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2. Beurteilungsmaßstäbe

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In der Rechtstheorie wird vielfach zwischen deskriptiven und normativen Begriffen unterschieden.20 Deskriptive Begriffe sollen dazu dienen, die vielfältige Wirklichkeit geordnet zu erfassen. Auch wenn sie häufig ungenau sind, kann ihr Inhalt durch Auslegung ermittelt und dann auch klar auf bestimmte Fallgestaltungen angewendet werden.

Im Gegensatz dazu enthalten normative Begriffe regelmäßig auch wertende Elemente.21 Solche gesetzlichen Normen enthalten generelle Beurteilungsmaßstäbe, innerhalb derer sich ändernde Wertvorstellungen Berücksichtigung finden können. Dabei handelt es sich meist um weit gefasste unbestimmte Rechtsbegriffe (z. B. „angemessen“ oder „verhältnismäßig“) oder Generalklauseln (z. B. „wichtiger Grund“, „Treu und Glauben“ oder „gute Sitten“). Der Begriff der Sittenwidrigkeit verweist auf die geschichtlich wandelbaren Anschauungen darüber, was im sozialen Verkehr zwischen den Bürgern als noch akzeptabel angesehen wird. Verändert haben sich auch die sozialethischen Vorstellungen, die das Zusammenleben der Geschlechter bestimmen oder wie der Begriff der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG unter heutigen Gegebenheiten zu verstehen ist.

Die Ungenauigkeiten vieler Begriffe sind im Allgemeinen vom Gesetzgeber eingeplant, da es unmöglich ist, die große Vielfalt der Lebensvorgänge einzeln gesetzlich zu erfassen. Sie ermöglichen, die Besonderheiten der jeweiligen Einzelfälle zu berücksichtigen und geben dadurch dem Recht ein hohes Maß an Elastizität. Es werden breite Anwendungsfelder und Beurteilungsspielräume für die entsprechenden Rechtssätze geschaffen. Die wertorientierten Begriffe verlangen also bei ihrer Anwendung immer wertende Akte des Gerichts. Entscheidend sind die Maßstäbe, die dabei zugrunde gelegt werden. Diese können sich aus dem jeweiligen Gesetz oder der Rechtsordnung bzw. Verfassung ergeben, aber auch aus weltanschaulichen oder ethischen Prinzipien. Die Wertbegriffe können aber auch ein Einfallstor für neue, politisch motivierte Wertvorstellungen oder den jeweiligen Zeitgeist sein.22

Teilweise wird in der Literatur vertreten, dass es sich bei diesen Rechtsbegriffen um ein Stück offen gelassener Gesetzgebung oder gewollte Gesetzeslücken handele.23 Ph. Heck hat solche Vorschriften als „Delegationsnormen“ bezeichnet, die den Gerichten normsetzende Aufgaben zuweisen.24 Die h M in Schrifttum und Justiz betrachtet die Ausfüllung der unbestimmten Rechtsbegriffe und Generalklauseln weiter als eine Form der Auslegung rechtlicher Vorschriften.25 Gegen die Einordnung als Gesetzeslücken wird vor allem eingewendet, der Entscheidungsgewalt der Gerichte seien durch die Gesetze und Verfassungsnormen gewisse Maßstäbe und Grenzen vorgegeben. In der Wirklichkeit haben allerdings die Gerichte diese Grenzen nicht immer beachtet. Eine Reihe neuer Rechtsfiguren wie z. B. die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage sind von der Rechtsprechung unter Bezug auf solche normativen Rechtsbegriffe (hier § 242 BGB) entwickelt worden.

