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Jonas öffnet die Tür, die über eine mit Moos bewachsene Steintreppe in den Garten führt. Auf den Stufen kleben Schnecken, die sich zusammenrollen, wenn er aus Versehen auf sie tritt. Von den Weinbergschnecken sind nur noch die Häuschen übrig geblieben, die Jonas als Botschaften von Verreisten liest.

Früher sammelte er die Häuschen an den schattigen Plätzen unter der Hecke und legte sie an die Mittagssonne. Später präsentierte er seinem Bruder Paul stolz seine Sammlung, die er in einer alten Schuhschachtel aufbewahrte. Mehrere Tage hatte er in den Herbstferien gebraucht, um sie zu bemalen. Verschiedene Blautöne wechselten sich mit Weiss ab. Die Schachtel versteckte er unter seinem Bett. Im Deckel führte er eine Liste, in die er die neue Anzahl Schneckenhäuser samt Datum eintrug, weil er befürchtete, dass Paul ihn beklaute, während er in der Schule war.

Paul konnte schon im Kindergarten lesen und begann kurze Zeit später in ein Notizheft zu schreiben. Am liebsten las er Jonas daraus vor. Neben Lesen und Schreiben lernte Paul auch Rechnen ohne Anstrengung. Trotzdem beklagte er sich beim Abendessen über die Hausaufgaben. Gestikulierte mit aufgerissenen Augen und gab seiner Stimme einen dramatischen Unterton, wenn er Jonas und den Eltern sein Leid klagte. Nur Jonas schien zu erkennen, was für ein Spiel sein Bruder spielte. Keiner bemerkte, dass die Küche Pauls ideale Bühne war. Weshalb wunderten sich die Eltern nicht, dass Paul seine Hausaufgaben nebenbei am Frühstückstisch löste? Für sie war klar, dass Paul später einmal studieren und nicht in der Metzgerei stehen würde.

Einmal las Jonas heimlich in Pauls Notizheft. Jonas beneidete Paul um seine Leichtigkeit, neue Dinge zu lernen. Als er in dem Heft las, wurde sein Neid noch grösser. Jonas war sich sicher, dass Paul diese Notizen nur für ihn machte. Paul wollte, dass Jonas dasselbe Wissen hatte wie er. Aber Jonas fühlte sich nur noch dümmer, noch langsamer.

Seit Paul auf der Welt war, bewunderten ihn alle. Sein Vater erwähnte regelmässig, wie gross Pauls Gehirn im Vergleich zu dem anderer Jungen seines Alters sei. Auch die Kundinnen der Metzgerei verfielen in ein Säuseln, sobald sie Paul erblickten. Es spielte keine Rolle, ob er neben dem Tresen im Kinderwagen lag und schlief oder ihnen entgegenlief. Die eine kniff ihn in die Wange, die andere fuhr ihm durchs Haar, und die dritte küsste ihn auf die Stirn. Auch als Paul schon das Lehrerseminar besuchte, nannten die Kundinnen ihn Päulchen, sobald sie in die Metzgerei stöckelten. Betrachteten ihn mit besorgtem Blick und voller Stolz. Jonas fragten sie nur höflichkeitshalber, wie es ihm gehe.

Jonas weiss, dass Paul ihm seine Liebe zu Hanna wohl nie wird verzeihen können. Auch Alice’ Verschwinden vor einem Jahr hat daran nichts geändert. Paul meldet sich nicht mehr bei ihm, kommt nicht vorbei. Auch Mitleid hat er keines. Zwischen ihnen steht wieder Schweigen.

Jonas bleibt

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