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Vom Galgen zum Altar

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Im selben Jahr 1012 wurde ein irischer Wanderprediger in Stockerau festgenommen und hingerichtet. Der fromme Pater Deppisch fasste die Legenden um den Heiligen Koloman im Jahre 1743 zusammen:

»Als die Stockerauer den heiligen Koloman auf ihrem Grund und Boden umhergehen sahen und aus seiner fremden Sprache und unbekannten Kleidung eigentlich nicht wussten, wer er wäre oder aus welchen Ursachen er hergekommen, gerieten sie, wiewohl ganz fälschlich und zu Unrecht, auf den Gedanken, er wäre entweder von den Böhmen oder aber von den Ungarn hierher abgeordnet worden, ihre Gegend auszuspähen und schädliche Anschläge wider sie auszuführen. Da ergrimmte der törichte und rasende Pöbel derart wider den heiligen Koloman als einen vermeintlichen Spion und Verräter des Vaterlands, dass sie ohne weitere Untersuchung ihn mit Gewalt ergriffen, mit Besen grausam schlugen und darauf ins Gefängnis warfen, in der Meinung, ihn am folgenden Tag den Ortsrichtern öffentlich vorzustellen … Also wurde der heilige Mann aus dem Gefängnis, in welches er tags zuvor gesetzt worden, vor das wider ihn rasende Volk geführt und dem öffentlichen Gericht vorgestellt. Der Richter, Wollkerstorffer geheißen, fragte alsdann den heiligen Koloman, warum er hergekommen und was die Ursache und Absicht seiner Reise wäre? Unser heiliger Pilger gab hierauf seine Bescheidenheit, die er im Gemüt hegte, durch Rede, Angesicht und Gebärden dem Richter und allen Anwesenden zu erkennen und erklärte ihnen mit aller Wahrheit das Ziel und Ende seiner vorgesehenen Reise: Dass er nämlich durch Österreich nach Jerusalem zu wallfahrten gesonnen wäre; er konnte auch, als seine Verantwortung bei den Zuhörern keinen Glauben finden wollte, auf keine Weise bewogen werden, etwas anderes zu bekennen und auszusagen … Ungeachtet aller vom heiligen Koloman vorgebrachten Entschuldigungen und beteuerten Unschuld befahl dennoch der Richter, ihn mit entsetzlichen Streichen zu schlagen, in der Hoffnung, wenigstens durch die Heftigkeit der Schmerzen das Bekenntnis, falls er doch in der Tat ein Landesverräter wäre, aus ihm zu erzwingen. Und da auch diese scharfe Züchtigung bei dem heiligen Mann nicht vermochte, ihn von seiner einmal getanen Aussage abzubringen, wurden hierauf viele andere heftige Torturen und Peinigungen an ihm versucht … Endlich, als die Peiniger des heiligen Mannes unüberwindliche Standhaftigkeit gesehen, haben sie ihn nebst zwei Mördern auf einem lange Zeit abgedorrten Baum aufgehängt.«

Sein Körper verweste nicht und wurde nicht von wilden Tieren gefressen, seine Haare und Nägel wuchsen weiter, der verdorrte Hollerbusch begann zu grünen und zu blühen, alles bekannte Zeichen von Heiligkeit. Als ein gewisser Rumaldus träumte, ein Stück Fleisch des Gehängten würde seinen Sohn vom Podagra heilen, ließ er sich dieses besorgen. Zum Schrecken des Boten begann die Schnittstelle sofort zu bluten, trotzdem brachte er dem Rumaldus das Gewünschte. Natürlich wurde der Kranke nach dreimaligem Bestreichen damit gesund. Als der glückliche Rumaldus mit etlichen Reisegefährten den Leichnam aufsuchte, war an der Schnittstelle wunderbarerweise keine Wunde mehr zu sehen. Damit war klar, dass es sich bei dem Gehängten um einen heiligen Mann handeln musste. Sofort wurde der Leichnam vom Baum abgenommen und bei einer kleinen Kirche in den Donauauen beigesetzt. Bei der nächsten Überschwemmung blieb das Grab verschont, obwohl die Kirche tief im Wasser stand. Das verursachte solches Aufsehen, dass Markgraf Heinrich I. († 1018) davon erfuhr. Er schickte eine Kommission aus. »Da nun die von ihm Abgesandten beim Grab des heiligen Koloman angelangt, fühlten sie, bevor sie es zu öffnen begannen, einen so seltsamen und ungewöhnlichen Geruch, dass alle, die zugegen waren, vor Freuden geweint haben. Hierauf sahen sie den heiligen Leichnam also frisch und unverwest, als ob er am selben Tage beerdigt worden wäre. Der in kostbare, dazu vorbereitete Leinwand und Tücher eingewickelte Leichnam wurde folgenden Tages in aller Frühe von geistlichen Personen unter Begleitung Markgraf Heinrichs, des Eichstädtischen Bischofs Meginaud und der übrigen Landesklerisei, wie auch der vornehmsten Ritter in Österreich samt einer großen Menge des Volkes von Stockerau hinweggeführt …«

