Читать книгу Caruso singt nicht mehr / Wasser zu Wein / Nichts als die Wahrheit - Drei Romane in einem Band - Anne Chaplet - Страница 25

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Sie erinnerte sich nicht mehr, was sie aufgeweckt hatte. Aber sie roch es sofort. Sie hörte es. Und sie sah es – als flackernden Widerschein hinter der Gardine. Ihr Herz setzte aus – für ein, zwei Schläge. Mit zitternden Knien und einem ziehenden Schmerz in der Magengrube lief sie im T-Shirt die Treppe hinunter zur Kammer neben der Eingangstür, in der die Arbeitsklamotten hingen und die Gummistiefel, laut nach Rena rufend, die den verstrubbelten Kopf aus ihrem Zimmer streckte und verschlafen »Was ist?« fragte.

»Es brennt«, schrie Anne. »Ruf die Feuerwehr!«

Sie lief in die Küche, riß ein Handtuch aus dem Schrank und hielt es unter das kalte Wasser. Dann rannte sie den gepflasterten Weg vom Wohnhaus hinunter zu den Scheunen und Wirtschaftsgebäuden. Dagobert, der Kettenhund, heulte. Der Rauch und der Widerschein des Feuers kamen ihrer Einschätzung nach von rechts her, vom kleinen Stallgebäude und nicht von der Reithalle mit dem großen Pferdestall, an die sich das Wirtschaftsgebäude mit den Kühlkammern und dem Hofladen anschloß. Anne atmete auf. Das war ein lebenswichtiger Unterschied: zwischen einer Katastrophe und einem Schaden, der, fürchtete sie, noch weh genug tun würde. Im kleinen Pferdestall standen der Ziegenbock und das Hängebauchschwein. Die drei Ponys. Die kranke Stute Hella. Die schöne alte Pferdekutsche, die Anne eigenhändig restauriert hatte. Der Lanz, das völlig funktionstüchtige Museumsstück von altem Trekker, das sie mit dem Hof übernommen hatte. Anne lief schneller. Vielleicht konnte sie wenigstens die Tiere ins Freie lassen.

Die Flammen schlugen aus dem hinteren Teil des Gebäudes, eine rote Flamme tanzte auf dem Dach, Ziegel platzten, Balken krachten. Ein dicker, gelber Geruch stieg ihr in die Nase. Anne rannte zu den Tiergehegen. Sie hörte das aufgeregte Meckern von Kalle, dem Ziegenbock. Als sie das Tor zu den Pferdeställen öffnete, stand den Ponys schon der Schaum vor den Nüstern. Mit rollenden Augen tanzten sie unruhig hin und her. Der Anblick der kreatürlichen Panik schnürte Anne die Kehle zu. Obwohl sie zur Seite gesprungen war, nachdem sie die Stalltüren geöffnet hatte, wurde sie von den Tieren an die Wand gedrückt, als alle gleichzeitig in wilder Flucht ins Freie stoben.

Anne murmelte ein Stoßgebet, als sie die Alarmsirenen hörte – erst die aus Ebersgrund. Dann die aus ferneren Gemeinden. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern.

Sie wickelte sich das nasse Handtuch um Haar, Mund und Nase und befreite Schwein und Ziegenbock. Wie sie die Tiere jemals wiederfinden sollte, die wahnsinnig vor Angst das Weite suchten, war ihr schleierhaft. Aber das war jetzt auch egal. Jetzt noch die Stute, die alte Hella, die im Stall nebenan stand. Das Feuer breitete sich, durch Stroh, Heu und trockenes Gebälk genährt, mit einem hohlen Röhren aus. Wenn die Feuerwehr nicht bald käme, gäbe sie auch für die anderen Gebäude keinen Pfifferling mehr.

Als sie die Stalltür öffnete, nahm ihr der Rauch fast den Atem. Für die alte Hella kam jede Rettung zu spät. Das Tier lag auf der Seite, in der hintersten Ecke des Stalls. Regungslos.

Draußen hörte sie Dagobert heulen. Ihn hätte sie beinahe vergessen. Als sie den Hund von der Kette nahm, hätte er sie fast gebissen. Und dann leckte er ihr wie von Sinnen die Hände. Wie dankbar so ein armes Vieh sein kann, dachte Anne und hatte plötzlich Tränen in den Augen. Als die Feuerwehr um die Ecke bog, stand sie, verschmutzt und fassungslos, in sicherer Distanz vor dem brennenden Stall, zu ihren Füßen der schwarze Kettenhund. Das sonst so aggressive Tier atmete rasselnd und hob kaum den Kopf, als die vielen fremden Leute von der Freiwilligen Feuerwehr angelaufen kamen, die Schläuche zwischen Löschteich und Brandstelle entrollten, die Pumpen anwarfen. Anne verbot sich das Weinen. Und vergoß dann doch ein paar Tränen – vor Erleichterung.

