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Johanna - Bestandsaufnahme

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Ich war von den Ereignissen in meinem Leben geschockt, durcheinander und aufgeregt zugleich. Meine Gefühle fuhren Achterbahn. Dem Himmel sei Dank, dass ich es nicht alleine durchstehen musste. Ich hatte meine Kinder und Freunde an meiner Seite. Es war nicht so, dass sie alles ungefragt einfach abgenickt haben. Im Gegenteil, sie haben mir Fragen gestellt und mir Antworten abverlangt. Ich wurde getröstet, bestärkt und wenn nötig, wieder auf die Füße gestellt. Zudem, und das betrachte ich als noch viel größeres Geschenk, wurde ich nicht gedrängt. Ich durfte dann sprechen, wenn ich soweit war. Ich konnte das, was mir widerfuhr, ja selbst kaum glauben und manchmal wollte ich es einfach nur vergessen. Von außen betrachtet dachte ich manchmal: „Was für ein Theater! Auf der Welt passiert wirkliches Unglück und du machst ein Drama daraus, nur weil du den bekannten Pfad verlässt.“ Ich bin ausgebrochen aus einer Ehe, in der es schon lange nicht mehr um Freude ging und ein gemeinsames Wachsen und Entwickeln. Wir waren beide versorgt. Ich hatte die mir so wichtige Sicherheit, nicht alleine zu sein. Über den Versorgungspart, den ich im Leben meines Mannes erfüllte, will ich mich hier gar nicht auslassen, aber es fühlte sich sehr nach Köchin und Putzfrau an. Die Frau, die hinter der Kochschürze steckte, hatte nicht nur er nicht mehr gesehen, ich habe sie selbst vollkommen vergessen. Wahrscheinlich habe ich niemals wirklich gewusst, dass es sie überhaupt gibt oder geben darf. Irgendwie fühlte es sich an, als würden wir das Leben meiner Schwiegereltern kopieren. Und an diesem Punkt war eindeutig Schluss mit lustig!

Was bereitete mir letztendlich diesen großen Kummer? Die Enttäuschung nicht erfüllter Erwartungen, das Gefühl des Versagens, Schuldgefühle, die Angst vor dem Ungewissen, vor dem Alleinsein, wieder mit leeren Händen am Anfang zu stehen, niemanden zu haben, der die Richtung vorgibt? Ich hatte die leise Ahnung, dass mein Leiden erst aufhören würde, wenn ich all diesen Punkten auf den Grund gegangen sein würde. Trauern ist so viel mehr, als nur einfach zu warten, dass der Schmerz nach einer gewissen Zeit nachlässt. In schlauen Büchern las ich, wenn es mir gelänge hinter die Trauer zu blicken, könnte es mich ein schönes Stück näher zu mir selbst bringen. Die Enttäuschung würde mir zeigen, was tatsächlich meine Erwartungen waren. Auch, dass ich etwas von jemand anderem erwartet hatte, was ich mir selbst gleichzeitig verwehrte. Mein Verstand und auch mein Bauch sagten: „Ja, genau so ist das.“ Mein Gefühl, mein Körper und jede Zelle schrie: „Bist du wahnsinnig? Da hinzuschauen wird scheißweh tun!“

Wie ging es weiter in meinem Leben? Zunächst mussten wir den Umzug hinter uns bringen. Es lief alles ganz zivilisiert ab. Die Aufteilung von Haushaltsgegenständen war relativ einfach, da wir alles im Überfluss hatten. Es gab Geschirr und Besteck für mindestens drei Haushalte. Mein Mann war damals zu mir in mein Haus gezogen, so dass ganz klar war, welche Möbel er mitgebracht hatte und welche mir gehörten. Es kam eine Schar von Freunden. Die einen packten im Haus ein und die anderen packten in der neuen Wohnung wieder aus. Zwischendurch wurde gemeinsam geweint, gelacht und Brotzeit gemacht. Wäre der Anlass nicht so traurig gewesen, hätte man sagen können: was für ein schöner Tag.

Jetzt war ich also allein. Allein in einem Haus, in dem ich mit zwei Ehemänner gelebt hatte und meine zwei Kinder groß geworden waren. Erinnerungen an allen Ecken und Enden. Durch den Auszug war es zwar nicht leer geworden, doch wesentlich luftiger. Und so fühlte ich mich auch. Leichter und befreit. Schon seit Monaten schlief ich im Kinderzimmer meiner Tochter, das sie nach wie vor bewohnte, wenn sie auf Besuch heimkam. Ich fühlte mich wohl dort und bin deshalb nicht auf meine Seite des früheren Ehebettes zurückgekehrt.

Es war ein großes Haus und seit über zwanzig Jahren mein Zuhause. Als wir noch als Familie hier wohnten, hatte ich in den Nächten, in denen ich allein zu Hause war, öfter Angst vor Einbrechern. Dieses Gefühl war verschwunden, es hatte sich in Luft aufgelöst. Woher das wohl kam? Ich wusste es nicht, aber es fiel mir auf.

