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A. Einführung in die Thematik

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Über ein Jahrtausend hat es in Deutschland und Europa – wenn auch in wechselnder Gestalt – ein enges Miteinander von Kirche und Staat oder Thron und Altar gegeben, das auch durch die Reformation und die nachfolgenden „Religionskriege“ nicht beendet wurde, sondern sich nur in seinen Formen verändert hat. Erst die Verfassungsrevolutionen des 18. Jh. haben die teilweise jahrtausendealte Klammer von Heil und Herrschaft aufgebrochen.1 In Deutschland wurde mit einiger Verzögerung durch Art. 137 I WRV die prinzipielle Trennung von Staat und Kirche verfassungsrechtlich umgesetzt. Es hatte sich die Überzeugung durchgesetzt, dass die wechselseitige Trennung möglich ist und im Interesse beider liegt: die Freiheit des Staates von kirchlicher Bindung und die der Religionsgemeinschaften von staatlicher Bevormundung.2 Diese Rechtslage entspricht einem modernen Verständnis von Wesen und Aufgaben von Staat und Kirche. Der Staat ist auf seine weltlichen Aufgaben beschränkt, die geistlichen liegen bei den Kirchen.3 Allerdings gibt es dafür allein in den westlichen Ländern eine breite Palette sehr unterschiedlicher Ausprägungen und Modelle.

Auch wenn sich Staat und Kirche institutionell trennen lassen, gilt dies nicht in gleicher Weise für das Religiöse und Politische. Aus einer Religion, dem damit verbundenen Menschenbild und seinem Verhältnis zur Welt können sich weitreichende Postulate für politisches Handeln ergeben.4 Beim einzelnen Bürger sind daher häufig religiöse und politische Überzeugungen eng miteinander verbunden. Die Säkularisierung der Staatsgewalt bedingt nicht gleichzeitig die Säkularisierung der Bürgergesellschaft.5 Das Gebot religiöser Neutralität betrifft den Staat, aber nicht die Arenen, in denen um politischen Einfluss gekämpft wird.6 In welch hohem Maße religiöse Überzeugungen Einfluss auf politisches Handeln haben können, zeigt sich heute in besonders extremer Form im Erstarken des politisch-religiösen Radikalismus im Islam. Auch die verbreitete Debatte über Fragen einer politischen Theologie kann als Anzeichen einer veränderten Wahrnehmung des Verhältnisses von Politik und Religion angesehen werden.7

Aber auch im Rahmen der institutionellen Trennung von Staat und Kirche gibt es zwischen beiden Bereichen weiterhin viele Berührungspunkte oder auch Überschneidungen. Dies gilt nicht nur für Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland, die neben der organisatorischen Trennung von Staat und Kirche auch Maßnahmen der Kooperation Raum geben,8 sondern auch für Länder mit einem strikten Laizismus, also einer absoluten Trennung von Kirche und Staat und einer damit verbundenen Zurückdrängung der religiösen Akteure aus dem öffentlichen Raum. In einer Zeit der gesteigerten Sozialverantwortung des Staates bzw. der Entwicklung zum sozialen Leistungsstaat sind solche Berührungspunkte unvermeidlich. Nach dem GG hat der soziale Rechtsstaat die konkreten Gestaltungsformen kirchlichen Wirkens nicht aus seiner Ordnung ausgegrenzt, sondern soweit möglich in seine Rechtsordnung integriert.9

Die Betätigung des Staates und der Religionsgemeinschaften in den gleichen Bereichen von Erziehung, Krankenpflege, Fürsorge usw. bedeutet, dass sich ihre Arbeitsfelder nicht nur punktuell, sondern dauernd berühren oder überschneiden.10 Dies hat auch Folgen für die rechtlichen Strukturen. In den gemeinsamen Arbeitsfeldern stoßen zwei unterschiedliche Rechtsordnungen aufeinander. Bei Streitigkeiten können auch staatliche Gerichte mit kirchlichen Fragen bzw. kirchlichen Rechtsvorschriften konfrontiert werden. Nie zuvor sind vor Gericht so viele religionsbezogene juristische Streitfälle ausgetragen worden. In diesen Verfahren sind die verfassungsrechtlichen Anforderungen staatlicher Justizgewährung und die Gewährleistungen kirchlicher Autonomie und Selbstbestimmung gegeneinander abzuwägen und möglichst in Einklang zu bringen.