Der Bedeutungsgehalt vieler juristischer Begriffe kann dementsprechend häufig nicht exakt, sondern nur mit einem Bedeutungsspielraum ermittelt werden. Die Konkretisierung oder die Auswahl der im Einzelfall passenden Wortbedeutung vollzieht sich i.d.R. nicht rein deduktiv, sondern argumentativ, d.h. durch das Abwägen von Argumenten und Gesichtspunkten. Welches Argument am Ende zum Zuge kommt, ist nicht immer Ergebnis eindeutiger Erkenntnis.26 Vielmehr können auch unterschiedliche Auslegungen „vertretbar“ sein, so dass in diesen Fällen beim Gericht die Letztentscheidungskompetenz liegt.

Dabei kann auch das Vorverständnis des Richters hinsichtlich der zu entscheidenden Frage eine Rolle spielen.27 Bei jeder Rechtsanwendung steuert der Richter immer auch einen bestimmten Anteil bei, der sich nicht unbedingt aus dem Gesetz ergibt. Das Verstehen von Gesetzen ist nicht nur ein rein reproduktiver, sondern auch ein produktiver Vorgang. Auch der eigene Erfahrungshorizont spielt dabei eine nicht unwesentliche Rolle.

Dies macht deutlich, dass bei der Hermeneutik oder der richtigen Auslegung von Rechtstexten häufig auch subjektive Elemente von Bedeutung sind.

Die Rechtswissenschaft versucht teilweise, der Unbestimmtheit und Ungenauigkeit rechtlicher Sprache durch fachsprachliche Definitionen gegenzusteuern.28 Dies bereitet grundsätzlich keine Probleme, soweit es sich um reine Nominaldefinitionen handelt. Das sind willkürliche Festlegungen der Bedeutung eines Begriffs wie z. B. „Sachenrecht“. Gesetzesvorschriften werden dadurch nur einem bestimmten Rechtsgebiet zugeordnet, aber keine Rechtspositionen verändert. Es ist allein eine Frage der Zweckmäßigkeit. Anders verhält es sich mit Definitionen, die gesetzliche Begriffe näher bestimmen. Solche Definitionen können den normativen Gehalt einer Norm verändern. So kann sich der Straftatbestand der Körperverletzung verändern, je nachdem, ob der Waffenbegriff technisch oder untechnisch interpretiert oder definiert wird. Definitionen von Gesetzesbegriffen können daher nicht völlig frei erfolgen. Sie haben immer den jeweiligen Normzweck zu beachten. Dementsprechend kann auch ein unbestimmter Rechtsbegriff wie „Nachtzeit“ in unterschiedlichen Gesetzen unterschiedlich definiert sein. Dies kann für juristische Laien verwirrend sein, zeigt aber, dass in der Rechtswissenschaft Definitionen nur in begrenztem Umfang zur Präzisierung der Sprache und Verständlichkeit rechtlicher Texte beitragen können.

Andere Überlegungen gehen in die Richtung, Anleihen bei Disziplinen mit einer größeren Aussagenpräzision zu machen.29 Naturwissenschaftliche Disziplinen wie die Mathematik oder Physik ersetzen die Umgangssprache teilweise durch vereinbarte Begriffe mit genau definiertem Bedeutungsgehalt. Oder es wird versucht, die Symbolsprache der modernen Logik für die Jurisprudenz nutzbar zu machen. Anwendungsfelder für die Instrumente moderner Logik werden besonders bei der Strukturierung von Gesetzestexten und der Analyse von Argumentationsformen gesehen. Aber es scheint so, dass die Probleme, die sich aus der Ungenauigkeit und Unbestimmtheit der Sprache und rechtlicher Begriffe ergeben, auch von der modernen Logik nicht wirklich gelöst werden können.

Sie stellt nur eine begrenzte Sprache zu Verfügung, die nicht in der Lage ist, sämtliche juristischen Vorgänge abzubilden. Dies gilt vor allem für im Recht häufig notwendige Abwägungsvorgänge beim Zusammentreffen und bei Konflikten von Normen. Zur Bewältigung der Probleme, die sich aus der Vieldeutigkeit und Wandelbarkeit von Rechtsbegriffen ergeben, sind noch andere Methoden erforderlich.

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