Читать книгу Jonas bleibt - Arja Lobsiger - Страница 5

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Eine weitere Minute verging. Gegen das Balkongeländer gelehnt, als wäre es eine Schiffsreling, spürte Alice Unruhe. Dachte: Das letzte Mal auf dem Balkon stehen, das letzte Mal in den Garten hinunter schauen. Sie hob den Blick. Sah in die Ferne über die blühenden Kronen der Kirschbäume hinweg. Erste Sonnenstrahlen verfingen sich in den Ästen. Sie stellte sich vor, bereits auf der Fähre zu sein.

Die farbige Häuserfront wird immer kleiner, die Segelmasten im Hafen sind kaum mehr erkennbar, das röhrende Geräusch des Schiffmotors, das angenehme Vibrieren. Ihre Haare bewegen sich im Fahrtwind, die Wanderhose flattert um ihre Beine, das Rauschen der Wellen schläfert sie ein. Dabei ist sie hellwach.

Alice trug bereits den Rucksack und spürte seine Wärme am Rücken. Sie atmete die Meeresluft ein. Schon jetzt kündigten sich die Gefühle an. Endlich in Bewegung sein.

Unten im Garten hing noch die Wäsche an der Leine. Die Bettbezüge und das weisse Laken wölbten sich in der kühlen Brise. Jonas wird sie am Abend zusammenfalten. Alice schloss die Augen, sah sich als Fleischstück in der Auslage von Pauls Metzgerei liegen. Und ausgerechnet Hanna stand hinter der Theke, wedelte mit einer rosa Plastikfolie durch die Luft. Unerträglich laut war das flatternde Foliengeräusch. Wut stieg in ihr auf, am liebsten hätte sie mit ihrer Faust eine Scheibe zerschlagen.

Für Alice gab es kein Zurück mehr. Viel zu lange hatte sie gewartet in der Hoffung, etwas würde geschehen. Einen Wartsaal hatte sie sich in ihrem Zimmer eingerichtet. Nichts durfte sich verändern in ihrer Welt. Und trotzdem war da immer eine leichte Ungeduld. Als wäre sie auf der Durchreise und fände keinen Ort, an dem sie ankommen könnte. Was ist es, worauf ich warte?, begann sie sich irgendwann zu fragen. Die Uhrzeiger drehten sich weiter, auch in diesem Haus. Doch die Möbel blieben stehen, wo sie schon immer gestanden hatten. Regelmässig wurden sie von Jonas abgestaubt, damit der Lack weiter glänzte. Nichts sollte darauf hinweisen, dass doch so vieles passierte. Und für all die Dinge, die geschahen, bildete das alte Haus die Kulisse. Ausser Takt waren sie geraten, keiner sollte es bemerken. Heimlich sehnten sie sich danach, zu viert zu sein. Das Kind fehlte ihr. Das Kind fehlte Jonas. Das Kind fehlte Etna. Eigentlich hätte sie dieses Loch, das so plötzlich entstanden war, einander näher bringen sollen. Alice konnte noch immer nicht verstehen, warum aus dem Loch ein Strudel geworden war, der sie, Jonas und Etna in unterschiedlicher Weise hinabgezogen hatte.

Jonas bleibt

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