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Mutter - nachdenklich

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Sie zieht es tatsächlich durch. So sehr drängt es sie in ein neues Leben, dass alle Ängste und Zweifel sie nicht zurück halten können. Wäre ich noch am Leben, ich hätte es nicht gut geheißen. Doch jetzt muss ich sagen: „Ich bin stolz auf dich mein Kind!“ Ich wünschte, ich wäre dir ein besseres Vorbild gewesen oder hätte dich mehr unterstützt. Und ich frage mich: „Wie war denn das bei mir? Was hat mir meine Mutter weiter gegeben?“ Du hast deine Oma nie kennen gelernt. Sie war eine starke Frau, musste ihre Familie in zwei Kriegen zusammenhalten und hat auch sonst viel Leid erfahren. Hatte sie eine andere Wahl als es schweigend zu ertragen, wenn sie nicht zerbrechen wollte? Das war es, was sie mich gelehrt hat: den Schmerz verbergen und das Beste daraus machen.

In diesem Zusammenhang würde ich dir gerne eine Geschichte über deine Großeltern erzählen. Letztendlich eine Lügengeschichte, die einmal in die Welt gesetzt wurde, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Eine verlogene Ordnung von Anstand und Moral. Nach den vielen Jahren des Schweigens hatte ich selbst fast vergessen, dass sich dahinter eine andere Wahrheit verbirgt. Ich war noch ein Kind und trotzdem hatte ich dieses Wissen in mir, dass etwas daran nicht stimmte. Wobei, von Wissen zu sprechen setzt ein Bewusstsein voraus, das ich gar nicht hatte. Es war mehr eine Ahnung, die wie ein Windhauch, der kommt und geht, gleich wieder vergessen ist und doch tief in unserem Empfinden abgespeichert wird.

Auf dem Hof meiner Eltern gab es viele Dienstboten. Mein Vater war ein gerechter Dienstherr und kümmerte sich gut um seine Leute. Und doch kam es mir seltsam vor, dass ich ihn nachts manchmal die Treppe zu den Kammern hochsteigen hörte. Ich hörte auch die Mägde manchmal über Dinge tuscheln, die ich nicht verstand. Eine von ihnen war schwanger. Sie war am Hof bis kurz vor der Entbindung. Dann ist sie, ich weiß nicht wohin, verschwunden. Einige Wochen später war plötzlich ein Baby da und alle sprachen davon, dass eines Morgens ein Findelkind vor unserer Haustüre gelegen hatte. Und weil der Bauer ja ein rechtschaffener, wohl angesehener Mann war, nahm er sich des kleinen Buben an, sorgte für dessen Unterkunft und Verpflegung. Ich glaube nicht an den Zufall! Den rechtmäßigen Platz in der Familie oder als Sohn durfte er aber nie einnehmen. Ob dieses Arrangement von meinem Vater alleine beschlossen worden war oder er das Einverständnis seiner Frau hatte, weiß ich nicht. Ich glaube eher nicht. Die Lüge war geboren und alle Beteiligten, allen voran meine Mutter, lebten damit. Du hast meinen Halbbruder ein- oder zweimal gesehen und kennst sein Schicksal. Er war kein glücklicher Mann und hat nie seinen Platz in unserer Familie und auch nicht in seinem Leben gefunden.

Warum mir diese Geschichte gerade jetzt wieder einfällt? Alles ist miteinander verbunden und der Einfluss den das Verborgene, das wir zu verdrängen versuchen, auf uns hat, ist enorm. Was macht uns solche Angst, dass wir meinen, Dinge unter den Teppich kehren zu müssen. Lieber wegschauen vor der Realität als sie anzuerkennen? Und welche neuen Ängste schüren wir, wenn wir die alten verdrängen?

Du fängst an, dich deinen Aufgaben zu stellen. Schweigen und Ertragen ist ein Vermächtnis deiner Vorfahren und du durchbrichst das alte Muster. Ein heilvoller Weg für dich und vor allem auch für alle, die nach dir kommen.

Kopfstand

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