Читать книгу Sentire cum ecclesia - Anton E. Wirmer - Страница 14

IV. Heutige Tendenzen 1. Auslegung als Diskurs

Оглавление

Nach wohl allgemeiner Auffassung ist Ausgangspunkt jeder Auslegung juristischer Texte der mögliche Wortsinn gesetzlicher Regelungen. Da aber Begriffe selten eindeutig sind, gibt es i.d.R. einen Spielraum möglicher Wortbedeutungen.61 Innerhalb dieses Rahmens muss sich die Interpretation bewegen. Die Grenze des möglichen Wortsinns ist auch die Grenze der Auslegung.62 Jenseits dieser Grenze geht es nicht mehr um Auslegung, sondern um Rechtsfortbildung. Ziel der Auslegung ist es, die konkrete Bedeutung abstrakter Gesetzesbegriffe zu bestimmen. Erst dadurch gewinnt eine Norm jene inhaltliche Bestimmtheit, die erforderlich ist, um sie auf einen konkreten Lebenssachverhalt anwenden zu können.63 Allerdings vollzieht sich die Konkretisierung einer Rechtsnorm nicht losgelöst von der Lebenswirklichkeit, sondern i.d.R. mit Blick auf den betroffenen Sachverhalt. Dies bedeutet, dass sich die Frage, ob ein bestimmter Sachverhalt unter eine Norm fällt, im Wesentlichen schon bei der Bestimmung des konkreten Bedeutungsgehalts der Norm entscheidet. Es ist eine Frage der Auslegung und nicht erst der Subsumtion.64

Auslegung ist keine exakte Methode, die normalerweise zu eindeutigen Ergebnissen führt. Sie vollzieht sich vielmehr in einem Abwägen verschiedener Argumente, die es rechtfertigen, den Gesetzesbegriffen diesen oder jenen genaueren Sinn beizulegen.65 Nach dem BVerfG hat Auslegung den „Charakter eines Diskurses, in dem auch bei methodisch einwandfreier Arbeit nicht absolut richtige, unter Fachkundigen nicht bezweifelbare Aussagen dargeboten werden, sondern Gründe geltend gemacht, andere dagegen gestellt werden und schließlich die besseren Gründe den Ausschlag geben sollen“.66 In dem Prozess der rationalen Strukturierung der verschiedenen Erwägungen dienen insbes. die Auslegungskriterien oder auch allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze als diskussionsleitende Gesichtspunkte der Argumentation.

Die Auslegung juristischer Texte vollzieht sich aber nicht nur in rationalen Bahnen, sondern führt am Ende oft auf Wertungen, die sich nicht mehr rational auflösen lassen.67 Rechtsnormen können meist nur dann richtig verstanden werden, wenn die in ihnen enthaltenen Wertungen aufgedeckt sind.68 Von Bedeutung kann auch das Vorverständnis des jeweiligen Rechtsanwenders und sein eigenes Rechtsempfinden sein. Solche vorläufigen Urteile dienen dem Denken häufig in durchaus positivem Sinne als Leitfaden zur Erschließung und Klärung eines Problems – auch in der Jurisprudenz.69 Subjektive Elemente können dadurch aber auch Einfluss auf das Ergebnis der Rechtsfindung gewinnen. Teilweise wird in der Literatur vertreten, dass bei jeder Entscheidung der Rechtsanwender einen bestimmten eigenen Anteil beisteuert, der sich nicht direkt aus dem Gesetz ergibt.70 Andere gehen noch weiter und bezweifeln grundsätzlich die Verbindlichkeit juristischer Methoden. Die Vorstellung einer regelgeleiteten Methode der Gesetzesauslegung sei nicht zu verwirklichen.71

Sentire cum ecclesia

Подняться наверх