg aus. Lysimachos’ letzte Frau war Arsinoë, die Tochter von Ptolemaios I.; sie war 45 Jahre jünger als ihr Mann und sollte sich als die einflussreichste Frau der hellenistischen Geschichte vor Kleopatra erweisen. Arsinoë wandte sich gegen Agathokles, Lysimachos’ ältesten Sohn und Statthalter von Kleinasien. Sie realisierte vermutlich, dass ihre eigenen Kinder nur dann einen Anspruch auf den Thron haben würden, wenn sie Agathokles aus dem Weg räumte. Sie ließ Lysimachos glauben, dass sein Sohn beabsichtige, ihn zu vergiften, und so ließ der Vater den Sohn 283 v. Chr. ermorden. Agathokles’ Anhänger flohen zu Seleukos, unter ihnen befand sich auch Ptolemaios Keraunos (der Blitz). Keraunos war der älteste Sohn von Ptolemaios I. und damit Arsinoës Halbbruder. Er war 285 v. Chr. zu Lysimachos geflohen, als sein Vater beschlossen hatte, einen Sohn von einer anderen Frau zu seinem Nachfolger zu ernennen. Seleukos, nun beinahe 80 Jahre alt, witterte eine Chance, sein Reich nach Westen zu erweitern – er musste nur vorschützen, Agathokles’ Tod rächen zu wollen.
Abb. 5 Pyrrhus von Epirus: moderner Abguss eines Marmorporträtkopfes aus römischer Zeit; dieser war wiederum eine Kopie eines Originals aus dem späten 3. Jahrhundert v. Chr. Archäologisches Museum Ioannina. Ephorat für Antiquitäten von Ioannina.
Lysimachos befand sich nun in einer schwierigen Lage. Erstens waren die Nordgrenzen seines Reiches permanent von der Invasion durch Barbarenstämme bedroht. Zweitens sah er sich in Kleinasien mit einem durch den Mord an Agathokles verursachten Aufstand konfrontiert; in Pergamon, einer bedeutenden Festung in Nordwestkleinasien, rebellierte der Kommandant Philetairos. Und nun drang auch noch Seleukos in seine Besitztümer in Kleinasien ein. Beinahe sein ganzes Leben lang hatte Seleukos seine Aufmerksamkeit dem Osten gewidmet. Nachdem er zweimal nach Indien gezogen war und seinen Sohn Antiochos I. 293 v. Chr. zum Regenten der östlichen Teile seines Königsreichs ernannt hatte, bot sich ihm nun, an seinem Lebensabend, die Gelegenheit, in sein makedonisches Vaterland zurückzukehren, das er nicht mehr gesehen hatte, seit er es über 50 Jahre zuvor als junger Offizier verlassen hatte, um Alexander zu folgen. Die beiden Könige trafen 281 v. Chr. in Kouroupedion in Phrygien aufeinander.
Lysimachos fiel in der Schlacht, was Seleukos die Möglichkeit eröffnete, den Traum zu realisieren, den alle Diadochen einmal geträumt hatten: ein möglichst großes Gebiet von Alexanders Reich, von Makedonien bis zum Iran, wiederzuvereinigen. Doch hatte er die Lektion der letzten 40 Jahre nicht gelernt: Traue niemals einem Verbündeten, wenn der gemeinsame Feind erst besiegt ist. Ptolemaios Keraunos ermordete Seleukos im September 281 v. Chr. in Lysimacheia, der Hauptstadt von Thrakien, und heiratete Lysimachos’ Witwe, seine eigene Halbschwester Arsinoë, mit dem Versprechen, das Leben ihrer Kinder zu verschonen. Auf diese Weise gelang es ihm, sich selbst zum König zu erklären, der über Makedonien und Thrakien herrschte. Kaum war diese Mission erfüllt, ließ er zwei von Arsinoës Söhnen ermorden (dem ältesten gelang die Flucht), was Arsinoë selbst zur Rückkehr nach Ägypten zwang. Dort erwartete ihr Bruder Ptolemaios II. sie mit offenen Armen – er wurde ihr dritter und letzter Gemahl, und zusammen sollten sie das ägyptische Ptolemäerreich konsolidieren.