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Alice beugte sich über die Reling. Beobachtete, wie sich die Wellen schäumend am Bug des Schiffes brachen. Möwen jagten dicht über der weissen Gischt dahin. So einfach war es gewesen: In den Zug steigen und sich wegbringen lassen. Als Alice noch auf dem Balkon stand, hatte sie es sich schwieriger ausgemalt. Zu gehen war eigentlich nur ein Beschluss. Alles andere konnte sie dem Lokführer, dem Chauffeur und jetzt dem Kapitän überlassen. Aber der Entschluss hatte sie viel Kraft gekostet. Und den Weg, den sie Flucht nannte, musste sie alleine gehen. Sah man ihr an, dass sie kein Rückfahrtticket hatte? Im Zugfenster suchte sie nach ihrem Spiegelbild, fuhr sich durchs Haar, strich mit beiden Zeigefingern unter den Wimpern hindurch. Die Tusche bröckelte. Sah sie verzweifelt aus? Erleichtert? Den anderen Passagieren schien das egal zu sein. Alice war dankbar, dass sie niemanden kannte, dass sie keinem die Lüge von der Wanderung erzählen musste, dass keine mitleidigen Blicke mehr auf ihr ruhten. Die Blicke hatten sich in ihr eingebrannt, unter ihnen hatte sie sich krank gefühlt, sich selbst leidgetan. Hatte sie sich immer wieder gefragt: Wo ist in diesem Mitleid die Hoffnung?

Einige Menschen wären wohl erstaunt, wenn sie wüssten, dass nicht Gott ihr geholfen hatte. Den Glauben hatte sie schon längst verloren. Sie hatte sich nur immer darüber ausgeschwiegen, zu den vielen Ratschlägen genickt und dankbar gelächelt. Nicht einmal in ihrer schlimmsten Zeit hatte sie das Wort an Gott gerichtet, kein einziges Mal. Gott hatte sie am Tag, als er ihr Kind sterben liess, enttäuscht. Gäbe es einen Gott, davon war sie überzeugt, hätte er das Kind aufgehalten, das Eis dicker gemacht. Das Kind gar nicht erst auf die Idee kommen lassen, das Eis zu betreten.

Froh war Alice, dass sie dem Fluss endlich entfliehen konnte. Dem Wasser, das so unschuldig zwischen den Brückenpfeilern hindurchströmte. Es trug Schiffe, rauschte und war grün, wenn es regnete. Es bewegte sich vorwärts, schlängelte sich wie ein Kriechtier. Es wurde bewundert für seine Schönheit, seine rasch wechselnden Farben, für seine Kraft. Niemand schien zu bemerken, dass dieser Fluss ein Mörder war. Hinterlistig hatte er das Kind verschluckt. Das Maul kaschiert mit einer Eisdecke. Hatte das Kind angelockt mit verschnörkelten Spuren, die an Ornamente erinnerten. Beinahe lautlos musste der Fluss ihren Sohn zu sich genommen haben.

Jonas bleibt

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