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2. Gesetzesbindung
ОглавлениеBei der Ermittlung von Sinn und Zweck einer gesetzlichen Regelung steht die heute herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich auf dem Boden der objektiven Auslegungstheorie. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in einigen Grundsatzaussagen zu Methodenfragen der Entstehungsgeschichte und den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers geringere Bedeutung zuerkannt.72 Damit deckte sich allerdings nicht die Auslegungspraxis in manchen Entscheidungen des Gerichts, in denen dem historischen Argument durchaus erkennbares Gewicht zukam.73 Dem entspricht eher der Beschluss des ersten Senats vom 25. 1. 2011, in dem das Gericht der Rechtsfortbildung mit Rücksicht auf den Grundsatz der Gesetzesbindung der Gerichte Grenzen setzt. Dort heißt es: „Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck entziehen. Er muss die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung bringen“.74
Diese Aussagen lassen sich grundsätzlich auch auf die Fragen der Auslegung von Gesetzestexten übertragen. Damit wird wieder stärker betont, dass in der Methodenlehre das Denken in einseitigen Alternativen nicht weiterführt. Die subjektive und objektive Auslegungstheorie schließen sich nicht aus, sondern beinhalten jeweils notwendige Schritte bei der Gesetzesauslegung. Die verschiedenen Auslegungskriterien decken jedes für sich wichtige Teilaspekte ab, die nur in einer Gesamtschau zu verlässlichen Ergebnissen führen.75
Unscharf bleibt allerdings auch in der Literatur,76 welches Gewicht den einzelnen Kriterien zukommen soll und unter welchen Voraussetzungen die Auslegung bei einem Wandel der Verhältnisse oder des gesetzlichen Regelungsbereichs von den erkennbaren Zweckentscheidungen des Gesetzgebers abweichen kann. Teilweise wird vertreten, dass dies gerechtfertigt sei, wenn der Normzweck des Gesetzgebers nicht mehr den heute herrschenden sozialethischen Vorstellungen entspräche.77 Um die Kontinuität des Rechts möglichst zu wahren, sei jedoch dafür ein strenger Maßstab anzulegen. Andere gehen noch weiter. Nach ihnen hängt das Gewicht der einzelnen Kriterien nicht zuletzt davon ab, „was sie im Einzelfall hergeben“.78 Bei der Konkretisierung solcher weit gefassten Erwägungen bleibt mithin, wie die Erfahrung zeigt, den Gerichten ein breiter Entscheidungsspielraum. Die politischen Einflüsse auf die Auslegung, besonders von politischen Systemwechseln, werden in der heutigen Literatur allerdings meist eher stiefmütterlich behandelt.