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Mutter - tot

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Ich sehe sie dasitzen, alleine, energielos, unmotiviert, traurig und total überfordert. Meine freundliche, allseits beliebte Tochter. Gerne würde ich ihr helfen, doch sie kann mich weder sehen, noch würde sie die Botschaften als die meinen erkennen. Die Menschen sind in ihren Nöten so verhaftet, sie lieben es, sich in ihrem Unglück hin und her zu wälzen, und dabei wäre es so einfach. Nur ein kleiner Blick aus meiner Perspektive und sie müssten allesamt hell auflachen über die seltsamen Dinge, die sie sich ausdenken, um in ihrem unglücklichen, aber immerhin bekannten Zustand zu verweilen. Ich war ihr keine gute Mutter. Es tut mir leid, aber ich konnte es nicht besser. Sie hat mir weit mehr gegeben, als ich in der Lage war, für sie zu tun. Ich ließ sie mehr als einmal im Stich, war gefangen in meiner Geschichte und sie war bei Gott kein Wunschkind. Ich hatte schon genug eigene Sorgen. Ein weiteres Kind war bestimmt nicht das, was ich wollte. Ich hatte die 40 weit überschritten und war bereits Mutter von vier Kindern. Meine Ehe hatte sich wieder etwas stabilisiert, wir funktionierten, aber es gab viele unausgesprochene Enttäuschungen und zerplatzte Hoffnungen. Wie das eben so war auf einem Bauernhof in einem kleinen Dorf Ende der 60er Jahre. Das waren die Umstände, in die meine Tochter Johanna hineingeboren wurde. Eine unglückliche Mutter, vier ältere Geschwister und ein Vater, der zwar kein Interesse an der schwangeren Frau hatte, aber sich nichtsdestotrotz mit stolz geschwellter Brust seiner Manneskraft rühmte. Dieses kleine Mädchen war von der ersten Minute an auf sich gestellt. Sie musste schon lernen, tapfer zu sein und zu kämpfen, als sie noch in mir war. Nur: Die Strategie, die sie entwickelte, um zu überleben, entfernte sie weit von sich selbst. Es wird Zeit, mein liebes Kind, etwas zu verändern und endlich als die mutige Frau zu leben, die du bist.

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