Eine Freundin kam mit Räucherwerk und wir reinigten alle Räume damit. Rissen mitten in der Nacht alle Fenster auf, um die alten Gespenster auszutreiben. Ich lernte mein Zuhause neu kennen und lieben und füllte nach und nach alle Zimmer mit meiner Energie. Es war wie ein Erobern und neu in Besitz nehmen. Es machte mir Spaß, abwechselnd in allen Räumen zu schlafen, nur mein früheres Schlafzimmer sparte ich noch aus. Es war eine gute Zeit. Ich konnte mich an jeder winzigen Kleinigkeit des Alltags erfreuen. Ich genoss meine neue Freiheit, zu tun und zu lassen, was ich wollte. Ob ich von der Arbeit nach Hause fuhr oder noch einen Spaziergang machte, ins Yogastudio ging oder noch im Café saß, ich musste niemandem Rechenschaft ablegen. Es fühlte sich unglaublich leicht an. Es passierte mir anfangs sogar, dass ich, wenn ich spontan meine Pläne änderte, kurz den Impuls hatte, zu Hause nachzufragen, ob das in Ordnung wäre. Zwischendurch hatte ich Momente der Sorge, wie ich dieses große Haus weiterhin finanzieren sollte und wie ich mir generell meine Zukunft vorstellen sollte. Doch das hielt nicht lange an, ich war so erfüllt von meinem neuen Leben, dass ich Zweifeln und Ängsten nicht viel Platz einräumte.

Ich machte jede Menge Sport und liebte meine Yoga-Stunden und die Geschmeidigkeit meines Körpers, die ich in der Bewegung so intensiv wahrnehmen konnte. Meditierte, machte lange Bergwanderungen und war viel in der Natur unterwegs. Ich blühte im wahrsten Sinne des Wortes auf und erhielt viele Komplimente für mein strahlendes Aussehen. Die positiven Rückmeldungen in meinem Umfeld bestärkten mich in meinem Drang, Neues auszuprobieren. Die Frau von der Eheberatung war eine Malerin und sie hatte mich mit ihrem Slogan „Farbe ins Leben bringen“ inspiriert. Ich meldete mich zu einem Kurs für abstrakte Malerei an. Eine vollkommen neue Erfahrung für mich. Ich mochte Kunst und es gefiel mir, Bilder zu interpretieren, aber niemals hatte ich daran gedacht, selbst welche zu malen. Vollkommen neue Welten eröffneten sich mir. Rückwirkend erscheint es mir vollkommen verrückt, wie sehr ich mich selbst beschränkt hatte. Eines meiner ersten Bilder hatte einen gelb-orangenen Hintergrund und in der Mitte des Bildes einen großen schwarzen Fleck, den man als Insel oder als großes Loch interpretieren könnte. Ich war nicht sehr überzeugt vom Ergebnis meines künstlerischen Ausdrucks, eher etwas belustigt. Doch der Meister meines Kurses meinte, dass es eine sehr interessante Arbeit sei und für eine Anfängerin eine sehr mutige Aussage habe. Es war der Beginn einer großen Leidenschaft - für die Malerei nicht für den Meister!

Dies hört sich jetzt vielleicht so an, als wäre ich die glücklichste Frau auf Erden gewesen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Es gab auch einsame Abende, an denen die Zweifel an mir nagten, ob das jetzt das Leben ist, das ich mir erträumt hatte. Neben diesen vielen neuen Erfahrungen und meinen zahlreichen Aktivitäten, war ich am Ende des Tages alleine. Das, was ich anfangs so genossen hatte, war irgendwann nicht mehr ganz so großartig. Ich schlief schlecht und wenn ich nachts wach lag, sehnte ich mich nach einem warmen Körper, der bei mir lag. Meine Gedanken wanderten dabei wieder des Öfteren nach Italien. Luca. Es ließ mich nicht los und ich hatte auch wieder Kontakt zu ihm aufgenommen. Wir schrieben uns manchmal und still und heimlich hatte ich angefangen, mir Hoffnungen zu machen, ihn auch außerhalb der Arbeit wieder zu sehen. Ich hatte mit der Trennung von meinem Mann zwei Schritte vorwärts gemacht und war jetzt dabei, wieder in das gleiche alte Muster zu verfallen. Insgeheim träumte ich von einem tollen Mann an meiner Seite, der mir mein Leben versüßen sollte. Meine Gedanken kreisten um die Frage, was ich tun musste, um genau den in mein Leben zu locken. Meine Tochter hatte leider Recht, als sie sagte, Frauen in der Midlifecrisis haben größere Aussetzer als 15-jährige Teenager. Bei denen erwartete man zumindest nicht, dass sie auch ihr Hirn zum Denken verwenden. Wenn ich zurückdenke, kann ich nur den Kopf schütteln über meine Naivität.

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