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3. Rechtsordnung als System

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Dem systematischen Auslegungskriterium kommt heute eine unvermindert hohe Bedeutung zu. Dahinter steht die Erkenntnis, dass eine Einzelnorm zutreffend nur aus dem Kontext und Sinnzusammenhang des jeweiligen Gesetzes, eines Normenkomplexes oder sogar der Rechtsordnung zu verstehen ist. Die Vorstellung von einem einheitlichen System der Rechtsordnung beruht auf dem Gedanken, dass die Rechtsordnung ein geordnetes Normengefüge möglichst widerspruchsfreier Wertvorstellungen sein sollte.79 Tatsächlich ist dies jedoch nicht so. Schon wegen der Herkunft der Gesetze aus unterschiedlichen Perioden und politischen Konstellationen sind Normenwidersprüche nicht zu vermeiden.

Aufgabe der Rechtsprechung ist es, durch eine harmonisierende Interpretation auf die real nicht vorhandene Wertungseinheit hinzuwirken. Normen sind daher so auszulegen, dass sie nicht in einem logischen Widerspruch zu anderen Normen stehen.80 Sie sollten auch in Einklang mit den Zielsetzungen und Gerechtigkeitsvorstellungen, die in der übrigen Rechtsordnung enthalten sind, gebracht werden können. Zu diesem rechtsethischen Kontext gehört in erster Linie die Verfassung und deren Grundrechtsteil. Das BVerfG versteht die Rechtsordnung als ein System abgestufter Wertentscheidungen und die Grundrechte als „Elemente einer objektiven Ordnung, die für alle Bereiche des Rechts Geltung haben“.81

Diese wertgebundene Deutung der Rechtsordnung ist nicht unumstritten.82 Insbes. wird – auch in der Ethikdiskussion – eine heute vielfach unkritische Verwendung des Wertbegriffs problematisiert. Teilweise wird sogar von einer „Tyrannei der Werte“ gesprochen. Für die Deutung des BVerfG spricht jedoch, dass mit jeder Rechtsnorm der Gesetzgeber sagt, wie die Gesellschaft organisiert sein soll. In jeder Entscheidung über Sinn und Zweck einer Regelung wird zugleich eine Wertentscheidung getroffen.83 Die Wertungen oder Maßstäbe, die bei der Gesetzgebung eine Rolle spielen, können vielfältig sein. Sie können sich aus Sachmaterien, wirtschaftlichen Interessen, politischen Vorstellungen oder auch allgemeinen Rechtsgrundsätzen bzw. ethischen Prinzipien ergeben.84

Ähnlichkeiten mit der klassischen systematischen Auslegung hat die sog. systemkonforme Auslegung, die im Kontext der Verfassung, aber auch auf dem Hintergrund der europäischen Rechtsangleichung eine zunehmende Bedeutung gewonnen hat. Die systematische Auslegung versucht, aus dem Sinnzusammenhang der Gesetze den jeweiligen Normzweck einer gesetzlichen Regelung zu ermitteln. Die systemkonforme Rechtsanwendung hat zum Ziel, die Vereinbarkeit der auszulegenden Norm mit höherrangigem Recht zu prüfen und bei Kollisionen eine sachgerechte Lösung zu finden. Beides sind aber zu unterscheidende Schritte bei der Rechtsanwendung und Auslegung.85 Sinn der systemkonformen Auslegung ist es, Normen nach Möglichkeit in ihrem Bestand zu erhalten und damit auch die Rechtssicherheit zu stärken. Als Voraussetzung wird jedoch angesehen, dass die Auslegung sich noch im Rahmen des Bedeutungsspielraums der jeweiligen gesetzlichen Regelung bewegt.86

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