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Johanna - Rückschau

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Durch das Eintauchen in meine Erinnerungen, erwachten längst vergessen geglaubte Ereignisse zum Leben. Scheinbar vollkommen banale Kleinigkeiten wurden plötzlich zum Symbol für einen ganzen Lebensabschnitt. Es ist schon einige Jahre her und wir hatten zu einem Osterbrunch Gäste eingeladen. Ich hatte gekocht und gebacken, so dass der Tisch prall gefüllt war mit tollen Leckereien. Die ersten warmen Sonnenstrahlen des Frühlings waren schon zu spüren und es hätte ein schöner Tag sein können. Eines meiner Kinder hatte etwas getan oder gesagt, das seinem Stiefvater nicht passte. Es kann nichts furchtbar Schlimmes gewesen sein, sonst würde ich mich daran erinnern. Aber er hat den ganzen Tag ein beleidigtes Gesicht aufgesetzt. Wenn er etwas sagte, dann nur, um einen blöden Spruch oder etwas Beleidigendes loszuwerden. So lange er sich so benahm, wenn wir alleine waren, konnte ich es verdrängen, mich ablenken oder weggehen. Doch im Beisein der Gäste wurde es wahr, ich sah es in und durch deren Augen. Ich war unglücklich und versteckte mich in der Abstellkammer zum Heulen.

Oder eine andere Situation: Ich unterhielt mich über den Gartenzaun mit einem Nachbarn. Er erzählte mir von seinem Wunsch, eine Frau zu finden und wir spannen Ideen, was für Möglichkeiten es denn gäbe, jemanden kennen zu lernen. Da kam mein Mann dazu, sagte „Hallo“ zum Nachbarn, nahm meine Hand, machte noch einen kleinen Scherz und zog mich dann mit sich ins Haus. Es war nicht die einzige Situation, in der er meine Gespräche auf diese oder ähnliche Weise beendete.

Ich bin immer noch traurig, wenn ich daran zurück denke, weil das Leben so nicht sein sollte. Wie viele Abendessen im Familienkreis habe ich erlebt, die nach dem folgenden Schema abliefen: ich koche, wir setzen uns an den Tisch, eins der Kinder benimmt sich nicht seinen Vorstellungen entsprechend oder sagt etwas, das er für falsch hält, und er reagiert lautstark, als würde man ihn persönlich beleidigen, obwohl es überhaupt nicht um ihn geht. Im besten Fall beenden wir das Essen unter drückendem Schweigen oder er verschwindet hinter der knallenden Tür in seinem Büro.

Wie bricht man aus solchen Mustern aus? Ich konnte mich dessen nicht erwehren und wusste beim besten Willen nicht, wie ich das ändern sollte. Es gab nur Aushalten für mich. An eine Trennung habe ich damals nie gedacht. Es wurde zum Alltag, dass er jederzeit explodieren konnte. Ich hatte jede Menge Erklärungen für seine Ausbrüche. Sein Leben war nicht einfach. Er war freischaffend tätig und hatte ständig Sorgen, genügend Aufträge zu bekommen. Die Beziehung zu seiner Familie, also seinem Elternhaus, war schwierig und belastend. Er war voller Schmerz. Und ich war in gewisser Weise abhängig von ihm. Ich hatte mich vollkommen auf meine Rolle als Ehefrau und Mutter eingelassen. Sie war mein Leben, meine Anerkennung, meine Identität. Was würde von mir übrig bleiben, wenn ich sie nicht mehr hätte?

Während der Trennungsphase hatte er mich oft nach dem „Warum“ gefragt. Er wollte Gründe von mir hören, weshalb ich nicht mehr mit ihm leben wollte. Er meinte, er hätte mir doch nie etwas Böses getan. Er hätte mich nie geschlagen, mich nie betrogen, wir hätten genug Geld und uns gehe es doch gut. Wie sollte ich ihm nur meinen Wunsch nach einem erfüllten, glücklichen Leben erklären, wenn ich doch selber gar nicht wusste, was ein solches ausmacht. Meine Tochter sagte mir, ich hätte eine „Midlife-Crisis“. Ja, die hatte ich. Ich habe in der Mitte meines Lebens Bilanz gezogen und festgestellt, dass es nur noch aus Grautönen bestand, dass sich alles in mir nach Leben sehnt, nach Singen, Tanzen und Leichtigkeit. Kennt ihr diese Sehnsucht, dieses Ziehen im Herzen?

Die Auszeit, die mein Mann uns gewährte, fand im März statt. Nachdem danach feststand, dass wir uns trennen würden, musste noch eine weitere Entscheidung gefällt werden. Wir hatten im letzten Jahr für Mitte April eine relativ teure Urlaubsreise gebucht und jetzt war die Frage, was damit passierte. Sollten wir zusammen fahren und das Ganze als Abschiedsreise zelebrieren? Ganz absagen? Zu guter Letzt und relativ kurzfristig habe ich mich entschlossen, alleine zu fahren.

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