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Johanna - Suche nach neuen Erfahrungen

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Mein Mann war weg und die Geschichte mit dem Liebhaber lief auch nicht sonderlich gut. Das Thema Beziehung hatte ich erfolgreich vermasselt und so wendete ich mich fast gezwungenermaßen einem anderen Thema in meinem Leben zu. Da war unter anderem meine Wohnsituation, an der ich über kurz oder lang etwas ändern musste. Ich hatte ein großes Haus mit einem noch größeren Garten. Das alles kostete Geld und machte jede Menge Arbeit. Ich verdiente nicht schlecht, doch ich wollte nicht nur zur Arbeit gehen, um die Erhaltungskosten für ein Haus abzudecken. Da gab es allerlei Ideen in meinem Kopf. Von Wohngemeinschaft bis hin zum Umbau in ein Café ließ ich nichts aus.

Der Plan mit dem Café gefiel mir immer besser und ich sah mich schon strahlend die Eröffnungsrede halten. Es sollte ein Platz zum Wohlfühlen werden, mit Leseecke, gemütlicher Wohnraumatmosphäre und kleinen romantischen Tischchen zwischen den Blumenbeeten in meinem Garten. Und natürlich mit dem weltbesten Kuchen. Denn Backen kann ich und vor allem weiß ich, wie ein guter Kuchen zu schmecken hat. Ich fragte mich oft, ob die Cafébetreiber eigentlich gerne bei sich selbst zu Gast wären oder ob sie nicht lieber woanders hingingen, nachdem sie ihre eigene Ware gekostet hatten. Bei mir würde alles stimmen, das Ambiente, der Service und die Qualität. Bedenken in Bezug auf Vorschriften, Konzessionen, Kosten und alles, was sonst noch an Unannehmlichkeiten mit so einer Unternehmung verbunden ist, verschob ich auf später. Aber ich wollte auch keine naive Träumerin sein und auf alle Fälle etwas tun, um meinem Ziel einen Schritt näher zu kommen. Ich hatte keinerlei Erfahrung in der Gastronomie und deshalb beschloss ich, das jetzt nachzuholen.

Im letzten Jahr war ich auf eine Berghütte eingeladen worden, um dort Geburtstag zu feiern. Das könnte der perfekte Ort sein, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Ich liebe es auf dem Berg zu sein und ich könnte gleichzeitig Erfahrungen im Gastgewerbe sammeln. Da gab es nichts mehr zu überlegen! Ich spazierte an einem Sonntagvormittag auf die Alm, um zu fragen, ob eine Aushilfe gebraucht würde. Ich bin immer wieder erstaunt, wie einfach die Dinge sind, wenn etwas stimmig und richtig ist. Es waren jede Menge Gäste da, die am Vortag hier eine Hochzeit gefeiert hatten und jetzt ihr spätes Frühstück genossen. Hier war eine ganz besondere Atmosphäre. Der Charme einer Alm gepaart mit gutem Essen und einem sensationellen Ausblick. Das Konzept stimmte und das Geschäft brummte. Vor dem Haus gab es noch einen kurzen Moment des Zögerns, doch was hatte ich schon zu verlieren. Hinter der Schenke bediente eine Frau gerade die Kaffeemaschine. Mit wenigen Worten erklärte ich ihr mein Anliegen. Dass ich unglücklich mit meiner Lebenssituation sei, neue Erfahrungen machen möchte und deshalb fragen wollte, ob sie eine Aushilfe für die Wochenenden bräuchten. Wir hatten den richtigen Draht zueinander. Kurzum, ich sollte ihr Bescheid geben, wann ich Zeit hätte, dann könnten wir es beide ausprobieren. Sie könnte mir nicht viel zahlen und ja, sie kannte die Lebensphase der Neuorientierung. Sie selbst sei genauso hier gelandet. Das war es schon und innerhalb von zehn Minuten hatte ich einen Job als Küchenhilfe, Servicekraft und Zimmermädchen. Es war ein Knochenjob und es machte einen Riesenspaß. Ich hatte tolle Kollegen und innerhalb kürzester Zeit das Gefühl, schon immer dazu zu gehören. Zu den Stoßzeiten arbeiteten wir wirklich hart. Wenn der Ansturm nachließ, spülten wir singend das Geschirr und putzten tanzend die Küche. Natürlich hat es auch dort „gemenschelt" und es kam zu dem ein oder anderen Zusammenstoß. Wie in so vielen Betrieben wurde bei Pannen nicht nach Lösungen gesucht, sondern zunächst die Schuldfrage geklärt. Der eine fühlte sich übervorteilt und der nächste wollte seine eigenen Vorstellungen durchsetzen. Der ganz normale Wahnsinn, wie überall, wo verschiedene Menschen zusammenkommen. Doch wir alle hatten eines gemeinsam, wir liebten die Alm und die Vorstellung, unseren Gästen diese Liebe weiterzugeben. Wir alle waren trotz Jammern und Schimpfen überzeugt davon, den besten Arbeitsplatz der Welt zu haben. Ich hatte anfangs geplant, einmal im Monat ein Wochenende zu arbeiten. Immerhin hatte ich während der Woche einen Fulltimejob, von Haushalt und Garten gar nicht zu reden. Ich war so gerne dort auf dem Berg und unter diesen Menschen, dass ich bald jedes zweite Wochenende oben war. Die Hütte war über Monate mit Hochzeiten und Geburtstagsfeiern ausgebucht. Während der Woche diente sie Unternehmen für Seminare und Fortbildungen.