Der Löschteich, sonst Spielplatz des Federviehs, erfüllte endlich seine wahre Funktion. Auch Anne und Rena wurden von dem geübten Löschtrupp in die Arbeit eingebunden. Unter Schutzhelmen und feuerfesten Anzügen erkannte Anne Nachbarn aus Ebersgrund, Streitbach und Waldburg. Eine Frau war dabei – die kleine, stämmige Katja aus Streitbach, ehemalige Städterin auch sie. Sie war im Unterschied zu Anne darauf bedacht, sich den Riten des Landlebens zu unterwerfen, als sei sie hier geboren. Auf die Mitgliedschaft in der Freiwilligen Feuerwehr war sie besonders stolz. Das, hatte sie Anne kürzlich begeistert erzählt, ersetzte mindestens zwanzig Jahre Gemeindezugehörigkeit.

Alle fügten sich den durchdringenden Kommandos eines breitschultrigen Hünen. Doch wahrscheinlich hätte das eingespielte Team auch ohne ihn in jeder Minute gewußt, was zu tun war. Anne merkte verblüfft, wie sehr sie diese gemeinschaftliche Aktion beflügelte; sie verspürte fast eine leichte Euphorie, als sie sah, wie ernst und enthusiastisch zugleich hier alle zusammenarbeiteten. Das gibt es also wirklich, dachte sie bei sich, das berüchtigte Gemeinschaftserlebnis in Zeiten der Not ...

Das Feuer war in beachtlicher Geschwindigkeit gelöscht. Viel war ja auch nicht mehr zu löschen gewesen. Die Männer hatten gerade noch die bereits schmorenden und dampfenden Strohballen aus dem vorderen Teil des Stalls herausziehen und auf den Sandplatz bringen können, auf dem an besseren Tagen Pferde und Kinder unter dem Kommando von Rena das Hürdenspringen übten. Dort kokelten sie nun vor sich hin und trugen ihren Teil bei zu dem widerlichen Geruch, den nasse, verbrannte Balken und Ziegel verströmten. Dann stürzte das Dach ein. Über dem Lanz. Und der Pferdekutsche.

Anne versammelte die freiwilligen Helfer im Hofladen zum abschließenden Brandlöschen mit Bier. Der Brandwache, die den rauchenden Schutthaufen auf neue Feuerherde hin beobachten mußte, brachte Rena die Getränke hinaus.

»Hat’s euch also auch erwischt?« Auf die anteilnehmende Frage von Feuerwehrfrau Katja konnte Anne nur stumm nikken.

»Da hab ich noch viel Schlimmeres gesehen!« dröhnte der Hüne dazwischen, ein Bauer aus Groß-Roda.

»Acht Stück Vieh sind draufgegangen, letzten Monat, als es beim Ziegler in Laufelden brannte.«

»Und wie das stank! Einfach ekelhaft.«

»Ihr meint, ich hätte Glück gehabt?« fragte Anne skeptisch.

»Meinst du nicht?« fragte Katja erstaunt. »Wenn ich der Brandstifter wäre, hätte ich mir gleich den großen Stall und die Reithalle vorgenommen.«

»Der Brandstifter?« fragte Anne zurück.

»Wer sonst?«

Anne schüttelte sprachlos den Kopf. Sie hatte, fiel ihr auf, noch keinen einzigen klaren Gedanken fassen können – weder darüber, wer ihr den Stall angezündet hatte. Noch darüber, wer ihren Mann umgebracht hatte.

Katja legte ihr mitleidig die Hand auf den Oberarm. »Irgendwann finden sie ihn«, sagte sie. Wen, ließ sie offen. »Das wird schon wieder.«

Nach dem Abzug der Löschtrupps überfiel Anne bleischwere Müdigkeit. Sie war seit Stunden auf den Beinen. Aber zum Ausruhen war keine Zeit. Sie mußte den Abdecker bestellen für die tote Stute. Die Brandversicherung benachrichtigen. Mit ihren drei Arbeitern, die betreten vor der rauchenden Ruine standen, den Arbeitstag planen. Einen Kaffee kochen oder eine Suppe aufwärmen.

Rena kam aus dem Gastraum mit einer großen Thermoskanne und fünf Bechern.

Anne umarmte ihre Tochter und küßte sie auf die Stirn. »Muttiii!« machte Rena genervt und entzog sich ihr.

Plötzlich spürte Anne, wie ihr das Blut aus dem Kopf wich und ihre Beine nachgaben. Sie schaffte es gerade noch bis zur Bank vor der Reithalle. Ich will nicht mehr, hämmerte es schmerzend in ihrem Schädel, ich kann nicht mehr.

Sie lehnte sich zurück, legte den Kopf nach hinten und schloß die Augen. Einmal schwach sein dürfen, dachte sie. Einmal sich fallen lassen können. Einmal in den Arm genommen werden ... Dagobert, der ihr nicht mehr von der Seite gewichen war, leckte ihre rechte Hand. Sie streichelte seine weiche Schnauze.

Neben ihr räusperte sich Krysztof, ihr Feldarbeiter. Sie war die Chefin. Sie mußte entscheiden.

Anne seufzte. Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich und öffnete die Augen. »Gleich, Krysztof., sagte sie. »Ich bin gleich wieder an Deck.«

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