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B. Methodik der Interpretation von Rechtstexten I. Auslegung als hermeneutisches Problem 1. Die Bedeutungsvielfalt juristischer Begriffe

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Bei der Hermeneutik geht es um die Theorie des Verstehens und der Auslegung vor allem schriftlich fixierter Texte im Wandel der Umstände und der Zeit. Mit dem Problem des richtigen Verständnisses haben alle Textwissenschaften zu tun, ganz gleich, ob es dabei um Philosophie, Geschichte, Literatur oder Recht geht. Sie sind alle mit dem Problem konfrontiert, dass es einen objektiven, ein für alle Mal festgelegten Sinn von Worten und Texten nicht gibt. Das richtige Verständnis eines Textes hängt von vielen Faktoren ab, vor allem auch von den Umständen der Entstehungszeit des Textes und dem zeitlichen Kontext der Rezeption oder Auslegung.

Bei juristischen Texten kommt hinzu, dass der Jurist Normtexte nicht wie der Historiker vergangenheitsbezogen, sondern im Hinblick auf heutige Lebensvorgänge und aktuelle Fragen auslegen muss. Er ist bei der Auslegung von Gesetzen auch nicht frei, sondern nach Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden. Um die Vielfalt der Lebensvorgänge zu erfassen und trotzdem handhabbar zu bleiben, müssen gesetzliche Regelungen allgemein und abstrakt formuliert sein. Sie sind dadurch regelmäßig wenig bestimmt und bedürfen für die Anwendung der Konkretisierung. Ziel der Interpretation von Rechtstexten ist es daher, die konkrete Bedeutung abstrakter Gesetzesbegriffe zu bestimmen. Erst dadurch gewinnt eine Norm jene inhaltliche Bestimmtheit, die erforderlich ist, um sie auf einen konkreten Lebenssachverhalt anwenden zu können.13

Die Bedeutungsvielfalt juristischer Sprache und Begriffe hat viele Gründe. Dies liegt einmal daran, dass Wörter oder Begriffe mehrdeutig sein können.14 Der jeweils relevante Bedeutungsgehalt eines Begriffs ergibt sich häufig erst aus dem Zusammenhang, in dem er steht oder den Umständen der Verwendung. Er ist also vom Kontext abhängig.15 Zum anderen ist die Bedeutung vieler Begriffe vage oder unbestimmt. Zugunsten einer breiten Verwendbarkeit hat die Umgangssprache auf eine eindeutige Festlegung der Bedeutung verzichtet. Der Wortlaut lässt also gewöhnlich einen Spielraum möglicher Wortbedeutungen offen. Der Auslegung kommt die Aufgabe zu, innerhalb dieses Bedeutungsspielraums die jeweilige Bedeutung auszuwählen, die den Gesetzesworten gerade in der vorliegenden Norm richtigerweise zukommt.16

Dazu kommt, dass Begriffe im Laufe der Zeit ihre Bedeutung verändern können.17 Dies liegt teilweise an der normalen sprachlichen Entwicklung, die sich den Wandlungsprozessen der Zeit nicht entziehen kann. Aber auch die Veränderung der gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse kann sich in hohem Maße auf das Verständnis von Worten und Begriffen auswirken,18 vor allem wenn größere zeitliche Abstände zwischen der Erstellung eines Textes und seiner Rezeption liegen. Rechtsnormen sind immer in Bezug auf die vorhandene Lebenswirklichkeit zu konkretisieren. So konnten sich neue Formen technischer Kommunikation auf die Auslegung des Art.5 Abs. 1 GG auswirken. Darüber hinaus können veränderte Weltsichten und Wertvorstellungen zu einem Bedeutungswandel von Normen und Gesetzen führen. Dies gilt in besonderer Weise für Begriffe, die wertende Elemente enthalten.

Bei juristischen Texten stellt sich weiter die Frage, auf welchen Zeitpunkt bei der Interpretation abzustellen ist, den der Entstehungszeit des Gesetzes oder den der Anwendung.19 Eine rein vergangenheitsbezogene Auslegung wird kaum ausreichen, da juristische Texte auf heutige Lebensvorgänge und aktuelle Fragestellungen anzuwenden sind. Aber in welchem Maße müssen dabei dennoch auch die Vorstellungen und Intentionen berücksichtigt werden, die zum Erlass des Gesetzes geführt haben?

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