Leider sollte es nur eine Sommerliebe bleiben. Der Besitzer des Hauses freute sich zwar über die gute Auslastung, doch er war unzufrieden mit der Rendite und wollte Vorschläge hören, wo Potenzial bestünde, um sparen zu können und seine Gewinne zu maximieren. Da ich ja von der betriebswirtschaftlichen Seite kam, stellte ich des Öfteren Fragen zu den administrativen Arbeitsabläufen und den praktizierten Kontrollinstrumenten der Finanzwirtschaft. Wir führten einige Gespräche dahingehend und ich erhielt auch Einblick in die Geschäftsbücher. Ich bin wahrlich kein Experte, doch ich merkte schnell, dass ich im nächsten Chaosbetrieb gelandet war. Cordula, die Geschäftsführerin und gute Seele des Hauses, hatte gute Arbeit geleistet und die Rückmeldungen der Gäste sprachen für sich. Doch dies reichte dem Inhaber nicht. Im Laufe der Zeit hatten sich die Ideale des Hüttenwirts verändert. Aus der ursprünglichen Idee eines gemütlichen Rückzugortes in den Bergen war eine Goldgrube geworden. Es stand ein Umbruch an und hinzukam, dass Cordula schwanger war. Man fragte mich, ob ich nicht Interesse hätte, ihre Nachfolge anzutreten. Dadurch dass ich hautnah miterleben konnte, mit welchen Problemen unsere Chefin zu kämpfen hatte, war ich sehr skeptisch, ob das eine gute Idee wäre. Doch allem voran traute ich es mir schlicht und ergreifend nicht zu. Und so endete mein Ausflug in die Gastronomie mit meiner letzten Schicht an Silvester. Es war nicht offiziell so geplant, doch die Unstimmigkeiten in der Führung des Hauses übertrugen sich auch auf uns Mitarbeiter und das eingeschworene Team zerfiel. Ich habe von zu Hause aus noch ein paar Stunden an Auswertungen und Tabellen gearbeitet, doch mit Abschluss dieser Tätigkeit war dann endgültig Schluss.

Während all dieser Monate auf der Alm kam zwar zusätzliches Geld rein, aber es hatte sich ja letztendlich nichts an meiner ursprünglichen Lage geändert. Die Sorge, dass die Kosten für das Haus all meine Einnahmen auffressen könnten, blieb bestehen. Ich hatte keinerlei Ersparnisse und bei der kleinsten Reparaturmaßnahme würde ich ins Straucheln geraten. Die Café-Idee war nicht gestorben, aber ich musste erkennen, dass sie nicht so schnell umzusetzen war.

Also zurück zur Ausgangssituation. Ich hatte Wohnraum übrig und brauchte zusätzliche Einnahmen. Was also lag näher, als mir einen Mitbewohner zu suchen. Ich wusste von meinen Kindern, dass es im Internet ein Portal „WG gesucht“ gibt und hatte mich schon früher durch die Seite geklickt, um zu sehen, was die Leute so anbieten. Auch hier bewahrheitete sich wieder, dass sich Dinge wunderbar ineinander fügen, wenn der Zeitpunkt dafür gekommen ist. Ich musste mir nicht einmal die Arbeit machen und ein Angebot schreiben, weil ich in den Gesuchen genau das fand, was ich wollte. Ich holte mir Musik ins Haus. Ein junger Mann aus Tschechien, der in Bremen Musik studiert hatte, und jetzt an der hiesigen Musikschule als Gitarrenlehrer arbeitete. Sein Aufenthalt hier war zeitlich begrenzt, weshalb er ein möbliertes Zimmer suchte. Das passte mir gut. So konnte ich das WG-Leben ausprobieren und wenn es mir nicht gefallen würde, musste ich keine unangenehme Kündigung aussprechen, sondern einfach die Zeit abwarten.

Die Chemie stimmte auf Anhieb und entsprechend gut kamen wir miteinander klar. Ich liebte die Gitarrenklänge im Haus. Von oben die feinen Töne der klassischen Gitarre und aus dem Keller das kraftvolle, harte Spiel der E-Gitarre. Ich kam auch des Öfteren in den Genuss seiner Kochkünste und so sah ich über die manchmal unaufgeräumte Küche hinweg. Es war schön, wieder jemanden im Haus zu haben und dabei doch für mich bleiben zu können.

Kopfstand

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