Die Geschichte kam dem Markgrafen sehr gelegen, benötigte er doch für seine Residenz in Melk ganz dringend einen passenden Märtyrer. Kolomans Reliquien gaben vermutlich den Anlass zur Gründung des Stiftes, in dessen Kirche er schließlich beigesetzt wurde. Das gotische Hochgrab ging bei der Barockisierung leider verloren. Der letzte Babenberger Friedrich II. († 1246) erreichte bei Papst Innozenz IV. im Jahre 1244 die Einführung des Kolomanitages, und der Habsburger Rudolf IV. († 1365) plante die Überführung der Reliquien nach Wien (möglicherweise in die Virgilkapelle, deren Ausrichtung dafür spricht). Beide Aktionen sollten bei der Errichtung eines eigenen Wiener Bistums helfen, denn noch hatten die Passauer Bischöfe und ihre Offiziale in Wien das Sagen. Rudolf IV. ließ 1361 den Kolomanistein, über den des Märtyrers Blut geflossen sein soll, am Stefansdom anbringen (heute versteckt hinter dem offenen Torflügel zum Bücherstand). Er zeigt eine Mulde, die durch die fromme Berührung von Seiten unzähliger Gläubiger vergangener Epochen entstanden ist, denn sie konnten dadurch einen Ablass ihrer Sünden erlangen. Koloman blieb Landespatron von Österreich ob und unter der Enns bis 1663, dann wurde er vom heiligen Leopold abgelöst. Eigentlich schade, denn sein Schicksal kann als Warnung vor sinnloser Fremdenfeindlichkeit dienen.

Pilgerfahrten endeten aber nicht alle so schrecklich wie die des unglücklichen Koloman. Der Brauch geht auf die Spätantike zurück, bis ins 10. Jahrhundert blieben die Wallfahrten Einzelunternehmen. Danach gab es immer mehr lange, gut vorbereitete »Gruppenreisen« zu den heiligen Stätten, die schließlich zu einem Massenphänomen wurden. Der mittelalterliche Mensch war – was uns heute immer wieder in Erstaunen versetzt – äußerst mobil, ganz im Sinne der christlichen Definition des Menschen als Wanderer auf der Erde, als homo viator. Jeder Christ wünschte von Herzen, mindestens einmal in seinem Leben die Stadt der Passion Christi zu sehen, Jerusalem war das begehrteste Ziel. Wallfahrten führten aber schon damals auch zu den Apostelgräbern in Rom und Santiago de Compostela, dann kamen noch weitere Ziele dazu, wie Montserrat, Assisi, Altötting, Canterbury, Tschenstochau oder Köln. Die Pilgerwege verbanden ganz Europa, es waren dieselben alten Wege, die streckenweise auch von Händlern, Handwerksburschen und Studenten benutzt wurden, und auf denen Waren, aber auch Neuigkeiten ihren Weg durch ganz Europa fanden und die den Kulturaustausch über alle Sprachgrenzen und Gegensätze hinweg ermöglichten. Etliche Pilger gingen allerdings nicht ganz freiwillig auf ihre Pilgerfahrt, wenn ihnen von der weltlichen oder kirchlichen Obrigkeit eine Sühnefahrt wegen eines eigenen Verbrechens oder stellvertretend wegen des Verbrechens eines Familienmitglieds (siehe S. 75) auferlegt worden war. Da höchstens die Hälfte der Pilger wiederkehrte, konnte man darin ein Gottesurteil sehen.


Der Kolomanistein am Stefansdom wurde von unzähligen Pilgern berührt

Erkennbar waren die Pilger an besonderen Zeichen, beispielsweise der Pilgermuschel der Jakobspilger, die am Hut getragen wurde. Dieses gewährte besonderen rechtlichen Schutz und öffnete Tür und Tor, denn schon die einem Pilger gewährte Gastfreundschaft galt als gottgefälliges Werk. Städte wie Wien beschränkten allerdings das maximale Aufenthaltsrecht der Pilger innerhalb der Stadtgrenzen auf drei Tage, da sich nicht alle durch Frömmigkeit auszeichneten, sondern auch etliche »Pülcher« darunter waren.

Die Tracht10 des Pilgers war solide und wetterfest. Er trug ein paar feste Halbschuhe oder Stiefel, die auch nach langem Gebrauch nicht unbrauchbar werden durften, nach Möglichkeit nahm er noch ein Reservepaar mit. Das Wams war an der Hose befestigt, darüber wurde ein einfacher, meist knielanger tunikaähnlicher Schlupfrock getragen, der mit einem Gürtel zusammengehalten wurde. Ein langer, warmer Mantel aus wasserfestem Loden war wichtig, denn er schützte den Pilger nicht nur vor Kälte und Nässe, sondern diente auch als Decke für die Nacht. Der Hut mit weiter Krempe, auf der das Pilgerabzeichen angebracht war, schützte vor Regen. Der Brotbeutel aus Leder für den Reiseproviant mit Teller, Messer und Trinkbecher wurde mit einem Riemen über der Schulter in Höhe der Taille getragen, dazu kam die Wasserflasche, oft eine Kürbisflasche, und der Pilgerstab aus Holz, möglichst mit einem Haken an seinem Ende. An diesen konnte man Mantel und Flasche hängen, um die Last besser zu verteilen. Natürlich diente er auch als Stütze in unwegsamem Gelände und konnte zum Herunterschlagen von Äpfeln, Birnen und Nüssen oder als Waffe gegen wilde Tiere oder Räuber verwendet werden.

Heiden, Christen, Juden und Muslime

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