Daraus ergeben sich einige grundsätzliche Fragen: Welcher Stellenwert kommt kirchlichen Regelungen im staatlichen Bereich überhaupt zu und welche Kompetenzen haben staatliche Gerichte bei Streitigkeiten mit kirchenrechtlichen Fragen? Steht ihnen bei der Anwendung und Auslegung kirchlicher Normen eine eigene Kompetenz zu oder müssen sie sich an der Interpretation und dem Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft orientieren? Entscheidend für die Beantwortung dieser Fragen ist, welche Konsequenzen sich aus der spezifisch bekenntnismäßigen Prägung kirchlichen Rechts, dem Gebot staatlicher Neutralität und dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ergeben. Zu diesen Fragen gibt es bisher in Rechtsprechung und Schrifttum keine einheitliche Linie, sondern immer noch unterschiedliche Rechtsauffassungen und Vorgehensweisen.

Exemplarisch für dieses Meinungsspektrum steht das Verfahren B. Schüth, bei dem es im Rahmen einer arbeitsrechtlichen Kündigung durch eine katholischen Kirchengemeinde um die richtige Auslegung und Anwendung von Art. 5 Abs. 1 GrO der katholischen Kirche geht. In diesem Verfahren sind von AG /LAG sowie BAG unterschiedliche Auffassungen vertreten worden. Nach Rückverweisung an das LAG hat dieses nach weiterer Klärung die Klage abgewiesen. Rückfragen an die Amtskirche wegen der richtigen Auslegung der kirchlichen Grundordnung wurden in den Instanzen nicht durchgeführt. Eine Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit Urteil vom 23.9. 2010 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in dem Verfahren einen Verstoß gegen Art 8 der EMRK festgestellt.11 Die vom Kläger daraufhin erhobene Restitutionsklage nach nationalem Recht wurde aber vom BAG verworfen. In einem erneuten, auf Schadensersatz gerichteten Verfahren hat das LAG Düsseldorf am 18.10.2017 entschieden, im Hinblick auf die richtige Auslegung der einschlägigen kirchlichen Rechtsvorschriften zunächst eine Stellungnahme des Kommissariats der Deutschen Bischöfe einzuholen.12

Das Verfahren macht deutlich, wie dringend eine Aufarbeitung und Klärung der angesprochenen Fragen ist, vor allem in Bezug auf die jeweiligen kirchlichen und staatlichen Kompetenzen. Im Folgenden soll versucht werden, hierzu einen Beitrag zu leisten.

1Habermas in: Politik und Religion, S. 295 ff.

2v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 90 ff.

3de Wall/Muckel, Kirchenrecht, S. 82 ff.

4Papst Franziskus spricht von der sozialen Dimension der Evangelisierung: „Evangelisieren bedeutet, das Reich Gottes in der Welt gegenwärtig machen“. In: Apostolisches Schreiben „Evangelii gaudium“, Nr. 176.

5Habermas, in: Politik und Religion, S. 289.

6Graf, in: Politik und Religion, S. 32.

7Meier, in: Politik und Religion, S. 306 f.; Zur Re-Theologisierung der Politik vgl. Körtner, Für die Vernunft, S. 57 ff.

8Jeand`Heur/Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, Rn. 161.

9Kästner, Staatliche Justizhoheit, S. 176.

10v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, S. 338 ff.

11EGMR Schüth v. Deutschland v. 23.09.2010 Nr. 1620 /03 KirchE 56, 219 ff.

12LAG Düsseldorf 12 Sa 757 / 17, Pressemitteilung des LAG v. 18.10.2017.

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